Vor 60 Jahren war Eröffnung: Wie der „Star-Club“ in Hamburg zur Legende wurde
Er ist der vielleicht berühmteste Musikclub aller Zeiten: der Star-Club in Hamburg. Mal abgesehen von den Rolling Stones und Elvis Presley ist absolut jeder Weltstar der 60er Jahre dort aufgetreten. Und für manch eine Band, die bis dahin keiner kannte, hat dort die Weltkarriere begonnen. Das gilt natürlich vor allem für die Beatles. Die MOPO erzählt die Geschichte der Hamburger Musikclub-Legende.
Wäre der „Star-Club“ nicht gegründet worden, die Geschichte der Musik hätte womöglich einen völlig anderen Verlauf genommen. Insofern gibt es guten Grund, groß zu feiern: Der 13. April vor 60 Jahren war ein Freitag – und ein Glückstag.
Ein Datum, das zum Urknall des Pops wurde. Denn da öffnete der „Star-Club“ zum ersten Mal seine Pforten. Die Zeit der Dorfmusik war vorbei, wie es grellorange Plakate überall in der Stadt von Litfaßsäulen und Laternenmasten verkündeten.
Die Besucher von einst sind heute 80 Jahre oder älter. Sie tragen schütteres Haar statt toller Tolle und Strick- statt Lederjacke. Aber wenn die Sprache auf den „Star-Club“ kommt, diesen Schuppen, wo sie einst die Nacht zum Tage machten und wo sie zur Musik von Tony Sheridan, Roy Young, Jimi Hendrix oder den Beatles ihr Becken kreisen ließen, dann zuckt es plötzlich wieder in den alten Knochen, dann huscht ein verschmitztes Lächeln übers Gesicht.
Der Star-Club: der vielleicht berühmteste Musikclub aller Zeiten. Mal abgesehen von den Rolling Stones und Elvis Presley ist absolut jeder Weltstar der 60er Jahre dort aufgetreten. Und für manch eine Band, die bis dahin keiner kannte, hat dort die Weltkarriere begonnen. Das gilt natürlich vor allem für die Beatles.

Ein Freitag, der 13., war ein Glückstag für die Musikgeschichte
Wäre der „Star-Club“ nicht gegründet worden, die Geschichte der Musik hätte womöglich einen völlig anderen Verlauf genommen. Insofern gibt es guten Grund, groß zu feiern: Der 13. April vor 60 Jahren war ein Freitag – und ein Glückstag.
Ein Datum, das zum Urknall des Pops wurde. Denn da öffnete der „Star-Club“ zum ersten Mal seine Pforten. Die Zeit der Dorfmusik war vorbei, wie es grellorange Plakate überall in der Stadt von Litfaßsäulen und Laternenmasten verkündeten.

Und dieser Mann nimmt für sich in Anspruch, der Erfinder zu sein: Horst „Hoddel“ Fascher (86), ehemaliges Hafenkind, gelernter Schiffszimmermann und Hamburger Amateurboxmeister.
Fascher erzählt von den spießigen 50er Jahren, als in den meisten Läden noch Schlagermusik gespielt wurde. „Fred Bertelmann, Rudi Schuricke, Freddy Quinn, solche Sachen.“ Er rümpft die Nase. Richtig gute Musik gab es damals nur bei BFN zu hören, dem Radiosender der Briten.„,Hottentotten-Musik‘ nannte mein Vater das!“, so Fascher. „Für mich aber war Rhythm & Blues wie eine Erweckung.“
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Als Ende der 50er Jahre mit dem „Kaiserkeller“ auf der Großen Freiheit (St. Pauli) der erste Musikschuppen eröffnete, in dem es Rock ’n’ Roll live zu hören gab, fing Fascher dort als Aufpasser und Tresenmann an. Er wurde Manager von Tony Sheridan und Geschäftsführer des „Top Ten“. Allerdings musste er bald wieder aufhören, weil er sich mit dem Inhaber Peter Eckhorn überwarf.

