Trendsetter: Wie oft Hamburg seiner Zeit schon weit voraus war
Die Hamburger sind stolz auf ihre Stadt. Und das können sie auch sein. Die Hansestadt ist weltoffen und liberal und Neuerungen gegenüber traditionell immer aufgeschlossen. So erklärt es sich auch, dass die Stadt ganz oft zum Vorreiter wurde, zum Trendsetter. Hamburg hatte den ersten Paternoster, den erste Blitzableiter, die erste richtige Tankstelle und den ersten Ruderclub – immer wieder war die Stadt ihrer Zeit weit voraus. Hier ein Überblick:
1. Mai 1886: Erster Paternoster in Kontinentaleuropa
Proletenbagger wurde der Paternoster in Hamburg früher spöttisch genannt, weil mit ihm die Angestellten und Arbeiter fuhren – während es für die Chefs schon richtige Aufzüge gab.
- Deutsch (Deutschland)
MOPO+ Abo
für 1,00 €Jetzt sichern!Neukunden lesen die ersten 4 Wochen für nur 1 €!Unbeschränkter ZugangWeniger Werbung
Danach nur 7,90 € alle 4 Wochen
Wenn Sie E-Paper Kunde sind, betrifft diese Änderung Sie nicht.
Die Hamburger sind stolz auf ihre Stadt. Und das können sie auch sein. Die Hansestadt ist weltoffen und liberal und Neuerungen gegenüber traditionell immer aufgeschlossen. So erklärt es sich auch, dass die Stadt ganz oft zum Vorreiter wurde, zum Trendsetter. Hamburg hatte den ersten Paternoster, den erste Blitzableiter, die erste richtige Tankstelle und den ersten Ruderclub – immer wieder war die Stadt ihrer Zeit weit voraus. Hier ein Überblick:
1. Mai 1886: Erster Paternoster in Kontinentaleuropa
Proletenbagger wurde der Paternoster in Hamburg früher spöttisch genannt, weil mit ihm die Angestellten und Arbeiter fuhren – während es für die Chefs schon richtige Aufzüge gab.
Der erste bekannte Paternoster der Welt wird 1876 in das General Post Office in London eingebaut. Er entspricht noch nicht vollständig der späteren Technik und dient zunächst auch nur dem Transport von Paketen.
1882 entwickelt der Engländer Peter Hart die Idee eines Umlaufaufzuges für Personen, den Cyclic Lift. Er wird von der Firma J. E. Hall 1884 erstmals installiert.
Zwei Jahre später, am 1. Mai 1886, ist auch Hamburg dran: Der Dovenhof an der heutigen Willy-Brandt-Straße (Alstadt) wird eingeweiht, der Prototyp aller Hamburger Kontorhäuser. Er ist mit modernster Technik ausgestattet: Es gibt Dampfheizung und elektrische Beleuchtung – und für die Personenbeförderung zwischen den Stockwerken den ersten Paternoster Kontinentaleuropas.
Betrieben wird er anfangs mit Dampf. Er fährt so langsam, dass ihn selbst Greise ohne Bedenken benutzen können. Im Dezember 1886 kommt es dennoch zu einem Unglück, bei dem einem älteren Mann beim Aussteigen ein Bein zerquetscht wird. Kurze Zeit später widerfährt einem Mädchen dasselbe Schicksal.
Der Dovenhof wird 1967 abgerissen. Auf dem Grundstück steht noch heute das Gebäude, das von 1969 bis 2011 das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ nutzte.
Übrigens: 2018 wird im Flüggerhaus in der Altstadt ein 1908 erbauter Paternoster hinter einer Wandverkleidung wiederentdeckt. Er gilt als ältester erhaltener Paternoster der Welt.
14. November 1925: Erste moderne Ampel weltweit
In den 1920er Jahren droht Hamburg ein Verkehrskollaps. Die Zahl der Kraftfahrzeuge in der Millionenmetropole wächst. Hinzu kommen Fußgänger, Pferdefuhrwerke und Radfahrer. Großes Chaos herrscht vor allem an den Kreuzungen.
