Sensationeller Fund: Farbfotos zeigen Hamburg zur NS-Zeit
Wir sehen Menschen, die über den Jungfernstieg schlendern. Autos brausen an der Alster entlang, die Fassade des Hotels „Vier Jahreszeiten“ strahlt im Sonnenlicht. Wir sehen die Staatsoper, den Eingang von Planten un Blomen, und an den Landungsbrücken treten gerade SA-Männer in Dreierreihe an.
Es sind sensationelle Bilder. Hamburg fotografiert in frühem Agfacolor – das ist eine absolute Rarität! Selbst das Staatsarchiv verfügt nur über einen vergleichsweise überschaubaren Bestand an Farbaufnahmen aus dieser Zeit.
„Dank der Farbe ist plötzlich die Distanz weg“, sagt der Mann, der die Bilder entdeckt hat. „Uns wird schlagartig klar, dass etwa die Schrecken der NS-Diktatur gar nicht so weit zurückliegen. Wir erkennen plötzlich: Das ist alles in genau dem Hamburg geschehen, in dem auch wir leben. Wir sehen die Orte in der Stadt, die wir täglich besuchen – und sind verstört darüber, dass überall die Hakenkreuzfahnen hängen.“
Wir sehen Menschen, die über den Jungfernstieg schlendern. Autos brausen an der Alster entlang, die Fassade des Hotels „Vier Jahreszeiten“ strahlt im Sonnenlicht. Wir sehen die Staatsoper, den Eingang von Planten un Blomen, und an den Landungsbrücken treten gerade SA-Männer in Dreierreihe an. Die ganze Stadt ist ein Fahnenmeer.
Es sind sensationelle Bilder. Hamburg fotografiert in frühem Agfacolor – das ist eine absolute Rarität! Selbst das Staatsarchiv verfügt nur über einen vergleichsweise überschaubaren Bestand an Farbaufnahmen aus dieser Zeit.
Alte Fotos aus Hamburg in den 30er Jahren
Entdeckt hat die Fotos der aus Hamburg stammende und nun in Bleckede (Niedersachsen) lebende Ralf Klee, ein studierter Sportwissenschaftler, der früher als Journalist arbeitete und seit 2014 als Lehrer (Sport, Englisch, Geschichte, Erdkunde) an der Gesamtschule Bad Bevensen tätig ist. Privat sammelt der 48-Jährige schon seit Langem historische Fotografien. Vor allem Farbfotos haben es ihm angetan.
- Ralf Klee Ein Auto braust an der Alster entlang.
Ein Auto braust an der Alster entlang. - Ralf Klee Die Reesendammbrücke: Menschen genießen flanierend den Sommertag. Uniformierte Nazis grinsen in die Kamera.
Die Reesendammbrücke: Menschen genießen flanierend den Sommertag. Uniformierte Nazis grinsen in die Kamera. - Ralf Klee Das nach dem Krieg zugeschüttete Fleet bei der Gröningerstraße. Die Zollenbrücke gibt es heute noch.
Das nach dem Krieg zugeschüttete Fleet bei der Gröningerstraße. Die Zollenbrücke gibt es heute noch. - Ralf Klee Der Rathausmarkt mit Blick auf die Alsterarkaden
Der Rathausmarkt mit Blick auf die Alsterarkaden - Ralf Klee Grandhotel „Vier Jahreszeiten“: Hier steigt die NS-Prominenz ab.
Grandhotel „Vier Jahreszeiten“: Hier steigt die NS-Prominenz ab. - Ralf Klee Die alte Staatsoper in ganzer Pracht. Aber nicht mehr lange: Sie wird in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1943 völlig zerstört.
Die alte Staatsoper in ganzer Pracht. Aber nicht mehr lange: Sie wird in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1943 völlig zerstört. - Ralf Klee Der Eingang zu Planten un Blomen mit dem KdF-Logo ganz oben auf dem Mast
Der Eingang zu Planten un Blomen mit dem KdF-Logo ganz oben auf dem Mast - Ralf Klee Die SA, Hitlers braune Schlägertruppe: In Dreierreihe antreten an den Landungsbrücken!
