Max Brauer: Der Mann, den Nazi-Agenten quer durch Europa jagten
Wenn es diesen Titel nicht schon gäbe, auf eine Verfilmung des Lebens von Max Brauer würde er passen: „Staatsfeind Nummer eins“. In der Weimarer Republik war er einer der einflussreichsten demokratischen Politiker überhaupt. Deshalb musste er fliehen, als Adolf Hitler an die Macht kam. Nazi-Agenten jagten Brauer quer durch Europa. Er flüchtete nach China und in die USA und hatte Glück, dass Hitler seiner nicht habhaft wurde. Er hätte es nicht überlebt.
- Deutsch (Deutschland)
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Wenn es diesen Titel nicht schon gäbe, auf eine Verfilmung des Lebens von Max Brauer würde er passen: „Staatsfeind Nummer eins“. In der Weimarer Republik war er einer der einflussreichsten demokratischen Politiker überhaupt. Deshalb musste er fliehen, als Adolf Hitler an die Macht kam. Nazi-Agenten jagten Brauer quer durch Europa. Er flüchtete nach China und in die USA und hatte Glück, dass Hitler seiner nicht habhaft wurde. Er hätte es nicht überlebt.
Max Brauer gehört zu den ganz großen Persönlichkeiten der Hamburger Geschichte. Seine politische Karriere – wenige wissen das heute noch – begann lange vor dem Zweiten Weltkrieg. Bald 100 Jahre ist es her, dass Brauer am 31. März 1924 zum Oberbürgermeister der damals noch eigenständigen Stadt Altona gewählt wurde. Er war damals gerade mal 36 Jahre alt.
Bürgermeister Tschentscher enthüllt an Brauers einstigem Wohnsitz eine Gedenktafel
Ab 1946 leitete Brauer dann als erster frei gewählter Bürgermeister Hamburgs nach dem Krieg den Wiederaufbau der schwer zerstörten Stadt – zweifellos seine größte Lebensleistung. Um seine Verdienste um das Gemeinwohl zu würdigen, enthüllte vor wenigen Tagen Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) am langjährigen Wohnsitz Brauers an der Straße An der Alster eine Gedenktafel.
Der Historiker Holger Martens, der aus diesem Anlass eine Rede hielt, sagte: „Brauers Motivation Politik zu gestalten und die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern, hatte zweifellos mit seiner Herkunft zu tun.“
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Max Brauer stammte aus einfachsten Verhältnissen. Geboren wurde er am 3. September 1887 in Ottensen als Sohn eines Glasbläsers. Das achte von 13 Kindern träumte davon, Lehrer zu werden, aber obwohl er gute Noten hatte und in jeder freien Minute Bücher verschlang, verbot ihm sein Vater, die höhere Schule zu besuchen. Dabei hatte sich sogar der Rektor der Schule dafür eingesetzt, den Jungen weiter zur Schule zu schicken. Es blieb Brauer keine andere Wahl: Als 14-Jähriger begann auch er eine Ausbildung zum Glasbläser.
Max Brauer kam aus einfachsten Verhältnissen: Das achte von 13 Kindern
1904 trat Brauer in die Glasarbeiter-Gewerkschaft ein, 1905 wurde er SPD-Mitglied und galt bald als engagierter Streikführer. „Der junge Brauer trat dem Fabrikbesitzer unerschrocken entgegen und schleuderte ihm die Wahrheit ins Gesicht. War es ein Wunder, wenn er allen Unternehmern ein Dorn im Auge war, da er sie als Hyänen bezeichnete?“, erinnerte sich ein Zeitzeuge.
Brauer musste den erlernten Beruf aufgeben, weil er auf einer schwarzen Liste der Glasfabrikanten stand und nirgendwo mehr eine Anstellung fand.
Die Revolution von 1918/19, die zur Errichtung einer demokratischen Republik führte, brachte viele neue und vor allem junge Menschen in politische Verantwortung: Max Brauer wurde mit 31 Jahren Stellvertreter des Altonaer Oberbürgermeisters Bernhard Schnackenburg und nach dessen Tod am 31. März 1924 zu dessen Nachfolger gewählt. Altona, damals noch selbständige preußische Stadt, gehörte mit 200.000 Einwohnern zu den 25 größten deutschen Städten. Als Oberbürgermeister, als Mitglied des schleswig-holsteinischen Provinziallandtags und als Vertreter Schleswig-Holsteins im preußischen Staatsrat zählte Brauer zu den profiliertesten Politikern in Norddeutschland.