Gut, dass es zu diesem Streit kam, denn andernfalls wäre er nicht gezwungen gewesen, als Kellner in einem Musikcafé namens „Lachender Vagabund“ auf der Großen Freiheit anzufangen. Und dann wäre er auch nicht diesem Mann über den Weg gelaufen, der in dieser Geschichte eine wichtige Rolle spielt: Manfred Weissleder (1928-1980).
„Da kam jeden Morgen um sechs so ein Typ rein, mit einem Weißbrot unterm Arm“, erinnert sich Fascher. „Der trank seinen Kaffee und sondierte die Lage. Ich wollte den schon rausschmeißen, weil der immer den ganzen Boden vollkrümelte. Doch dann erzählte mir mein Bruder, das sei Manfred Weissleder, Inhaber von zwölf Sexclubs auf St. Pauli. Den habe ich dann lieber nicht angerührt.“
Das neue Konzept: Nicht eine Band die ganze Nacht, sondern vier
Als Manfred Weissleder, ein gelernter Flugzeug-Elektromechaniker, 1955 aus Dortmund nach Hamburg kam, hatte er außer einem kleinen Handkoffer nichts dabei. Sieben Jahre später war er Millionär und eine ganz große Nummer auf dem Kiez.

Anfang 1962 betrieb Weissleder auf dem sogenannten Paradieshof, einem Hinterhof an der Großen Freiheit, eine Reihe von Geschäften. Die Behörden monierten, dass der vorgeschriebene zweite Fluchtweg fehle. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als das Gebäude daneben, die Große Freiheit 39, zu kaufen, in dem sich das Stern-Kino, ein Lichtspielhaus mit 800 Plätzen, befand. Aber was sollte er damit machen?
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Da kam Horst Fascher ins Spiel. Als Weissleder wieder mal das Lokal „Lachender Vagabund“ besuchte und seinen Kaffee trank, fasste Fascher Mut und machte dem Gast einen Vorschlag: Wieso nicht einen Musikclub daraus machen?
„Weissleder nickte mir zum Abschied freundlich zu und verschwand. Ich war aufgewühlt, beinahe fassungslos. Ob sich mein Traum von einem eigenen Laden so schnell erfüllen sollte?“ Vier Tage später stimmte Weissleder zu.

Umbauten waren nötig. Die Stuhlreihen flogen aus dem Kino. Da, wo bisher die Leinwand hing, wurde die Wand mit einer Manhattan-Skyline dekoriert. Vor die Bühne kam ein Vorhang, um vor jedem Auftritt einer Band die Vorfreude des Publikums zu steigern. Die Leuchttafel über dem Eingang blieb, wo sie ist – nur dass da nicht mehr die Titel der Filme zu lesen waren, sondern die Namen der Bands.
Horst Fascher reiste nach Liverpool, um mit Brian Epstein alles klar zu machen
Weissleder überlegte sich ein Konzept, das sich vom „Top Ten“, dem „Indra“ und dem „Kaiserkeller“ unterschied: „Meine Idee war, dass nicht eine Gruppe sieben Stunden lang überstrapaziert wird, sondern dass man etwa vier Gruppen jeweils eine Stunde lang spielen lässt“, so Weissleder. „Denn diese Musik zu interpretieren ist eine solche Anstrengung, dass es niemand länger als ‘ne knappe Stunde aushält, in einem Streifen jedenfalls.“
Für die Eröffnung wollte Weissleder unbedingt die Beatles. Die waren zwar noch keine Weltstars, aber sie hatten in Hamburg seit ihren Auftritten 1960 und 1961 großen Zuspruch. Das Dumme war nur: Die Pilzköpfe hatten für 1962 bereits dem „Top Ten“ zugesagt.

Damit wollte sich Weissleder nicht abfinden. Er schickte Fascher nach London, um mit Beatles-Manager Brian Epstein die Sache zu klären: „Biete ihm, was er will, Hauptsache, die Beatles kommen zu uns!“ Das war Weissleders Ansage.
„Als die Beatles anfingen zu spielen, brach ein Sturm los“
Tatsächlich gelang es Fascher, Epstein zu überzeugen: indem er 500 Mark Gage pro Mann und Woche bot statt der üblichen 350 Mark. Und indem er Epstein 1000 Mark Bestechungsgeld über den Tisch schob. Damit war der Deal perfekt.
Der 13. April 1962 war ein wunderschöner Frühlingstag. Aber dafür hatte Horst Fascher gar keinen Sinn. Er war total aufgeregt. „Als ich gegen 18.30 Uhr vor die Tür trat, stand da kein Mensch. Nicht einer!“ Doch dann habe Weissleder ihn beruhigt: „Warte mal ab.“ Und tatsächlich: Eine Stunde später standen die Leute Schlange bis zur Reeperbahn runter.

