Legendärer Hamburger Großsegler: Wie kam es vor 65 Jahren zum Untergang der „Pamir?
Sie war nicht einfach nur ein Schiff. Die „Pamir“ war eine schwimmende Legende. Die gewaltige Viermastbark zählte zu den legendären Flying P-Linern der Reederei F. Laeisz, die für ihre Schnelligkeit und Zuverlässigkeit weltberühmt waren. Und so wurde die Katastrophe, die sich vor 65 Jahren ereignete, wie eine nationale Tragödie aufgenommen: Als die Fernsehzuschauer in Deutschland am 22. September 1957 gegen 20 Uhr auf das Abendprogramm warteten, verkündete ein Sprecher, tags zuvor sei die „Pamir“ gesunken. Das Programm wurde ausgesetzt, der Bildschirm blieb den Rest des Abends schwarz.
Die Geschichte beginnt am 11. September 1957: Da verlässt die „Pamir“ den Hafen von Buenos Aires. Ziel: Hamburg. Etwa zur selben Zeit entsteht südöstlich der Kapverdischen Inseln ein Tiefdruckwirbel, der sich schnell zu einem Hurrikan auswächst. „Carrie“, wie die Meteorologen diese Furie nennen, verlässt plötzlich ihren erwarteten westlichen Kurs. So, als wolle sie alle verwirren, schwenkt das Biest erst nach Nordwest, läuft in südöstlicher Richtung zurück, um schließlich auf Ost zu drehen – direkt auf die „Pamir“ zu.
Sie war nicht einfach nur ein Schiff. Die „Pamir“ war eine schwimmende Legende. Die gewaltige Viermastbark zählte zu den legendären Flying P-Linern der Reederei F. Laeisz, die für ihre Schnelligkeit und Zuverlässigkeit weltberühmt waren. Und so wurde die Katastrophe, die sich vor 65 Jahren ereignete, wie eine nationale Tragödie aufgenommen: Als die Fernsehzuschauer in Deutschland am 22. September 1957 gegen 20 Uhr auf das Abendprogramm warteten, verkündete ein Sprecher, tags zuvor sei die „Pamir“ gesunken. Das Programm wurde ausgesetzt, der Bildschirm blieb den Rest des Abends schwarz.
Die Geschichte beginnt am 11. September 1957: Da verlässt die „Pamir“ den Hafen von Buenos Aires. Ziel: Hamburg. Etwa zur selben Zeit entsteht südöstlich der Kapverdischen Inseln ein Tiefdruckwirbel, der sich schnell zu einem Hurrikan auswächst. „Carrie“, wie die Meteorologen diese Furie nennen, verlässt plötzlich ihren erwarteten westlichen Kurs. So, als wolle sie alle verwirren, schwenkt das Biest erst nach Nordwest, läuft in südöstlicher Richtung zurück, um schließlich auf Ost zu drehen – direkt auf die „Pamir“ zu.
Flying P-Liner: Die Namen aller Schiffe begannen mit „P“ – aber warum?
1905 ist die Viermastbark bei Blohm + Voss vom Stapel gelaufen. Zu Ehren seiner Schwiegertochter, die wegen ihrer krausen Haare von allen nur „Pudel“ gerufen wird, wählt Reeder Ferdinand Laeisz für sämtliche seiner Schiffe Namen, die mit „P“ beginnen: „Peking“, „Pommern“, „Padua“, „Passat“. Das neue Schiff wird auf den Namen „Pamir“ getauft.

45 Jahre später hat der Großsegler eigentlich schon ausgedient. 1950 werden die „Pamir“ und ihr Schwesterschiff, die „Passat“, an einen Belgier verkauft, der sie abwracken will. In letzter Minute verhindert Reeder Heinz Schliewen das, kauft 1951 beide Schiffe auf und lässt sie zu Schulschiffen umbauen. Als Schliewen in finanzielle Schwierigkeiten gerät, gründen 40 deutsche Reeder die „Stiftung Pamir und Passat“, übernehmen die Segler und setzen sie zur Ausbildung von Kadetten ein.
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Am 21. September 1957 kommt es zur Katastrophe: 600 Seemeilen südwestlich der Azoren erwischt Hurrikan „Carrie“ die „Pamir“. Das Unwetter kommt so schnell, dass offenbar keine Zeit mehr bleibt, die Segel einzuholen. Dadurch drückt der Sturm das Schiff auf die Seite.
Tragisch: Wegen eines Streiks war die Ladung falsch verstaut worden
Es rächt sich, dass Kapitän Johannes Diebitsch wegen eines Hafenstreiks in Buenos Aires die Fracht – 3780 Tonnen Gerste – nur provisorisch hat verstauen lassen. Statt in Säcken ist ein Großteil als Schüttgut geladen worden – ein folgenschwerer Fehler, denn lose Gerste gilt als tückische Ladung. Im Schiffsrumpf kann sie leicht verrutschen.
Und genau das passiert. Infolgedessen gerät das Schiff im Hurrikan in Schieflage und treibt zunächst mit 35, dann sogar mit 45 Grad Schlagseite in der aufgewühlten See. Wasser bricht ein. Um 11 Uhr Bordzeit setzt Funkoffizier Wilhelm Siemers den ersten Notruf ab. 54 Minuten später gibt er ein weiteres Mal SOS: „Rush rush to us, german fourmast broken pamir danger of sinking.“ Kurz darauf kentert das Schiff.

