Völkermord an Sinti und Roma: Nach 1945 ging die Ausgrenzung weiter
Europaweit haben die Nazis zwischen 1933 und 1945 schätzungsweise 500.000 Sinti und Roma ermordet – und doch ist das Wissen darüber nicht sehr weit verbreitet. Anders als der Holocaust an den Juden werden die NS-Verbrechen an den Sinti und Roma nur selten thematisiert. Dabei war es Völkermord.
1935: Der Erlass der Nürnberger Gesetze betrifft Sinti und Roma sowie Juden gleichermaßen. Durch das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ werden ihnen beispielsweise Ehen mit „deutschblütigen Personen“ verboten. Sinti, Roma und Juden verlieren durch die Gesetzgebung die deutsche Staatsbürgerschaft.
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Europaweit haben die Nazis zwischen 1933 und 1945 schätzungsweise 500.000 Sinti und Roma ermordet – und doch ist das Wissen darüber nicht sehr weit verbreitet. Anders als der Holocaust an den Juden werden die NS-Verbrechen an den Sinti und Roma nur selten thematisiert. Dabei war es Völkermord.
1935: Der Erlass der Nürnberger Gesetze betrifft Sinti und Roma sowie Juden gleichermaßen. Durch das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ werden ihnen beispielsweise Ehen mit „deutschblütigen Personen“ verboten. Sinti, Roma und Juden verlieren durch die Gesetzgebung die deutsche Staatsbürgerschaft.
Ab Mitte der 30er Jahre werden Sinti und Roma interniert und zur Zwangsarbeit herangezogen. Diejenigen, die vorerst an ihren Wohnorten bleiben dürfen, erhalten Berufsverbote, dürfen Verkehrsmittel, bestimmte Läden und kulturelle Einrichtungen nicht mehr nutzen. 1941 dürfen Sinti-Kinder die Schulen nicht mehr besuchen.
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1936 wird im Reichsgesundheitsamt die „Rassenhygienische und Bevölkerungsbiologische Forschungsstelle“ unter Leitung von Robert Ritter eingerichtet. Bis 1944 verfassen Ritter und seine Mitarbeiter rund 24.000 Gutachten über Sinti und Roma. Die Gutachten dienten als Grundlage für Sterilisationen und später die Ermordung in Auschwitz.
Am 20. Mai 1940 begann die Deportation der Roma und Sinti in Hamburg
1938 wird die „Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ gegründet, im Dezember folgt Himmlers Runderlass zur „Regelung der Zigeunerfrage aus dem Wesen der Rasse“ heraus.
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Ab Oktober 1939 dürfen Sinti und Roma ihren aktuellen Aufenthaltsort nicht mehr verlassen.
Am 20. Mai 1940 findet in Hamburg die erste Massendeportation statt. 900 Sinti und Roma werden vom Hannoverschen Bahnhof aus nach Belzec gebracht – die meisten sterben. Auch im übrigen Reich finden zeitgleich Deportationen statt.
1942 wird mit dem „Auschwitz-Erlass“ Himmlers die Polizei angewiesen, alle Sinti und Roma, auch die sogenannten „Zigeunermischlinge“, in Konzentrationslager einzuweisen, „ohne Rücksicht auf den Mischlingsgrad“.
Ab 1943 werden Tausende Sinti und Roma nach Auschwitz deportiert, wo sie ins sogenannte „Zigeunerlager“ kommen. Von den über 20.000 Menschen, die dort eingesperrt sind, sterben mehr als zwei Drittel an Hunger, Krankheiten und Misshandlungen durch die SS-Wachmannschaften.
In der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 werden alle 2897 Sinti und Roma, die zu diesem Zeitpunkt noch am Leben sind, vergast.
Nach 1945 wird der Völkermord an den Sinti und Roma geleugnet. Am 7. Januar 1956 urteilt der Bundesgerichtshof, lediglich bei den Deportationen ab März 1943 sei von einer rassischen Verfolgung auszugehen. Alles zuvor galt als „polizeiliche Vorbeugungs- und Sicherungsmaßnahme“. In der Urteilsbegründung heißt es: „Die Zigeuner neigen zur Kriminalität, besonders zu Diebstählen und zu Betrügereien. Es fehlen ihnen vielfach die sittlichen Antriebe zur Achtung vor fremdem Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen ist.“ In Bayern wird in Nachfolge der „NS-Zigeunerzentrale“ die sogenannte „Landfahrerzentrale“ geschaffen. Die polizeiliche Erfassung wird fortgesetzt – teils mit demselben Personal, das vor 1945 für die Deportationen verantwortlich gewesen ist.
Im März 1982 erkennt die Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) endlich die Verbrechen an Sinti und Roma als Völkermord an – aber erst nach massivem öffentlichem Druck.