Die SA, Hitlers braune Schlägertruppe: In Dreierreihe antreten an den Landungsbrücken! - Ralf Klee Das rosa Haus gibt es heute nicht mehr: aufgenommen an der Schaartorbrücke
Das rosa Haus gibt es heute nicht mehr: aufgenommen an der Schaartorbrücke - Ralf Klee Das Foto zeigt die Straße Kajen. Das Geschäft Feinkost C. Heinecke befindet sich damals in Nummer 39.
Das Foto zeigt die Straße Kajen. Das Geschäft Feinkost C. Heinecke befindet sich damals in Nummer 39. - Ralf Klee Rechts Rödingsmarkt Nr. 9, das sogenannte Klopperhaus. Der Turm im Hintergrund gehört zu einem Haus Ecke Großer Burstah.
Rechts Rödingsmarkt Nr. 9, das sogenannte Klopperhaus. Der Turm im Hintergrund gehört zu einem Haus Ecke Großer Burstah. - Ralf Klee Festlich mit Hakenkreuzfahnen geschmückt: Das Geschäft „Hartmann“ befand sich Große Bleichen, Ecke Heuberg.
Festlich mit Hakenkreuzfahnen geschmückt: Das Geschäft „Hartmann“ befand sich Große Bleichen, Ecke Heuberg.
Vergangenheit – so hat es sich in unseren Köpfen festgesetzt – ist schwarz-weiß. Foto- und Filmaufnahmen bis in die 60er Jahre gibt es so gut wie gar nicht in Color. Umso eindrucksvoller die Wirkung, wenn wir dann doch einmal eine frühe Farbaufnahme zu Gesicht bekommen.
Fotos vermutlich 1938 oder 1939 von einem Amateur aufgenommen
„Dank der Farbe ist plötzlich die Distanz weg“, sagt Klee. „Uns wird schlagartig klar, dass etwa die Schrecken der NS-Diktatur gar nicht so weit zurückliegen. Wir erkennen plötzlich: Das ist alles in genau dem Hamburg geschehen, in dem auch wir leben. Wir sehen die Orte in der Stadt, die wir täglich besuchen – und sind verstört darüber, dass überall die Hakenkreuzfahnen hängen.“ Die NS-Vergangenheit ist plötzlich ganz nah.
Hinzu kommt: Die Fotos sind höchstwahrscheinlich nicht von einem professionellen Fotografen gemacht worden, sondern von einem ambitionierten Amateur. Die Aufnahmen sind also nicht zu Propaganda-Zwecken geschossen worden. Wir sehen die Stadt vielmehr durch die Augen eines Privatmannes, vermutlich eines Touristen. Höchstwahrscheinlich stammen alle Bilder von ein und derselben Person – vermutlich sind sie alle an einem Tag oder innerhalb weniger Tage entstanden.
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Auffällig ist, dass neben den Hakenkreuz-Fahnen auch das Logo der nationalsozialistischen Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF) zu sehen ist. KdF war die Freizeitorganisation der Nazis. Aktivitäten wie Theaterbesuche, Erholungsurlaube, Rundfahrten und sogar Kreuzfahrten zu günstigen Preisen waren Teil der Bemühung des NS-Regimes, die Bevölkerung zu einer Volksgemeinschaft zusammenzuschweißen. Den Menschen wurde vorgegaukelt, sie lebten in einer „Wohlfühldiktatur“.
Einmal im Jahr lud die „KdF“ zu einer Jahrestagung nach Hamburg ein, der Hafenstadt, in der die KdF-Luxusdampfer in See stachen. Daher die Annahme, dass die Fotos höchstwahrscheinlich während einer dieser Tagungen aufgenommen wurden. Entweder 1938 oder 1939.
