Uwe Barschel und der Skandal um des „Teufels Admiral“
Mit dem Namen Uwe Barschel ist einer der spektakulärsten Skandale der Nachkriegszeit verbunden. Unvergessen das Foto, das den ehemaligen Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins tot in der Badewanne des Genfer Hotels „Beau Rivage“ zeigt. Völlig in Vergessenheit geraten ist jedoch, dass Barschel noch in eine andere Affäre verwickelt war, die weltweit für Aufsehen sorgte und einem Geesthachter Schulleiter das Leben kostete: die „Dönitz Affäre“ – 60 Jahre sind seither vergangen.
Mit dem Namen Uwe Barschel ist einer der spektakulärsten Skandale der Nachkriegszeit verbunden. Unvergessen das Foto, das den ehemaligen Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins tot in der Badewanne des Genfer Hotels „Beau Rivage“ zeigt. Völlig in Vergessenheit geraten ist dagegen, dass Barschel noch in eine andere Affäre verwickelt war, die weltweit für Aufsehen sorgte und einem Geesthachter Schulleiter das Leben kostete: die „Dönitz Affäre“ – 60 Jahre sind seither vergangen.
Barschel, der aus Börnsen bei Bergedorf stammt, ist damals erst 18 Jahre alt und Schülersprecher am Otto-Hahn-Gymnasium (OHG) in Geesthacht. Er gilt bereits als „karriereorientiert“ und engagiert sich stark: So hat er beispielsweise die sogenannten „Geschichtsfragestunden“ ins Leben gerufen: Dabei diskutieren regelmäßig Schüler mit Politikern, Gewerkschaftern und Offizieren über spannende Themen der jüngsten Vergangenheit.
Karl Dönitz schüttelt die Hand der Lehrer, als wären sie Angehörige einer U-Boot-Besatzung

Die siebte Veranstaltung dieser Reihe löst dann einen unerwarteten Skandal aus. Denn der Gast, der am 22. Januar 1963 auf persönliche Einladung Uwe Barschels die Schule besucht, ist nicht irgendwer: Es handelt sich um Karl Dönitz, den „Admiral des Teufels“. Hitlers ergebenster Feldherr wurde nach dem Selbstmord des Diktators für kurze Zeit dessen Nachfolger. Schüler berichten später, das letzte Staatsoberhaupt des „Dritten Reiches“ habe bei der Begrüßung in der Schule kerzengrade dagestanden und den Angehörigen des Kollegiums auf eine Weise die Hand geschüttelt, als wären sie nicht Lehrer, sondern Angehörige einer U-Boot-Besatzung.
All seine politischen Thesen kann der Großadmiral a. D. ungehindert ausbreiten: Etwa dass kein Soldat wegen Beteiligung an einem Angriffskrieg vor Gericht gestellt gehöre und dass ein Soldat selbst in aussichtsloser Lage die Pflicht habe, weiterzukämpfen. Den Überfall auf Norwegen, bei dem er die U-Boot-Flotte befehligte, vergleicht er gar mit dem Besuch eines Bäckerladens. Dönitz‘ militaristische und antisemitische Thesen stoßen auf keinerlei Widerspruch. Im Gegenteil. „Die Lehrer haben wie betrunken an Dönitz‘ Lippen gehangen“, erzählt ein Zeitzeuge.

Vollends begeistert ist auch der Geesthachter Journalist Karl Mührl, der über die „Geschichtsfragestunde“ berichtet. Als der seinen Artikel für die Wochenendausgabe der „Lauenburgischen Landeszeitung“ formuliert, in dem er den Vortrag als „Geschichtsunterricht in höchster Vollendung“ lobt, ahnt er nicht ansatzweise, was er auslöst: Ob „Le Monde“ in Paris, „The Times“ in London oder die „Prawda“ in Moskau – Zeitungen weltweit greifen das Thema auf. Auch das SED-Parteiblatt „Neues Deutschland“ berichtet und meint, der Fall sei exemplarisch für die „faschistischen Umtriebe“ im kapitalistischen Westen. Der Dönitz-Fall wird sogar im britischen Unterhaus diskutiert. Immer wieder dreht sich alles um ein und dieselbe Frage: Wie es sein kann, dass eine bundesdeutsche Schule einen Kriegsverbrecher zu einem Vortrag einlädt?
Der Skandal des Jahres 1963: Ein Kriegsverbrecher spricht vor Schülern
Denn genau das ist Dönitz. Nicht zufällig saß er 1946 in Nürnberg gemeinsam mit NS-Größen Hermann Göring, Rudolf Heß und Albert Speer auf der Anklagebank. Dönitz, der zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde, trug die Verantwortung für den Tod von 27.494 deutschen U-Boot-Fahrern, die nicht mehr heimkehrten. Auf seinem Gewissen lastet auch der Tod Tausender britischer und amerikanischer Marinesoldaten, denn Dönitz hatte den Befehl ausgegeben, alliierte Schiffbrüchige ihrem Schicksal zu überlassen. Was für eine verrückte Idee, einen solchen Mann auf Schüler loszulassen, die größtenteils nichts vom Nazi-Regime wissen – die NS-Zeit wird damals im Geschichtsunterricht nicht behandelt.
Der Geesthachter Dönitz-Vortrag – er ist der Skandal des Jahres 1963. Wochenlang beherrscht das Thema die Schlagzeilen. Schließlich versucht die Kieler Landesregierung, Dampf aus dem Kessel zu nehmen. Sie macht daher den Vorschlag, am Geesthachter Gymnasium eine weitere „Geschichtsfragestunde“ zu veranstalten und dazu den Landesbeauftragten für staatsbürgerliche Bildung einzuladen. Das aber lehnt Rektor Georg Rühsen vehement ab: Der Vorfall werde allein schulintern aufgearbeitet, so entgegnet er.

