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  • Heinrich-Bauer-Verlag: Die ehemalige Unternehmenszentrale im Kontorhausviertel. Hier wurden ab 1943 Zwangsarbeiter untergebracht
  • Foto: Bauer Media Group

NS-Vergangenheit: Großer Hamburger Verlag stellt sich seiner Geschichte

Vergilbtes Papier. Viele Tausend Seiten. Berichte, Protokolle, Briefe, Listen.  Dokumente aus jahrzehntealten Wiedergutmachungs-  und Entnazifizierungsverfahren. Die Akten lagern im Hamburger Staatsarchiv und ihr Inhalt ist hoch brisant, denn es geht um nicht weniger als das Vermächtnis eines herausragenden Hamburger Zeitschriftenverlegers. Es geht um die Frage, wie sehr hat Alfred Bauer (1898-1984), Großvater der heutigen Verlagschefin Yvonne Bauer, Vorteile gezogen aus der Hitler-Diktatur, dem Holocaust und dem Krieg.

Die Bauer Media Group: 145 Jahre nach der Gründung ein Global Player. Der größte Zeitschriftenverlag Europas, der längst nicht mehr nur in Deutschland tätig ist, sondern auch in Polen, Großbritannien und den USA zu den Marktführern gehört.

Familienunternehmen: Yvonne Bauer übernahm 2010 die Leitung von Vater Heinz.

Yvonne und Heinz Bauer: 2010 übernahm die Tochter die Geschäftsführung von ihrem Vater Heinz. 

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picture alliance / dpa

Bauer-Verlag: Keine Worte zur NS-Zeit auf der Homepage

Wer sich auf der Homepage die Darstellung zur Unternehmensgeschichte durchliest, dem fällt schnell auf, dass eine merkwürdige Lücke klafft:  1926 habe der Verlag eine Radiozeitschrift namens „Rundfunk-Kritik“ auf den Markt gebracht, steht da geschrieben, und schon im darauffolgenden Satz heißt es: „Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitet sich der Verlag mit Programm- und Jugendzeitschriften an die Spitze …“

Kein Wort zur NS-Zeit. So, als hätte der Heinrich-Bauer-Verlag während des Nationalsozialismus Betriebsferien gemacht.

Neuer Inhalt

Verleger Alfred Bauer (1898-1984)

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picture-alliance / dpa

Verlagsgebäude wurde zum Zwangsarbeiterlager

Jetzt geben die vielen vergilbten Akten Klarheit darüber, welche Rolle Alfred Bauer im Dritten Reich wirklich spielte. Am 23. Dezember 1943 beispielsweise wurden Teile seines Verlagsgebäudes vom Arbeitsamt requiriert und in ein Zwangsarbeiterlager für italienische Kriegsgefangene verwandelt – gegen 1300 Reichsmark Miete pro Monat. Ob Bauer sich dagegen gewehrt hat, ist nicht bekannt. Es hätte aber auch keinen Sinn gehabt. Nach dem „Reichsleistungsgesetz“ war er verpflichtet, die Räume zur Verfügung zu stellen.

Für die 700 Zwangsarbeiter, die bis 1945 dort gegen ihren Willen untergebracht waren und deren Arbeitskraft gnadenlos ausgebeutet wurde, wird es am kommenden Dienstag vor der Zentrale der Bauer Media Group an der Burchardstraße im Kontorhausviertel eine Gedenkveranstaltung geben.

Kriegsgefangene mussten Tag für Tag am Hafen schuften

Auch ein Vorstandsmitglied der Bauer Media Group, Harald Jessen, wird teilnehmen. Der Umgang mit den italienischen Militärinternierten während der nationalsozialistischen Diktatur empfinde man „als menschenverachtend und beschämend“, so ließ der Verlag vorab wissen.

Die Kriegsgefangenen mussten Tag für Tag im Hafen schuften, vermutlich wurden sie in erster Linie zur Beseitigung von Bombentrümmern eingesetzt. Einige überlebten die Torturen nicht, kamen bei Unfällen ums Leben oder wurden so schwer misshandelt, dass sie starben. 