Der Erfolg war grandios. Aber dem Publikum wurde aber auch einiges geboten: Tex Robert & the Graduates, The Bachelors, Roy Young und die Beatles – sie alle traten in dieser ersten Nacht auf. Ein so hochrangig besetztes Programm hatte es in Hamburg noch nie gegeben. „Als die Beatles anfingen zu spielen“, erzählt Fascher, „da brach ein Sturm los – so etwas Lautes habe ich nie wieder erlebt!“
Die Beatles waren geniale Musiker – totale Kindsköpfe waren sie aber auch. Immer wieder erlaubten sie sich Eskapaden: Sie pinkelten aus dem ersten Stock runter auf die Große Freiheit – just in dem Moment, als unten ein Trupp Nonnen unterwegs war. Ein anderes Mal stand John Lennon – bis auf Stiefel und Unterhose – nackt auf der Bühne, in den Händen die Gitarre, um den Hals eine Klobrille, und sang „Twist And Shout“. Unvergesslich auch, wie Lennon verkleidet mit einem Orang-Utan-Fell auf allen vieren Richtung Reeperbahn hüpfte und dabei grunzend alle Passanten ansprang.
Die Beatles – genialer Musiker, aber auch totale Kindsköpfe

79 Mal standen die „Fab Four“ auf der Star-Club-Bühne – dann starteten sie ihre Weltkarriere. Und der „Star-Club“, in dem sie ihr musikalisches Handwerk perfektionierten, wurde in Windeseile berühmt. Dort gespielt zu haben, galt unter Musikern schon bald als Ritterschlag. Selbst Weltstars ließen sich nicht lange bitten: Bill Haley, Chuck Berry, Jerry Lee Lewis, Little Richard, Ray Charles und Fats Domino traten alle schon im ersten Jahr auf.
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„Aus purer Gewinnsucht betrieb Manfred Weissleder den Club sicher nicht“, glaubt Günter Zint, der Hausfotograf. „Ray Charles bekam für eine Nacht 60.000 Mark. Eine damals unvorstellbare Summe. Gleichzeitig betrug der Eintritt in den Club nie mehr als 20 Mark. Meist lag er sogar deutlich unter 5 Mark. Alle großen Stars wurden hoch subventioniert aus den Einnahmen der Weissleder’schen Sexclubs.“

Wie beim Damenkränzchen ging es im „Star-Club“ nicht gerade zu. Daran erinnert Zint – „einfach deshalb, weil die Geschichte inzwischen häufig verklärt dargestellt wird“, wie er sagt. Tatsächlich sei der Schuppen etliche Male Schauplatz ausufernder Prügeleien gewesen.
Gerade bei Geschäftsführer Horst Fascher saß die Faust locker. Mit Kieferbrüchen und ausgeschlagenen Zähnen verschaffte der sich Respekt. Mehrmals stand er vor Gericht, wurde 1965 wegen achtfacher Körperverletzung zu drei Jahren Haft verurteilt.
Kulturbehörde meint: „Dieser Krach hat nichts mit Musik zu tun“
Gäste von einst erinnern sich, dass vor allem die Kellner des „Star-Club“ ungemütlich werden konnten. Meist drehten die zu zweit ihre Runde: Der eine trug eine Kiste Bier oder Cola. Der andere baute sich vor den Gästen auf und guckte streng.
„Jeder wusste sofort Bescheid, dass er die Wahl hat: Cola, Bier – oder raus!“, so Zint. Es sei denn, der Betreffende zahlte 50 Pfennig. Damit waren die Kellner auch zufrieden – ihre Provision bei den Getränken lag lediglich bei 35 Pfennig.