Die Reaktion des Rektors zieht erneut Kritik nach sich, und zwar heftige: Die Wochenzeitung „Die Zeit“ schreibt, der Oberstudiendirektor sei offenbar „der festen Überzeugung, dass die Ausführungen des Großadmirals a. D. weder einer sofortigen Berichtigung noch einer Ergänzung oder auch nur einer kritischen Zwischenfrage bedurften”.
Rektor Georg Rühsen hält die Kritik nicht aus und springt in die Elbe
Wenig später erhält Rektor Rühsen Besuch von einem Regierungsrat des Kieler Kultusministeriums. Beide diskutieren fünf Stunden hinter verschlossenen Türen miteinander. Was dabei gesprochen wird, ist unbekannt. Sicher ist nur: Nach Ende der Besprechung setzt sich Rühsen hin und schreibt seiner Frau einen Abschiedsbrief: „Liebe Lonny, nimm es mir nicht übel. Ich gehe in den Tod.“
Rühsen hält der Kritik nicht Stand. Er wird am 8. Februar 1963 das letzte Mal auf dem Weg zur Elbe lebend gesehen. Kurz danach stürzt er sich ins Stauwehr. Erst am 25. April 1963 wird seine Leiche entdeckt.
Danach sind in Geesthacht die Verantwortlichen bemüht, die „Dönitz-Affäre“ totzuschweigen. Als es 1964 ein Schüler wagt, anlässlich seines Schulabschlusses eine kritische Rede zum Auftritt des Großadmirals zu halten, diskutiert die Lehrerschaft des Otto-Hahn-Gymnasiums allen Ernstes, ihm das Abitur wieder zu entziehen. So ist die Stimmung damals.
Uwe Barschel: Mit falschem Bart steht er an Dönitz‘ Grab
Und der Großadmiral, dessen Besuch den Skandal ausgelöst hat? Der tritt nach dem Skandal nie mehr in der Öffentlichkeit auf, verbringt seinen Lebensabend in seinem Eigenheim in Aumühle. Als er 1980 stirbt, nehmen an seiner Beisetzung auf dem dortigen Waldfriedhof Hunderte Menschen teil: darunter Kriegsnostalgiker, Kriegsveteranen, Neonazis. Und wer genau hinschaut, erkennt auch ihn: Uwe Barschel. Um bei der Beerdigung nicht erkannt zu werden, trägt der CDU-Politiker einen falschen Bart.

Sechs Jahre später muss Barschel als Ministerpräsident zurücktreten – wegen einer Verleumdungskampagne, die er gegen seinen Herausforderer Björn Engholm (SPD) angezettelt hatte. Kurz darauf liegt er tot in der Badewanne – was bis heute zu Spekulationen Anlass gibt. Mord? Oder Selbstmord? Das wird immer noch heiß diskutiert.
Inzwischen ist die „Dönitz-Affäre“ in Geesthacht aufgearbeitet – dank einiger Abiturienten des „Otto-Hahn-Gymnasiums“. Sie haben unter Leitung ihrer Lehrerin Susanne Falkson alle Aspekte des skandalösen Ereignisses untersucht und einen 63 Seiten langen Bericht darüber verfasst. Die Arbeit wurde 2011 beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten (Motto: „Ärgernis, Aufsehen, Empörung: Skandale in der Geschichte“) mit dem ersten Preis ausgezeichnet.