Brauer sorgte für Schulen und bezahlbaren Wohnraum und gründete die SAGA
Wie konnte es ein Mann mit Volksschulbindung so weit bringen? „Max Brauer verfügte über ausgeprägte autodidaktische Fähigkeiten, die es ihm ermöglichten, sein Wissen auf den verschiedensten Gebieten zu erweitern“, so Historiker Holger Martens. „Er selbst sagte 1924: ,Ich habe, wie viele junge Arbeiter, gehungert und gedürstet nach Bildung und Wissen‘.“
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Bildungsmöglichkeiten zu schaffen, kulturelle Teilhabe zu ermöglichen und das Wohnungselend zu bekämpfen, das waren Brauers politische Ziele. Er setzte mit Bauprojekten Maßstäbe: Schulen, Kindergärten, ein Arbeitsamt und gute, bezahlbare Wohnquartiere für Arbeiter entstanden. Vom „Neuen Altona“ war bald die Rede. Dazu gehörte auch die Gründung der Siedlung-Aktiengesellschaft Altona, kurz SAGA, die als kommunales Wohnungsunternehmen auch für Arbeiterhaushalte bezahlbaren Wohnraum schaffen sollte. Brauer legte damals in Altona den Grundstein für die SAGA-Unternehmensgruppe, die heute das größte und erfolgreichste kommunale Wohnungsunternehmen in der Bundesrepublik ist.
Als im Januar 1933 Adolf Hitler das Amt des Reichskanzlers antrat, wurde für den jungen Oberbürgermeister von Altona die Lage von Tag zu Tag gefährlicher. Der Politiker war einer der angesehensten und erfolgreichsten Sozialdemokraten im Reich – genau das machte ihn so gefährlich für die Nazis. Zunächst wagten sie es nicht, ihn physisch anzugehen. Stattdessen versuchten sie, seinen Ruf zu zerstören. Korruptionsvorwürfe wurden konstruiert: Brauer und seinem Kultursenator August Kirch wurde zur Last gelegt, sie hätten vom ehemaligen Intendanten des Schiller-Theaters, Max Ellen, Geld und Geschenke angenommen, und als Gegenleistung seien städtische Subventionen geflossen.
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- Erich Andres Eine Aufnahme vom 22. November 1946: Der frischgewählte Bürgermeister Max Brauer am Tag der Vereidigung seines Senats. Das Bild ist vor dem Hamburger Rathaus aufgenommen.
- dpa Bürgermeister Max Brauer gemeinsam mit seiner Ehefrau Erna. Mit ihr hatte Brauer eine Tochter und zwei Söhne, von denen einer als Kleinkind starb.
- Staatsarchiv Hamburg Max Brauer zu Gast auf dem Hamburger Presseball. Undatiertes Archivbild.
- Staatsarchiv Hamburg Max Brauer reist 1963 in die USA, wo seine Kinder leben. Eine Aufnahme auf dem Hamburger Flughafen.
- Erika Krauß Max Brauer in den späten 60er Jahren bei einem Redaktionsbesuch der MOPO.
- Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU, l.) wird am 21. April 1953 von Max Brauer (r.) im Hamburger Rathaus empfangen, wo ein Abendessen zu Ehren des Kanzlers gegeben wird.
- dpa Bundespräsident Theodor Heuss (r., CDU), Hamburgs Bürgermeister Max Brauer (M., SPD) und Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauss (l., CSU) am 12. März 1959 im Vortragssaal der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg-Hochkamp.
- dpa Auf dem Hamburger Presseball unterhält sich das Ehepaar Brauer äußerst lebhaft. In der Mitte: dpa-Chefredakteur Fritz Sänger.
- MOPO-Archiv Max Brauer und MOPO-Gründer Heinrich Braune (r.)
- MOPO-Archiv Trauerfeier für Max Brauer: Der Alt-Bürgermeister starb am 2. Februar 1973 an den Folgen eines Schlaganfalls.
Die Nazis wollten seinen Ruf zerstören und warfen ihm Korruption vor
Im Korruptionsprozess, der am 3. März 1933 begann, gelang es Brauer zwar, die Anklage zu entkräften, aber damit war die Gefahr längst nicht gebannt, das war ihm klar. Noch am selben Tag bat Brauer den schleswig-holsteinischen Regierungspräsidenten um seine Beurlaubung. Am 4. März ließ er sich sein gesamtes März-Gehalt auszahlen: 2552,13 Reichsmark. Auf diese Weise versetzte er sich in die Lage, jederzeit fliehen zu können.