Heute ist Hamburg stolz, Standort des wohl berühmtesten Musikschuppens der Welt gewesen zu sein. Die Wiege der Beatles. Vor 60 Jahren sah das ganz anders aus. Denn so begeistert die Jugendlichen vom „Star-Club“ waren, so verstört war die Erwachsenenwelt.
Im März 1963 wagte sich ein Reporter des „Hamburger Abendblatts“, Werner Sillescu, in die Höhle des Löwen – und wer seinen Artikel liest, spürt regelrecht das blanke Entsetzen. „Kann künstlich erzeugter, organisierter Lärm entspannend sein?“, fragt er sich. Dröhnender Rhythmus erschlage jede Melodie. Die Besucher des Clubs („Anlernlinge, Industrie-Lehrlinge, Hafenarbeiter, einfach, anspruchslos, stark. Es sind dieselben, die auf dem Dom die Raupenbahn belagern“) bewegten sich „ekstatisch zuckend“ auf der Tanzfläche. Sillescu: „Immer wieder tobt der Hexenkessel. Es kann einem unheimlich werden dabei.“ Zum Schluss meint der Autor, dass vielleicht Psychologen und Soziologen eine Erklärung für das Geschehen finden. „Der normale Bürger kann nur staunen.“
Im Kampf gegen den „Star-Club“ zog die Staatsgewalt alle Register
Und so sind die „normalen Bürger“ auch ganz dankbar, dass es einen gibt, der bemüht ist, den drohenden Untergang des Abendlandes abzuwenden: Kurt Falck, Leiter des Wirtschafts- und Ordnungsamtes Hamburg-Mitte, Spitzname: „Eiserner Besen von St. Pauli“. Er machte es sich zur Lebensaufgabe, „Star-Club“-Chef Weissleder Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Alle Register zog die Staatsgewalt. 90 Polizeieinsätze gab es allein 1963. Gleichzeitig stellte das Finanzamt immer neue horrende Forderungen. Eine Befreiung von der Vergnügungssteuer wurde abgelehnt – mit der Begründung, „diese Musik ist geeignet, den Knochenbau und die Hörorgane der Jugendlichen zu schädigen“. Die Kulturbehörde beschied in einer Stellungnahme, dass dieser Krach nichts mit Kultur zu tun habe.

„Bleibt nur die Frage“, so Günter Zint augenzwinkernd, „warum Weissleder Vergnügungssteuer für eine Sache zahlen musste, die doch nach Meinung der Sittenwächter keinerlei Vergnügen machte?“

Am 23. Juni 1964 glaubte sich Amtmann Falck am Ziel. Da entzog er Weissleder die Konzession. Daraufhin kam es zu Demonstrationen. Fans blockierten die Große Freiheit, auf der Reeperbahn staute sich der Verkehr. Sprechchöre forderten: „Star-Club auf!“
Und genau das geschah nach zwei Tagen auch: Der Schuppen öffnete wieder. Weissleder hatte die Behörde ausgetrickst, indem er einen Mitarbeiter als Geschäftsführer einsetzte. Als Strohmann.
Ende 1969 war Schluss: Auf den Beat folgte der Bums
Schließlich waren es ganz andere Gründe, die dem „Star-Club“ den Todesstoß versetzten. Discos schossen wie Pilze aus dem Boden. Ein paar Schallplatten und ein DJ – das reichte plötzlich, um die Jugend zu begeistern. Teure Musiker einzufliegen und live spielen zu lassen, das war mit einem Mal von vorgestern. Zwar versuchten noch die Musiker Achim Reichel und Frank Dostal den Laden zu retten. Aber es war aussichtslos. Die Besucher blieben aus

Schließlich war im Dezember 1969 Schluss. Und auf den Beat folgt der Bums: Das „Salambo“ zog ein, ein Sex-Etablissement. Live Geschlechtsverkehr auf der Bühne.
Seit 1983 ein Großbrand das Gebäude in Schutt und Asche legte, ist nichts mehr da vom alten „Star-Club“. Übrig sind nur noch die Schwarz-Weiß-Fotos. Und natürlich die Legende. Und die stirbt nie.