Zu kaufen gab es den neuentwickelten Afga-Farbfilm erst ab Oktober 1936
Viel früher kann es nicht gewesen sein, denn der Film, den der Fotograf verwendete – ein Agfacolor-Neu-Farbumkehrfilm – wurde erst am 11. April 1935 patentiert – nur drei Tage bevor US-Konkurrent Kodak mit einem ähnlichen Verfahren herauskam. Zu kaufen gab es ihn ab Oktober 1936. Dabei handelte es sich um den ersten modernen Farbfilm der Geschichte. Er war so teuer, dass ihn sich nur wenige Privatpersonen leisten konnten, daher sind auch nur wenige Farbfotos aus dieser Zeit überliefert.
Wie ist Ralf Klee an diese Bilder bekommen? „Inzwischen habe ich mir in Sammlerkreisen bundesweit einen Namen gemacht. Viele wissen, dass ich vor allem frühe Farbaufnahmen aus Hamburg suche – und so kam eines Tages jemand aus München auf mich zu und bot mir diesen Foto-Schatz an: Insgesamt rund 30 Dias. Ich war so begeistert – ich konnte gar nicht anders, als sie zu erwerben“, so Klee.
Bewahren, erforschen, sichern – darum geht es ihm. „Ich will verhindern, dass alte Aufnahmen in der Mülltonne verschwinden“, sagt Klee. „Die Fotos sind ein Stück unserer Geschichte, unserer Kultur. Ich will sie erhalten und anderen Menschen zugänglich machen.“
Ralf Klees Opa war der HSV-Fußballer Ernst Seikowski (1917-1986)
Angefangen hat Klees Sammelleidenschaft vor zwei Jahrzehnten mit den Fotos seines Großvaters. Er sichtete sie, scannte sie ein, systematisierte sie: Ernst Seikowski (1917-1986) – so hieß der Opa – erlangte zwar nicht die Popularität eines Uwe Seeler, war aber doch ein recht bekannter HSV-Fußballer und hat überall, wo er mit seiner Mannschaft zu Gast war, Fotos gemacht.

„Mein Großvater kam aus Wilhelmsburg“, erzählt Klee, „hat schon als 16-Jähriger beim RSV Einigkeit in der Ligamannschaft gespielt, bevor er 1939 zum HSV ging, mit dem er 1944/45 die letzte ,Gaumeisterschaft‘ des NS-Fußballs gewann.“ Seikowski war ein schussgewaltiger und überaus kopfballstarker Spieler, der vielfältig einsetzbar war, ob als Linksaußen, linker Verteidiger oder als Mittelläufer.
Was mit den alten Fotos vom Opa begann, hat inzwischen ziemliche Ausmaße angenommen: Auf rund 50.000 Bilder schätzt Klee den Umfang seiner Fotosammlung. Und es sind einzigartige Aufnahmen darunter.
Sammler Ralf Klee wird bei Ebay und auf Flohmärkten fündig
Als wir Ralf Klee fragen, welche Bilder ihm die liebsten sind, da findet er bei seiner Aufzählung gar kein Ende: „Da gibt es spektakuläre frühe Farbaufnahmen von Navajo-Indianern – ich habe 3-D-Bilder von einem Spiel zwischen Union Altona und dem HSV 1924 in dem längst verschwundenen Stadion am Kreuzweg – da ist eine Farbaufnahme von Mussolini und Hitler, die entstanden ist, als die beiden Diktatoren 1938 anlässlich des Münchner Abkommens durch die bayerische Hauptstadt fahren – ich habe Farbfotos vom Empfang der Fußball-Weltmeister 1954 in Deutschland – und sogar Farbfotos von der Sturmflut 1962.“
Fündig wird Klee bei Ebay oder auf Flohmärkten. Manchmal melden sich Bürger, die nichts mit den Fotoschätzen ihrer Vorfahren anzufangen wissen und schon drauf und dran waren, alles wegzuwerfen. Bei Ralf Klee sind alte Fotos immer in guten Händen.
Falls auch Sie beim Entrümpeln auf spannende Bilder stoßen – wir stellen gerne den Kontakt her: olaf.wunder@mopo.de