Shopping-Tempel in Hamburg: Wie Reiche vor fast 200 Jahren einkaufen gingen
Die Wände waren mit rotem und schwarzem Marmor verkleidet. Darauf spiegelte sich das Licht der Gaslaternen. Spektakulär die Dachkonstruktion: Sie bestand aus Gusseisen und Glas. 34 Läden gab es, und dort wurden ausschließlich Luxusartikel angeboten: feinste Handschuhe, Gold- und Silberwaren, edle Pelze und Stoffe, feine Möbel und Antiquitäten sowie Parfüm aus Paris und Spielzeug aus Nürnberg. Dieser Shopping-Tempel war eine Sensation, über die ganz Europa sprach. Die schönste Einkaufspassage des Kontinents – und Deutschlands erste! – befand sich mitten in Hamburg.
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Die Wände waren mit rotem und schwarzem Marmor verkleidet. Darauf spiegelte sich das Licht der Gaslaternen. Spektakulär die Dachkonstruktion: Sie bestand aus Gusseisen und Glas. 34 Läden gab es, und dort wurden ausschließlich Luxusartikel angeboten: feinste Handschuhe, Gold- und Silberwaren, edle Pelze und Stoffe, feine Möbel und Antiquitäten sowie Parfüm aus Paris und Spielzeug aus Nürnberg.
„Sillem’s Bazar“ war eine Sensation, über die ganz Europa sprach. Die schönste Einkaufspassage des Kontinents – und Deutschlands erste! – befand sich am Jungfernstieg, und zwar genau dort, wo heute der „Hamburger Hof“ steht. Am Eingang wurden fünf Schillinge Eintritt verlangt. Viel Geld damals. Aber wer es sich leisten konnte, zahlte. Denn eine überdachte Einkaufsstraße – so was hatte ja noch nie jemand gesehen, das wollte jeder erleben. Übrigens, total modern: Wenn jemand was kaufte, wurde der Eintritt auf den Preis angerechnet!
180 Jahre ist es her, dass Hamburg eine Einkaufspassage von einer derartigen Pracht erhielt. Von überall her kamen die Besucher. In der Presse stand: „Nach Hamburg fahren und den Bazar nicht sehen ist wie Rom ohne den Papst.“ Die „Leipziger Illustrirte“ meldete: „In der Passage verbinden sich der Sinn für Größe mit dem für Pracht und Eleganz. Sie übertrifft ihre Vorbilder, jene eleganten und bei schlechtem Wetter ebenso angenehmen und nützlichen Passagen in Paris und London an Schönheit im allgemeinen und geschmackvoller Ausführung aller Einzelteile.“
„Sillem’s Bazar“ – die Mutter aller deutschen Einkaufspassagen. Hamburg musste erst niederbrennen, damit sie gebaut werden konnte: Am 5. Mai 1842 brach in der Deichstraße der Große Brand aus, der sich drei Tage lang durch Hamburg fraß und ein Viertel der Stadt in Schutt und Asche legte. Eine schlimme Katastrophe, die aber auch eine Chance eröffnete: Aus dem bis dahin mittelalterlichen Hamburg mit seinen engen Gassen und windschiefen Fachwerkhäusern wurde eine moderne Stadt mit Kanalisation, breiten Straßen, Gaslicht – und eben der ersten Einkaufspassage Deutschlands!
„Sillems’s Bazar“ war Hamburgs erste Einkaufspassage
Wilhelm Sillem (1804-1885), Spross einer bekannten Hamburger Kaufmannsfamilie und ein weit gereister Mann, hatte die Idee. Er erwarb das durch die Feuersbrunst frei gewordene Grundstück am Jungfernstieg und ließ vom Architekten Eduard Averdieck das „Hôtel de Russie“ errichten. Darin integriert befand sich die Einkaufspassage. Durch den Hoteleingang gelangten die Kunden eben nicht nur in die Lobby, sondern auch zu den Geschäften und konnten – das war das Neue – flanieren, bummeln und shoppen bei Wind und Wetter.