Kundgebung am Dienstag um 17.30 Uhr in der Burchardstraße

Zu der Kundgebung am Dienstag, 8. September (ab 17.30 Uhr, Burchardstraße 11), lädt unter anderem die Initiative „Kein Vergessen im Kontorhausviertel“ ein, deren Sprecher Holger Artus (65),  ehemaliger langjähriger  Betriebsratschef der MOPO,  in seinem Ruhestand angefangen hat, vergessene Kapitel von Hamburgs NS-Geschichte zu erforschen. Artus ist es gewesen, der über viele Monate Akten im Staatsarchiv sichtete. Dabei fand er die Unterlagen über das Kriegsgefangenenlager, aber auch jede Menge Dokumente, die Auskunft geben über Alfred Bauers Rolle in der NS-Zeit. 

Alfred Bauer: So erklärt er seine NSDAP-Mitgliedschaft

Aus den Entnazifizierungsakten von Alfred Bauer: Er behauptet, er sei gegen seinen Willen NSDAP-Mitglied geworden. Er habe dem Druck nicht mehr standhalten können.

Foto:

Holger Artus/hfr

Alfred Bauer: NSDAP-Mitglied wider Willen?

Darunter die Fragebögen, die Bauer nach Kriegsende beim Entnazifizierungsausschuss einreichte: Dort schreibt er, er sei von den braunen Machthabern drangsaliert worden und 1940 nur deshalb der NSDAP beigetreten, weil er so die Enteignung des Unternehmens abwenden wollte. Alfred Bauer, das NS-Opfer…

Wahrheit? Oder vielleicht doch eher Legende?

Bauer gab mit der „Funk-Wacht“ eine der größten deutschen Rundfunkzeitschriften der 30er Jahre heraus, was nicht möglich gewesen wäre, hätte er in Opposition zur Führung gestanden. Im selben Ausmaß, wie der Nationalsozialismus sich des Rundfunks als Propagandainstrument bediente, wuchs auch die Auflage der „Funk-Wacht“: von anfangs 40 000 auf dann rund 400 000 Exemplare. So wurde aus dem Kleinverlag ein bedeutendes Unternehmen – dank Hitler & Co.

"Funk-Wacht", eine Rundfunkzeitschrift des Heinrich-Bauer-Verlag in den 30er Jahren

Die „Funk-Wacht“ war eine der erfolgreichsten Rundfunkzeitschriften den 30er Jahre. Herausgegeben vom Heinrich-Bauer-Verlag

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Holger Artus/hfr

Es spricht einiges dafür, dass sich die „Funk-Wacht“ sehr devot in den Dienst der neuen Machthaber stellte. Regelmäßig groß auf dem Titel abgebildet: Diktator Hitler. Schon 1933, also im Jahr der NS-Machtübernahme, druckte die „Funk-Wacht“ einen Fortsetzungsroman, der vor Nazi-Propaganda nur so strotzt: „Das Ende des Eisernen Mannes“. Im Mittelpunkt steht eine Gruppe von unfähigen und korrupten Sozialdemokraten, die im KZ landen, wo sie durch körperliche Arbeit geläutert werden …

Für Medien-Historiker Karl Christian Führer wirft diese Veröffentlichung Fragen auf. „Es hätte kein Hahn danach gekräht, wenn die ,Funk-Wacht‘ einfach einen weiteren Unterhaltungsroman publiziert hätte. Sie publizierte plötzlich einen Roman, der die Diktatur legitimiert, rechtfertigt und die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten befürwortet.“ Warum? Um sich bei den Machthabern lieb Kind zu machen?

Ein Blick in Alfred Bauers Entnazifizierungsakten: Sein Einkommen nahm in der NS-Zeit zu

Alfred Bauers Einkommen nahm in der NS-Zeit erheblich zu. Das zeigen die Entnazifizierungs-Akten, die im Staatsarchiv lagern.

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Holger Artus/hfr

Immobilienkäufe: Profitierte Bauer von der „Arisierung“?

Alfred Bauers Vermögen wuchs in diesen Jahren deutlich und er investierte sein Geld in Immobilien. Die Akten aus dem Staatsarchiv legen den Schluss nahe, dass dabei nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Insgesamt acht Immobilien kaufte Bauer in den 30er Jahren, davon sind mindestens zwei zuvor im Besitz von jüdischen Eigentümern gewesen. Was die Sache verdächtig macht: Bauer erwarb die beiden Häuser im Jahr 1938, als der Nazi-Terror den Juden gar keine andere Wahl mehr ließ, als ihr Eigentum zu verscherbeln und das Land zu verlassen, wenn sie nicht ihr Leben riskieren wollten.