Am 5. März 1933, einem Sonntag, war es so weit. An diesem Tag fanden Reichstagswahlen statt. Als Brauer gerade unterwegs war, um im Wahllokal seine Stimme abzugeben, kam die Polizei zu ihm nach Hause und durchsuchte seine Wohnung. Unmittelbar danach zog Brauers Frau mit den beiden Kindern zu ihrer Mutter, um tags darauf nach Oberhof in Thüringen abzureisen. Brauer selbst begab sich zunächst nach Bayern, fuhr dann aber wenige Tage später auch nach Oberhof.
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Drei Wochen nach seiner Flucht wurde Brauer in Deutschland steckbrieflich gesucht. Alle Personen, die ihm in Bayern geholfen hatten, und auch sein Schwager wurden verhaftet. Es gab Hausdurchsuchungen bei sämtlichen Verwandten. Als ihm sogar in Österreich Nazis nachstellten, packte Brauer seine Koffer und floh über die Schweiz nach Altkirch ins französische Elsass. Dort sah er seine Frau und seine Kinder wieder.
Im letzten Moment floh Brauer ins Ausland und ging als Berater nach China
Brauer war anfangs überzeugt, dass der Nazi-Spuk nicht lange dauern werde. Er glaubte fest daran, dass Deutschlands Arbeiter eine Revolution gegen Hitlers Unrechtsregime anzetteln würden. Er wollte einfach nicht wahrhaben, wie groß die Unterstützung für den Diktator auch in der Arbeiterschaft war.
Brauer war 1933 gerade 45 Jahre alt. Ein Mann im besten Alter. Um seine Familie ernähren, aber auch um sein Wissen weiter einbringen zu können, suchte er im französischen Exil nach neuen Aufgaben – und bekam bald einen Auftrag vom Völkerbund: Der schickt ihn nach China, wo er die Regierung Chiang Kai-shek beim Aufbau von modernen Verwaltungsstrukturen beraten sollte. Aber Nazi-Deutschland intervenierte und sorgte dafür, dass Brauer nach nur einem Jahr wieder entlassen wurde.
Zurück in Frankreich begann eine furchtbare Zeit für ihn. Brauer machte die Erfahrung, dass der lange Arm Berlins bis nach Paris reichte. Am ersten Weihnachtstag 1935 erschienen französische Polizisten mit einem Haftbefehl, der auf deutsches Ersuchen hin ausgestellt worden war. Einflussreiche französische Sozialisten erreichten, dass Brauer in Frankreich nicht als Krimineller, sondern als politischer Gefangener behandelt wurde und bald wieder freikam.
1943 erhielt Brauer die US-Staatsbürgerschaft
Im Herbst 1937 siedelte Brauer in die USA über. Weil er dort vor Kirchengemeinden, Rotary-Clubs und örtlichen Handelskammern regelmäßig Vorträge über Hitler-Deutschland hielt, brachte er es als deutscher Nazi-Gegner schnell zu einigem Ansehen und erhielt 1943 die US-Staatsbürgerschaft.
Nach Kriegsende zog es Brauer zurück in die Heimat. Im Juli 1946 kam er in Hamburg an. „Da standen wir nach langen Jahren der Emigration vor unserer Vaterstadt und sahen das erschütternde Bild unüberschaubarer Ruinen“, erinnerte er sich später. „Als wir das Nobistor erreicht hatten, glaubten wir, nun beginne Altona, der Altstadtkern, der sich einmal eng um das schöne alte Rathaus geschlängelt hatte. Wir fanden weder das Rathaus noch den Stadtkern. Wir fanden nur Einöde. Unser Altona, unsere alte Heimat, war ausgelöscht.“
Die Hamburger SPD setzte in Brauer all ihre Hoffnung. „Wir brauchen Dich hier dringend in wichtigsten Funktionen“, hatte man ihn bereits zuvor schriftlich wissen lassen. Als er am 11. August 1946 bei einer sozialdemokratischen Wahlkampfveranstaltung in Planten un Blomen auftrat, waren 80.000 Menschen „im Innersten aufgewühlt, gepackt und erregt“, wie es Brauers Pressesprecher Erich Lüth später beschrieb. „Max Brauer war selbst tief bewegt und konnte wiederholt nur mühsam weitersprechen. Dennoch strahlte der Mann am Rednerpult dreierlei aus: Kraft, Mut und Hoffnung! Und mehr noch: ein geradezu unbändiges Selbstvertrauen.“
Aus der Trümmerlandschaft Hamburgs machte er eine blühende Weltstadt
Brauer ging kraftvoll und mit seinem autokratischen Führungsstil daran, aus der Trümmerlandschaft Hamburgs wieder eine blühende Weltstadt zu machen. Die SPD erzielte mit ihm als Spitzenkandidaten bei der Wahl am 13. Oktober 1946 eine überwältigende Mehrheit. Brauer wurde der erste frei gewählte Bürgermeister Hamburgs nach dem Krieg.