Fast 40 Jahre existierte „Sillem’s Bazar“. Dass die Passage nicht ganz die hochfliegenden Erwartungen erfüllte, lag am Standort: Die Passage hatte – betrat man sie von der Binnenalster aus – kein hinreichend attraktives Ziel. Die auf der Rückseite liegende Königstraße (heute Poststraße) war zu jener Zeit eine unbedeutende Gasse. Weiterführende Straßen gab es auch nicht. Also handelte es sich bei „Sillem’s Bazar“ um die wohl eleganteste Sackgasse der Stadt.
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Ein wirtschaftlicher Crash in der Gründerzeit und die großen politischen Veränderungen im Bismarck-Reich veränderten die Kaufgewohnheiten der Hamburger, daher musste die Einkaufspassage einem anderen Nutzungskonzept weichen. Da in der boomenden Metropole Hamburg der geschäftliche Reiseverkehr stark zunahm, wurde sie 1881 abgerissen und durch ein First-Class-Hotel ersetzt: den 1883 fertiggestellten „Hamburger Hof“.
„Sillem’s Bazar“ musste dem Hotel „Hamburger Hof“ weichen
Dort logierten im Laufe der Jahre viele berühmte Gäste: etwa der chinesische Vizekönig Li Hongzhang (1896), der thailändische König Chulalongkorn (1897), der Bruder von Kaiser Wilhelm II., Prinz Heinrich von Preußen (1900), und sogar der englische König Edward VII. (1904).
Es gab noch einen Monarchen, der den „Hamburger Hof“ schätzte: Friedrich VIII., König von Dänemark. 1912 stieg er unter dem Pseudonym „Graf Kronsborg“ ab. Es sollte sein letzter Hotelaufenthalt überhaupt werden. Am Abend des 14. Mai 1912 verließ er das Haus noch mal – für einen Abendspaziergang, wie er sagte. Kurz darauf brach er zusammen, nur wenige Meter neben einem berüchtigten Edelbordell in der Schwiegerstraße.
Papiere trug Friedrich VIII. nicht bei sich. Keiner wusste, um wen es sich handelte. Er wurde ins Hafenkrankenhaus geschafft, wo er stundenlang zwischen verstorbenen Prostituierten und Kriminellen in der Leichenhalle lag. Eine Beschreibung ging an alle Polizeidienststellen, in der Hoffnung, den Fremden identifizieren zu können.
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In den frühen Morgenstunden tauchte schließlich der Direktor des „Hamburger Hofs“ auf und druckste herum, dass er einen Hotelgast vermisse. „Graf Kronsborg“ sei von seinem Abendspaziergang nicht zurückgekehrt. Der Hoteldirektor identifizierte den vermeintlichen Grafen und ließ ihn umgehend und ohne Aufsehen in den „Hamburger Hof“ bringen.
Starb der dänische König in den Armen einer Prostituierten?
Aller Diskretion zum Trotz wusste bald darauf jeder in der Stadt, um wen es sich bei dem Toten wirklich handelte. Das Gerücht machte die Runde, Ihre Majestät sei in den Armen einer Prostituierten gestorben.
Fünf Jahre später, kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs, ereignete sich das nächste Drama: Ein verheerender Brand brach 1917 aus. Und damit war die Geschichte von Hamburgs nobelstem Hotel auch besiegelt – denn wieder aufgebaut wurde das Gebäude nicht mehr als Herberge für die Reichen, Schönen und Blaublütigen, sondern als Kontorhaus.
Noch mal schweren Schaden nahm der „Hamburger Hof“ 1944: Vor allem das Dach mit seinen verspielten Giebelchen und Turmspitzen wurde bei einem Luftangriff zerstört und später in deutlich schlichterer Form erneuert.
Zuletzt baute der Hamburger Architekt Hans-Joachim Fritz das Haus um, und zwar zwischen 1976 und 1979: Neben Büros gibt es im Hamburger Hof heute wieder eine Einkaufspassage, und sie befriedigt allerhöchste Ansprüche – so wie schon „Sillem’s Bazar“ von 180 Jahren.