Da kommt die Erfindung des Hamburger Ingenieurs Paul Arnheim wie gerufen. Am 14. November 1925, einem Sonnabend, wird an der Ecke Mönckebergstraße/Glockengießerwall, direkt gegenüber vom Museum für Kunst und Gewerbe, die erste Ampel in Betrieb genommen.
Lichtzeichenanlagen zur Regelung des Verkehrs gibt es schon länger. 1868 wird die erste in London aufgestellt. Sie funktioniert jedoch nach einem ganz anderen Prinzip. Das gilt auch für die Ampel, die im Herbst 1924 am Potsdamer Platz in Berlin in Betrieb geht: Sie ist an einem Uhrenturm befestigt und wird in luftiger Höhe von Polizisten bedient.
Paul Arnheim kann für sich in Anspruch nehmen, das erste Mastlichtsignal Europas entwickelt zu haben: Eine Ampel also, die an einem Laternenmast angebracht ist und die rotes, gelbes und grünes Licht zeigt – exakt so wie heute. Schon bald wird dieses Modell an vielen Hamburger Kreuzungen installiert. Und auch in Bremen, Dresden, Hagen, Berlin und München regeln Arnheims Apparate bald den Verkehr.
Im September 1935 flieht Arnheim – er ist Jude – nach Palästina und stirbt am 30. September 1957 in Tel Aviv.
3. August 1769: Europas erster Blitzableiter auf St. Jacobi
Kein Geringerer als der Verleger, Staatsmann und Naturwissenschaftler Benjamin Franklin (1706-1790) – einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten – erfindet in den 1750er Jahren den Blitzableiter. Seine Idee, metallische Stangen an Häusern und Kirchen zu installieren, um die elektrische Energie von Blitzen abzuleiten, zündet auch in Europa.
Während eines Aufenthalts in England hört der Arzt und Naturforscher Johann Albert Heinrich Reimarus (1729-1814) davon. Zurück in Hamburg kann Reimarus das Große Kirchenkollegium davon überzeugen, eine solche Anlage testweise am Turm von St. Jacobi zu installieren.
Der Beschluss wird am 3. August 1769 gefasst – und im August 1770 ist der Hamburger Bleidecker Matthias Andreas Mettlerkamp (1739-1822) fertig mit seiner Arbeit. In den folgenden Jahren werden sämtliche Kirchen und öffentlichen Gebäude Hamburgs mit Blitzableitern ausgestattet.
Übrigens: Mettlerkamps Firma, DHW Schultz & Sohn, gibt es noch heute – sie ist 296 Jahre alt, der älteste Handwerksbetrieb der Stadt und stolz darauf, den ersten Blitzableiter Europas installiert zu haben.
7. Mai 1907: Weltweit erster Tierpark ohne Gitter
Das hat es noch nicht gegeben. Und die Hamburger machen sich anfangs auch große Sorgen: Ein Tierpark ohne Käfige? Ist das nicht gefährlich?
Am 7. Mai 1907 wird in Stellingen der Tierpark Hagenbeck eingeweiht – der erste Zoo, der ohne Gitter auskommt. Gründer Carl Hagenbeck präsentiert exotische Tiere in großzügigen Freigehegen in einer wenigstens annährend artgerechten Umgebung. Gräben sorgen dafür, dass die Löwen und die Tiger nicht über die Besucher herfallen.
Der Tierpark Hagenbeck wird zum Vorbild für alle zoologischen Gärten des 20. Jahrhunderts. Aber noch in anderer Hinsicht ist er Vorreiter: Neben den gitterlosen Gehegen erfindet Hagenbeck auch die sogenannten Völkerschauen. Menschen exotischer Völker wie Tiere zur Schau zu stellen – ein Geschäft, das damals viel Geld einbringt und heute nur Kopfschütteln auslöst.
