Über Nacht war Hamburg plötzlich doppelt so groß
Wo die Hoheluftchaussee den Namen ändert und zum Lokstedter Steindamm wird und wo sich Martini- und Troplowitzstraße treffen, befinden sich – überwuchert von Gebüschen – noch die alten Grenzsteine. Denn da war Hamburg einst zu Ende. Erst vor 85 Jahren, am 1. April 1937, änderte sich das. An diesem Tag trat das Groß-Hamburg-Gesetz in Kraft. Die Fläche der Stadt vergrößerte sich schlagartig um mehr als 80 Prozent. Praktisch eine Verdopplung.
Wer sich die politische Landkarte von Hamburg und Umgebung aus der Zeit vor 1937 ansieht, schaut auf einen komplizierten Flickenteppich. Großhansdorf und Geesthacht, ja sogar das Amt Ritzebüttel an der Elbmündung, sind Teil der Stadt, obwohl völlig abseits gelegen. Andererseits musste ein Hamburger, der nach Wandsbek wollte, in ein anderes Land reisen: nach Preußen nämlich. Und dass die Landesgrenze mitten durch das Hafengebiet führte, war für Hamburgs Wirtschaft schon lange ein großes Hindernis.

Wo die Hoheluftchaussee den Namen ändert und zum Lokstedter Steindamm wird und wo sich Martini- und Troplowitzstraße treffen, befinden sich – überwuchert von Gebüschen – noch die alten Grenzsteine. Denn da war Hamburg einst zu Ende. Erst vor 85 Jahren, am 1. April 1937, änderte sich das. An diesem Tag trat das Groß-Hamburg-Gesetz in Kraft. Die Fläche der Stadt vergrößerte sich schlagartig um mehr als 80 Prozent. Praktisch eine Verdopplung.
Wer sich die politische Landkarte von Hamburg und Umgebung aus der Zeit vor 1937 ansieht, schaut auf einen komplizierten Flickenteppich. Großhansdorf und Geesthacht, ja sogar das Amt Ritzebüttel an der Elbmündung, sind Teil der Stadt, obwohl völlig abseits gelegen. Andererseits musste ein Hamburger, der nach Wandsbek wollte, in ein anderes Land reisen: nach Preußen nämlich. Und dass die Landesgrenze mitten durch das Hafengebiet führte, war für Hamburgs Wirtschaft schon lange ein großes Hindernis.

Überlegungen, die Grenzen der Stadt zu verändern und sich damit preußisches Hoheitsgebiet einzuverleiben, gab es bereits vor dem Ersten Weltkrieg. Am 7. Dezember 1915 verabschiedete der Senat eine „Denkschrift über die Notwendigkeit einer Erweiterung des hamburgischen Staatsgebietes“, die die wirtschaftlichen Auswirkungen in den Mittelpunkt stellte. Sie ging noch davon aus, dass Deutschland den Ersten Weltkrieg gewinnen und dass es danach für Hamburg ein ungebremstes Wachstum geben würde, sowohl was die Erweiterung der Hafenfläche anbetraf als auch in Bezug auf den dann notwendigen Wohnungsbau.
So kam es zum Groß-Hamburg-Gesetz
Der Erste Weltkrieg ging verloren, aber unmittelbar danach kam es kurzzeitig zu noch weitergehenderen Planungen. So gab es beispielsweise Überlegungen, dass die gesamte Elbe bzw. das Elbufer von Hamburg bis zur Nordsee an die Hansestadt fallen sollte. Immer wieder wurden auch in den 20er Jahren Gebietsveränderungen unterschiedlichster Art diskutiert, aber die preußische Regierung lehnte – was keine Überraschung ist – die Hamburger Vorschläge jedesmal ab, denn sie hätte dabei stets den Kürzeren gezogen.
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Sicherlich auch um Druck aus dem Kessel zu nehmen und sich kooperativ zu zeigen, setzte Preußen stattdessen auf Zusammenarbeit. Etwa durch ein am 5. Dezember 1928 vereinbartes Abkommen, das festlegte, dass künftig neue Hafengebiete gemeinsam ausgebaut und betrieben werden sollen. Außerdem wurde eine „Hafengemeinschaft“ und eine gemeinsame Landesplanung vereinbart. Maßnahmen, so hieß es in dem Papier, sind „so zu treffen, als ob Landesgrenzen nicht vorhanden wären“.