Hat Alfred Bauer Profit geschlagen aus der Arisierung jüdischen Besitzes?

Alfred Bauer kaufte in der NS-Zeit jüdischen Immobilienbesitz auf - für geringe B

Alfred Bauer kaufte in der NS-Zeit jüdischen Immobilienbesitz auf. Profitierte er von „Arisierung“?

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Holger Artus/hfr

Der Historiker Frank Bajohr nennt das, was 1938 in Hamburg geschah, einen „Bereicherungswettlauf“: Nazis rissen sich um die letzten jüdischen Immobilien und Firmen, die noch zu haben waren. Bajohr: „Korruption und Nepotismus bestimmten den Charakter der ,Arisierungen‘ in dieser Phase. Zahlreiche Funktionsträger der Hamburger NSDAP bereicherten sich an jüdischem Eigentum, und der NSDAP-Gauleiter Karl Kaufmann nutzte die ,Arisierungen‘ als willkommene Einnahmequelle, indem er von Eigentümern und Erwerbern ,Arisierungsspenden‘ verlangte, die er zur Finanzierung der NSDAP und seiner persönlichen Günstlinge verwendete.“

Bauer Anwälte: Für die Häuser wurde angemessener Preis gezahlt

Bauers Anwälte behaupteten nach dem Krieg, für die Häuser sei ein angemessener Preis gezahlt worden. Das sahen die ehemaligen Eigentümer, inzwischen in den USA ansässig, ganz anders und deshalb klagten sie auf Wiedergutmachung. Paul Dessauer, ehemals Betreiber eines Textilhandelshauses an der Hoheluftchaussee, gab an, er habe seine Immobilie – mit 660 Quadratmeter Fläche nicht gerade klein – unter Zwang verkauft.  90 000 Mark zahlte Bauer dafür, weniger als die Hälfte dessen, was das Geschäftshaus wert war. Übrigens: Selbst von dieser geringen Summe sah Dessauer so gut wie nichts, weil die Nazis von ihm bei seiner Ausreise die Zahlung von „Reichsfluchtsteuer“ und eine „Judenvermögensabgabe“ verlangten. Ein Beispiel dafür, wie Juden damals „legal“ ausgeplündert wurden.

Bauer zahlte in den 50er Jahren 54.000 Mark Entschädigung

Der Rechtsstreit zwischen Dessauer und Bauer endete Anfang der 50er Jahre mit einem Vergleich: Dessauer erhielt eine Entschädigung in Höhe von 54.000 Mark. In einem anderen Wiedergutmachungsverfahren – dabei ging es ebenfalls um ein Haus an der Hoheluftchaussee – zahlte Bauer 15.000 Mark an den Vorbesitzer.

Der Jude Paul Dessauer verklagte Alfred Bauer nach 1945 auf Wiedergutmachung

Einer der Juden, von denen Alfred Bauer eine Immobilie erworben hatte, klagte nach 1945 auf Wiedergutmachung. Er habe unter Druck verkauft – weit unter Wert

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Holger Artus/hfr

Alfred Bauer und das Dritte Reich. Eine Geschichte, die darauf wartet, weiter erforscht zu werden. Nachdem andere große Verlagshäuser wie DuMont und Bertelsmann längst die NS-Firmenhistorie offengelegt haben, hat sich nun auch die Bauer Media Group entschieden, nachzuziehen. Schon vor ein paar Monaten versprach das Unternehmen, einen Historiker einzusetzen, der Licht ins Dunkle der Verlagsgeschichte bringen soll, was bisher allerdings durch Corona verhindert wurde.

Verlag engagiert Historiker, um NS-Geschichte zu erforschen

Fragebogen der britischen Besatzungsbehörden: die Entnazifizierung Alfred Bauers

Die Entnazifizierung von Alfred Bauer: Hier ein Fragebogen der britischen Besatzungsbehörden.

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Holger Artus/hfr

Der Verlag hoffe, so Unternehmenssprecher Arnd Wagner gegenüber der MOPO, „noch in diesem Jahr einen entsprechenden Auftrag zu vergeben. Unser Wunsch ist, dass die Arbeiten unmittelbar danach beginnen.“

Ein Unternehmen stellt sich seiner Vergangenheit. Spät, aber immerhin.

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