30. August 1949: Erster Supermarkt Deutschlands
Viele Kunden, die das neue Geschäft an der Straße Beim Strohhause (St. Georg) betreten, sehen zum ersten Mal in ihrem Leben eine Drehtür. Manche gehen nur zögerlich hindurch, andere ziehen es vor, auf dem Absatz kehrtzumachen. Doch als die Berührungsängste überwunden sind, wird der Laden mit der Bezeichnung „S 1“ zum umsatzstärksten der ganzen „Pro“-Kette. „S“ steht für Selbstbedienung. Es ist der erste Supermarkt in Deutschland.
Die „Konsumgenossenschaft Produktion“ ist schon lange eine Institution in Hamburg. Die „Pro“, ein Unternehmen in Arbeiterhand, dominiert ab 1910 den Einzelhandel in der Stadt. Über ganz Hamburg verteilt besitzt die Genossenschaft mehr als 100 Lebensmittelgeschäfte, verfügt über eine eigene Großbäckerei, eine eigene Großschlachterei, ja, sie baut sogar bezahlbaren Wohnraum.
Nach dem Krieg versucht die „Pro“, an die guten alten Zeiten anzuknüpfen – und wird zum Wegbereiter der Selbstbedienung in Deutschland. Die anfangs häufig geäußerte Sorge, die Selbstbedienung werde die Menschen zum Diebstahl verleiten, erweist sich als unbegründet. Das neue Einkaufsprinzip führt nicht zu Verlusten. Ganz im Gegenteil: Der Umsatz wächst rasant. Bald drängen immer mehr private Einzelhandelsketten auf den Markt, und weil auch sie auf Selbstbedienung setzten, ist das Alleinstellungsmerkmal schnell passé.
Angesichts wachsender Konkurrenz schließt sich die „Pro“ in den 70er Jahren gemeinsam mit vielen anderen deutschen Genossenschaftsbetrieben zur Coop-AG zusammen, die schließlich in einem Sumpf aus Missmanagement und Bilanzmanipulationen untergeht. 1989 wird sie liquidiert.
11. August 1927: Die erste deutsche Großtankstelle
Zu Beginn des Automobilzeitalters sind es Apotheken, die das Benzin verkaufen. Später bieten auch Drogisten, Krämer und Gastwirte Sprit an, den sie in Fässern lagern und kannenweise an die Besitzer an die Besitzer der Kraftdroschken abgeben.
Es ist schon eine kleine Revolution, als am 11. August 1927, einem Donnerstag, an der Hudtwalckerstraße in Winterhude die erste markengebundene Großtankstelle Deutschlands entsteht.
Sie wird errichtet und betrieben von der in Hamburg ansässigen Deutsch-Amerikanischen Petroleum-Gesellschaft (DPAG), dem Vorläufer des heutigen Esso-Konzerns. Diese erste Tankstelle verfügt über all die Merkmale, die auch heute noch Tankstellen auszeichnen: Es gibt eine Zu- und Abfahrt, ein Dach auf zwei Stützpfeilern sorgt dafür, dass sowohl Autofahrer als auch Personal vom Schmuddelwetter verschont bleiben und auf einer Tankinsel finden sich die Zapfsäulen. Selbstbedienung gibt es noch nicht. „Tankwart“, so heißt der neue Beruf. Wer ihn ausübt, trägt Mütze und Uniform und füllt selbstverständlich nicht nur den Tank auf, sondern kontrolliert auch gleich den Reifendruck und den Ölstand.
3. Januar 1898: Erster Poloclub in Deutschland
Das Polospiel entsteht etwa um 600 v. Chr. in Persien, Afghanistan und Kaschmir, breitet sich später nach Indien aus, wo britische Kolonialoffiziere Gefallen daran finden und den Sport mit in die Heimat nehmen.