Aber Hamburg wollte mehr. Wollte, dass die Grenzen tatsächlich verschwinden. Und ausgerechnet in Adolf Hitler fand die Hansestadt einen mächtigen Bündnispartner. Wirtschaftsvertreter der Hansestadt nutzten einen Besuch Hitlers im Hafen, um den „Führer“ darauf aufmerksam zu machen, dass die Stadt – und damit die Ökonomie – wegen der engen Grenzen kaum noch wachsen könne. Hitlers Reaktion: Kopfschütteln. Mit den Worten „Altona, das ist ja Unsinn, das dürfen wir heute nicht mehr denken“ soll der Diktator angeblich eine Beschränkung der von ihm geplanten gigantischen Elbuferbebauung auf die Hamburger Stadtgrenzen vom Tisch gewischt haben. Kurz darauf brachte er das Groß-Hamburg-Gesetz auf den Weg.

Historiker Frank Bajohr, einer der besten Kenner des Nazi-Systems, erinnert daran, dass zur Durchsetzung von politischen Zielen persönliche Beziehungen in der NS-Zeit eine besonderes wichtige Rolle spielten – und dass Hamburg mit der Führung in Berlin bestens vernetzt war. Hermann Göring hatte 1935 die aus Hamburg stammende Schauspielerin und Fabrikantentochter Emmy Sonnemann geheiratet. Carl Vincent Krogmann, Hamburgs NS-Bürgermeister, soll anlässlich der Hochzeit gescherzt haben, Göring habe ein „wertvolles Stück Hamburg enteignet“ und dass er, Krogmann, dafür Kompensation fordere – in Gestalt preußischer Gebiete.
Einerseits war Göring preußischer Ministerpräsident und konnte in dieser Eigenschaft nicht befürworten, dass sein Land Gebiete abtritt. Anderseits war er „Beauftragter für den Vierjahresplan“ und musste um jeden Preis Hamburgs Wirtschaftsraum stärken und konnte nicht dulden, dass die wirtschaftliche Dynamik der Hansestadt durch unnötige Rivalitäten mit den Nachbarn behindert wird.

Es ging beim „Groß-Hamburg-Gesetz“ nicht im Geringsten um das Wohlergehen der Hansestadt. Diktator Adolf Hitler dachte stattdessen an den längst geplanten Angriff auf die europäischen Nachbarländer. Durch den Zusammenschluss von Hamburg, Wandsbek, Harburg und Altona würde eine mächtige Wirtschaftsmetropole an der Elbe entstehen. Groß-Hamburg würde über ein Fünftel der deutschen Mineralölindustrie, ein Viertel der Werften und ein Drittel der Fischindustrie verfügen. Im Norden sollte ein geschlossenes Wirtschaftsgebiet entstehen mit dem Ziel, die Rüstungsschmieden zu stärken, vor allem die Werften, die Hitler für seine größenwahnsinnigen Kriegspläne brauchte. Dort sollten die Schlachtschiffe für den Eroberungs- und den Vernichtungskrieg vom Stapel laufen.
Altona, Wandsbek und Harburg-Wilhelmsburg wurden mit Hamburg vereinigt
Am 1. April 1937 war es so weit. Mit ihren Unterschriften unter das Gesetz veränderten vier Männer die Geschichte der Stadt grundlegend: Adolf Hitler, Innenminister Wilhelm Frick, Finanzminister Graf Schwerin von Krosigk und Hermann Göring, der Beauftragte für den Vierjahresplan. Hitler kommentierte, dass die Reform „mit einem Federstrich“ gelungen sei – eine Anspielung darauf, dass die Regierungen der Weimarer Republik dasselbe in vielen Jahren der Diskussion nicht geschafft hatten.