Die erste große Herausforderung Brauers war der Hungerwinter 1946/47, als die Temperaturen über Monate bis auf minus 20 Grad fielen und der Brennstoff immer knapper wurde. Weil die letzten Brennstoffreserven fast verfeuert waren, drohten die Kraftwerkspumpen der Hamburgischen Elektricitäts-Werke (HEW) zu vereisen, was den totalen Zusammenbruch der Energieversorgung zur Folge gehabt hätte. Auf Brauers Appell hin fuhren die Bergleute im Ruhrgebiet Sonderschichten. Im allerletzten Moment erreichten die Kohlezüge Hamburg. Von da an galt Brauer als Retter der Stadt.
Nach der Währungsreform 1948 ging es mit Hamburg bergauf. Brauer ließ Wohnungen, Schulen, Straßen und Krankenhäuser bauen, erreichte, dass die Alliierten den Schiffbau freigaben, sodass es auf den Hamburger Werften wieder brummte. Als 1953 Bürgerschaftswahlen anstanden, zweifelte Brauer keine Sekunde am Sieg – und war furchtbar enttäuscht, als „sein Volk“ die von ihm und der SPD präsentierte Leistungsbilanz nicht würdigte. Der Hamburg-Block, ein konservativ-bürgerliches Bündnis, gewann – und Brauer zog sich aus der Politik zurück. Vorerst.
Mit Brauer als Spitzenkandidat holt die SPD 1957 fast 54 Prozent der Stimmen
Vier Jahre später stand er wieder in den Startlöchern. Die SPD erzielte 1957 einen historischen Sieg, errang fast 54 Prozent der Stimmen – Brauer trat erneut das Amt des Bürgermeisters an. An seinem selbstherrlichen Regierungsstil änderte sich nichts. Im Gegenteil: Widerspruch duldete er noch weniger als zuvor. Hinter vorgehaltener Hand wurde er von seinen Mitarbeitern „Diktator“ genannt.
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In seiner letzten Amtszeit war die von der Regierung Adenauer geplante Atombewaffnung Deutschlands Brauers großes Thema. Er war entschieden dagegen, gehörte zu einer Gruppe von Politikern, die forderten, dass in einer so fundamentalen Frage eine Volksabstimmung durchgeführt werden müsse. Am 17. Aprl 1958 sprach er vom Rathausbalkon zu 150.000 Menschen, die in der Hamburger Innenstadt gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr demonstrierten – es war die größte Demonstration, die es bis dahin in Deutschland gegeben hatte.
Brauer war ein „Barockfürst“, ein „Volkstribun“, ein hemdsärmeliger Macher, doch dieser Typus von Politiker passte nicht mehr so recht in die 50er Jahre. Anstelle von Tatkraft und Führungsstärke waren jetzt Diplomatie und Ausgleich unterschiedlicher Interessen gefragt. Eigenschaften, die Brauer nicht besaß.
Der „Barockfürst“ nimmt seinen Abschied zugunsten von Paul Nevermann
Schon zu Beginn der Legislaturperiode war vereinbart worden, dass er zur Halbzeit den Staffelstab an den bisherigen Bausenator Paul Nevermann weitergibt. Nur schweren Herzens hielt Brauer Wort und nahm am 20. Dezember 1960 seinen Hut. Ein letztes Mal trat Brauer auf den Balkon des Rathauses. 20.000 Menschen winkten ihm zu. Das war’s. Eine Ära ging zu Ende.
Ganz aus der Politik zurückziehen wollte sich Brauer nicht. Er wurde Abgeordneter des Bundestages. Doch anders als von ihm erhofft, gelang es ihm nicht, in Bonn eine nennenswerte Rolle zu spielen. 1964 verpasste er die Wiederwahl in den SPD-Bundesvorstand. Als die Hamburger SPD ihn im Jahr darauf nicht einmal mehr für die Bundestagswahl nominierte, verließ er zornig die politische Bühne.
Max Brauer starb am 2. Februar 1973. Er wurde auf dem Friedhof am Volkspark beigesetzt.