Nach Hamburg kommt Polo durch den deutschen Delegationsrat Ernst von Heintze-Weißenrode, der das Spiel in Argentinien kennen und lieben lernt und am 3. Januar 1898 den Hamburger Polo Club gründet, den heute ältesten in Deutschland.
1927 kauft der Warenhausmillionär und Kunstsammler Dr. Max Emden – seit 1905 selbst aktives Club-Mitglied – das gesamte Pologelände in Klein Flottbek und verpachtet es an den Verein. Außerdem stiftet Emden das heutige Clubhaus, das 1927/28 im Stil des Neuen Bauens errichtet wird.
Aufgrund seiner jüdischen Herkunft wird Emden 1935 zum Verkauf seiner Klein Flottbeker Ländereien weit unter Wert gezwungen. 1935 wird der Polo Club „gleichgeschaltet“ und bildet fortan Mitglieder der SA- und SS-Reiterstaffeln aus. 1936 vertritt er Deutschland bei den Olympischen Spielen in Berlin.
10. Januar 1911: Ältester Flughafen Deutschlands
Zunächst gar nicht für Flugzeuge, sondern für die viel größeren Stars der Lüfte wird der Fuhlsbütteler Flughafen gegründet: für die Zeppeline. Am 10. Januar 1911 konstituiert sich die Hamburger Luftschiffhallen GmbH, was heute als Geburtsstunde des ältesten deutschen Flughafens gilt.
Ein 44,8 Hektar großes Gelände in dem damals vor den Toren der Stadt gelegenen Dorf Fuhlsbüttel erweist sich als geeigneter Standort. Im Jahr darauf wird die Zeppelinhalle mit einem großen Volksfest eingeweiht. Aus diesem Anlass kommt als erstes Luftschiff die 148 Meter lange „Viktoria Luise“ zu Besuch. Von jetzt an sind die mit Wasserstoff gefüllten „Zigarren“ immer wieder am Himmel über Hamburg zu sehen.
Die Geschichte der Luftschifffahrt endet am 6. Mai 1937, als die „Hindenburg“ bei der Landung in Lakehurst (US-Bundestaat New Jersey) Feuer fängt und explodiert. Die Geschichte der Luftfahrt dagegen hat gerade erst begonnen. Schon seit 1913 wird der Landeplatz in Fuhlsbüttel auch von Flugzeugen genutzt. 2019 – also vor Corona – zählte der Flughafen 17,3 Millionen Passagiere – also 47.000 jeden Tag.
16. Juli 1836: Erster Ruderclub in Deutschland
Es sind junge englische Kaufleute, die Anfang des 19. Jahrhunderts das Ruder mit nach Hamburg bringen. Die englischen Boote sind den typischen Alsterbooten an Schnelligkeit weit überlegen. Mit Bewunderung beobachten die Einheimischen, mit welcher Geschwindigkeit die Briten über die Alster fliegen.
Junge reiche Hamburger fühlen sich angespornt und herausgefordert. Sie wollen sich mit ihren Altersgenossen aus England messen – und gründen am 16. Juli 1836 den Hamburger Ruder Club (DHRC). Dies ist die Geburtsstunde des Ruderns in Hamburg. Das erste Sportgerät ist ein gebrauchtes Boot, das aus England importiert wird.
Das könnte Sie auch interessieren: Sensationelle Entdeckung! Archäologen spüren das untergegangene Altona auf
1853 gründen Schüler einen weiteren Verein: den Germania Ruder Club (GRC). Neben vielen Siegen auf nationalen und internationalen Regatten stellt der Gewinn der olympischen Goldmedaille im Jahr 1900 einen Höhepunkt der frühen Vereinsgeschichte dar. 1934 schließen sich die Vereine zusammen zum „Hamburger und Germania Ruder Club” – der von seinen Mitgliedern kurz „Der Club” genannt wird. Er ist nicht nur einer der ältesten Sportvereine in Hamburg, sondern auch der zweitälteste Ruderclub der Welt.