„Wir hingen an der Steuerbordreling, das Deck beinahe senkrecht unter uns“, erzählt Karl-Otto Dummer, einer der Überlebenden. „Dann fielen alle Mann, die auf dem Hochdeck waren, auf einmal ins Wasser. Alles plumpste übereinander.“

Dummer, damals Kochmaat an Bord – er ist 2009 gestorben – , erinnert sich auch noch Jahrzehnte später genau an die Katastrophe. Als das Schiff kentert, seilt sich der damals 24-Jährige an einem Tampen ins Wasser ab. Weil die „Pamir“ bereits stark Schlagseite hat, können die Rettungsboote nicht mehr kontrolliert ins Wasser gelassen werden. Zwei Boote reißen sich los, treiben im Wasser. Schwimmend gibt es eine Chance, eines davon zu erreichen, das ist Dummer klar.
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„Ganz ruhig habe ich mich heruntergelassen“, sagt er. „Hätte ich mich fallen lassen, wäre ich zwischen die bereits im Wasser Herumpaddelnden geraten. Da hat einer den anderen heruntergedrückt und gestoßen. Dabei sind wahrscheinlich schon sehr viele ertrunken.“

Erst treibt die „Pamir“ kieloben, weitere 30 Minuten später versinkt sie vollständig im Meer. Nun kämpfen die Matrosen in sturmgepeitschter See bei Wellen von bis zu zwölf Metern Höhe ums nackte Überleben. „Jeder schwamm, so schnell er konnte. Man hatte wenig Zeit, sich um den anderen zu kümmern“, so Dummer.
Leckgeschlagene Rettungsboote und Haie, die nur auf ihre Gelegenheit warteten
Er und neun seiner Kameraden retten sich auf eins der leckgeschlagenen Rettungsboote. 21 Mann schaffen es zum zweiten. Bis zum Bauch steht ihnen das Wasser. Ringsherum kreisen Haie. Viele Stunden harren die Männer aus, hoffen auf Hilfe. „Der eine hat gebetet, der Nächste geflucht“, so Dummer. „Das Schlimmste aber war einzuschlafen – dann wachte man nicht mehr auf.“
Weil die Männer kein Trinkwasser haben, löschen sie erst mit Urin ihren Durst, schließlich mit Salzwasser – und verlieren den Verstand. Fünf Männer aus Dummers Boot gehen halluzinierend über Bord. Der Letzte, Klaus Driebold, springt am 24. September gegen 3 Uhr ins Meer. „Solche Szenen kann man nicht vergessen“, so Dummer.

Inzwischen ist die größte Suchaktion angelaufen, die es je auf See gegeben hat. In einem Umkreis von 200 Seemeilen beteiligen sich daran 60 Schiffe aus 13 Nationen und elf Flugzeuge. Nach 56 Stunden – zweieinhalb Stunden nachdem Driebold aufgegeben hat – sichtet der US-Frachter „Saxon“ das Boot mit Dummer und seinen vier verbliebenen Kameraden.
Von 86 Seeleuten überlebten nur sechs die Katastrophe
An die letzten Minuten vor der Rettung erinnert sich Dummer so: „Eine Regenböe kam auf uns zu, eine schwarze Wand. Dann sahen wir einen Regenbogen. Und zwischen Regenbogen und Regen, das sah aus wie ein Tor. Und mittendrin ein wunderschönes Schiff. Da denken Sie doch, jetzt sind Sie verrückt. Aber dann ist das wirklich.“

16 Stunden später stößt das US-Küstenwachschiff „Absecon“ auf das zweite Rettungsboot. Von den anfangs 21 Männern ist nur noch einer übrig: Leichtmatrose Günther Haselbach. Die Suchschiffe finden etliche Schwimmwesten, in denen nur noch Spuren von menschlichen Körpern zu sehen sind. Die Haie haben zugeschlagen.
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Noch drei Tage wird die Suche fortgesetzt – ohne Erfolg. 80 von 86 Seeleuten sind tot – die allermeisten von ihnen Kadetten, Schiffsjungen, Matrosen. Mehr als die Hälfte der Crew war zwischen 16 und 18 Jahre alt.
Bis heute wird darüber gestritten, wodurch die Katastrophe ausgelöst wurde
Wer die Schuld an der Katastrophe trägt, ist bis heute umstritten. Die einen sagen, die „Pamir“ war technisch in keinem guten Zustand mehr. Davon geht beispielsweise Buchautor Johannes K. Soyener aus, der 2007 einen Tatsachenroman über das Ende der „Pamir“ verfasst hat. Das Schiff sei ein „Seelenverkäufer“ gewesen – verrostet, verschuldet, fahrlässig geführt. „Die ,Pamir‘ hätte nie mehr auf See gehört, sondern abgewrackt“, so Soyener. Dringende Reparaturen seien aus Geldmangel aufgeschoben worden.

Das offizielle Untersuchungsergebnis klingt deutlich anders. Die Experten des Seeamtes Lübeck kommen bei ihren Untersuchungen 1958 zu dem Schluss, dass die Hauptursache des Unglücks die falsche Beladung des Frachtseglers gewesen sei. Die verrutschte Gerste, der überraschend aufziehende Wirbelsturm und die mangelnde Erfahrung des Kapitäns – er war für einen erkrankten Kollegen eingesprungen – hätten das Unglück verursacht.
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Das Schicksal will es, dass nur wenige Tage nach dem Untergang der „Pamir“ auch das Schwesterschiff „Passat“ südwestlich der Biscaya in einen Orkan gerät, den sie vier Tage lang abreiten musste. Dabei verrutscht die geladene Gerste, das Schiff bekommt Schlagseite und schrammt nur knapp an einer Katastrophe vorbei.
Damit ist sie endgültig Geschichte: die Ära der Frachtsegler. Die „Passat“ läuft nie wieder aus, liegt seither als Museumsschiff in Travemünde. Von allen Flying P-Linern segelt heute nur noch die „Padua“ über die Weltmeere – „Kruzenshtern“ heißt sie jetzt und dient der russischen Handelsmarine als Schulschiff.