Am Festakt im Rathaus nahmen etliche Persönlichkeiten des NS-Regimes teil: Hitler selbst war nicht anwesend, aber er entsandte Rudolf Heß, seinen Stellvertreter. Auf dem Rathausmarkt, der damals Adolf-Hitler-Platz hieß, gab es eine Großkundgebung. „30.000 Fackeln grüßen Groß-Hamburg“, titelte das „Hamburger Fremdenblatt“. Heß rief vom Balkon des Rathauses der Menge zu: „Es ist zusammengeschlossen, was notwendigerweise längst zusammengehört: Groß-Hamburg ist Wirklichkeit geworden!“
Vom Vierstädtegebiet hatten die Norddeutschen bis 1937 gesprochen und meinten damit Hamburg und seine eigenständigen Nachbarn: Altona, Harburg und Wandsbek. Mit dem Groß-Hamburg-Gesetz wurden die drei Städte eingemeindet. Nach einem Jahr Übergangszeit verloren sie ihre Autonomie. Von einem Tag auf den anderen verdoppelte sich Hamburgs Fläche fast: von 415 auf 745 Quadratkilometer. Die Einwohnerzahl Hamburgs vergrößerte sich von 1,19 auf 1,68 Millionen. Auch mehrere Gemeinden der Landkreise Stormarn und Pinneberg gehörten jetzt zur Hansestadt. Der Landkreis Harburg wurde zugunsten Hamburgs aufgeteilt. Im Gegenzug verzichtete Hamburg lediglich auf einige kleine Orte in Schleswig-Holstein, so zum Beispiel auf Geesthacht, Großhansdorf und Schmalenbek, auf Cuxhaven und die Insel Neuwerk.

Nach 1945 wollten die Alliierten den Zusammenschluss eigentlich rückgängig machen
Nach 1945 hatten die britischen Besatzer kurzfristig die Absicht, das Groß-Hamburg-Gesetz wieder rückgängig zu machen. Doch der Senat, an dessen Spitze bald der ehemalige Altonaer Oberbürgermeister Max Brauer stand, widersetzte sich den Plänen erfolgreich. Denn die Vorteile der Vereinigung – etwa die gestraffte Verwaltung, geballte Gewerbesteuereinnahmen, einheitliche Wirtschaftspolitik – überwogen auch beim dringend erforderlichen Wiederaufbau der zerstörten Stadt.
Und so gilt Hitlers Groß-Hamburg-Gesetz bis heute. Lübeck, das 1937 seine 711 Jahre alte territoriale Eigenständigkeit verloren hat und Teil der Provinz Schleswig-Holstein geworden ist, versuchte nach dem Krieg seine Autonomie wiederherzustellen, scheiterte 1956 aber vor dem Bundesverfassungsgericht.
Nur in einem Punkt wurde das Groß-Hamburg-Gesetz revidiert: Im Cuxhaven-Vertrag von 1961 kam es zwischen Hamburg und Niedersachsen zu einem kleineren Flächenrücktausch, seitdem gehören die Inseln Neuwerk und Scharhörn in der Elbmündung wieder zu Hamburg.
Und so veränderte das „Groß-Hamburg-Gesetz“ die Landkarte
Was sich am 1. April 1937 im Einzelnen änderte. Eine Übersicht:

Preußen trat am 1. April 1937 Altona, Harburg-Wilhelmsburg und Wandsbek an Hamburg ab. Im Gegenzug musste Hamburg auch einige Gebiet an Preußen abtreten. So gingen Cuxhaven und die Nordseeinsel Neuwerk an die preußische Provinz Hannover, Großhansdorf, Schmalenbek und Geesthacht an die preußischen Kreise Stormarn und Lauenburg. (1969 ging Neuwerk im Austausch gegen einzelne noch zu Hamburg gehörende Geländestücke in Cuxhaven aus niedersächsischem Besitz wieder zurück an die Hansestadt.)
Aus dem Landkreis Stormarn wurden Bergstedt, Billstedt, Bramfeld, Duvenstedt, Hummelsbüttel, Lemsahl-Mellingstedt, Lohbrügge, Poppenbüttel, Rahlstedt, Sasel, Steilshoop und Wellingsbüttel nach Hamburg eingemeindet.
Aus dem Landkreis Pinneberg kamen Lokstedt, Niendorf und Schnelsen hinzu.
Aus dem Landkreis Stade ging der Stadtteil Cranz an Hamburg.
Bei der Teilung des Landkreises Harburg wurden Altenwerder, Finkenwerder, Fischbek, Francop, Gut Moor, Kirchwerder, Langenbek, Marmstorf, Neuenfelde, Neuland, Rönneburg und Sinstorf der Stadt Hamburg zugeschlagen.
Das Groß-Hamburg-Gesetz wirkte auch über Hamburg hinaus. Es änderte Zuständigkeiten für Gemeinden in Mecklenburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Am bedeutendsten ist, dass die Hansestadt Lübeck ihre über 700 Jahre alte Eigenständigkeit verlor und Teil Schleswig-Holsteins wurde.