Straßenbahn zu teuer: Als Hamburgs Studenten zum ersten Mal Rabatz machten
Es waren rund 1500 junge Menschen, die sich am 10. Mai 1951 gegen 11.30 auf dem Vorplatz der Uni Hamburg versammelten, um ihrer Empörung Luft zu machen: Die Hochbahn hatte allen Studenten das verbilligte Schülerticket gestrichen! Was folgte, waren die ersten gewaltsamen Studentenproteste im Hamburg der Nachkriegszeit. Gerichtsunterlagen zeichnen minutiös auf, was an jenem Tag geschah, vom Absingen von Karnevalsliedern ( „Wer soll das bezahlen?“) bis zu despektierlichen Äußerungen gegen die behelmten Polizeibeamten („Haut denen doch die Milchkübel vom Kopp!“). Am Ende landeten 22 junge Männer vor dem Landgericht – und die zuständige Kammer urteilte durchaus überraschend.
Es waren rund 1500 junge Menschen, die sich am 10. Mai 1951 gegen 11.30 auf dem Vorplatz der Universität Hamburg versammelten, um ihrer Empörung Luft zu machen: Die Hochbahn hatte allen Studenten das verbilligte Schülerticket gestrichen! Was folgte, waren die ersten gewaltsamen Studentenproteste im Hamburg der Nachkriegszeit. Gerichtsunterlagen zeichnen minutiös auf, was an jenem Tag geschah, vom Absingen von Karnevalsliedern („Wer soll das bezahlen?“) bis zu despektierlichen Äußerungen gegen die behelmten Polizeibeamten („Haut denen doch die Milchkübel vom Kopp!“). Am Ende landeten 22 junge Männer vor dem Landgericht – und die zuständige Kammer urteilte durchaus überraschend.
Lange hatten Studentenvertreter versucht, die Hochbahn davon zu überzeugen, Studenten weiterhin wie Schüler zu behandeln und sie verbilligt mit Bus und Bahn fahren zu lassen. Es ging um viel Geld: Eine Schülerkarte kostete sieben D-Mark im Monat, die Studenten sollten nun aber 22 D-Mark berappen. Erst als sie auf Granit bissen, wurde eine Kundgebung angemeldet: 10. Mai 1951, 10.30 Uhr, Vorplatz der Uni. In Paris und Madrid hätten die Studenten sich auch schon erfolgreich gegen die teuren Tickets gewehrt, hieß es in den Flugblättern. Der Zulauf: gigantisch, viel mehr, als die Anmelder erwartet hatten.
Uni-Verantwortlicher verbietet Kundgebung
Was dann passierte, steht in den Gerichtsakten: Der 28-jährige Romanistikstudent Hans-Joachim L. kletterte auf eine Mauer an der Rothenbaumchaussee und wollte gerade einen Brief an den Bürgermeister verlesen – wie es polizeilich auch genehmigt war – da kam der Universitätssyndikus aus dem Gebäude und verbat kurzerhand die Kundgebung auf dem Uni-Gelände. Die bis dahin friedlichen jungen Menschen, darunter auch durchaus viele Studentinnen, wurden sauer: „Die Menge beantwortete das Verbot der Kundgebung mit lautem Gejohle und Gepfeife und mit Pfui-Rufen“, heißt es in der Anklageschrift. „Es wurden Rufe laut: „Los, man schnell zur Schulbehörde!“ und „Auf zum Hochbahnhaus!“
Das Problem: Genehmigt war nur eine stationäre Kundgebung, kein Protestzug, schon gar keiner, der den Verkehr auf dem Platz vor dem Dammtorbahnhof behindern könnte und womöglich sogar in die Nähe der nagelneuen Bannmeile rund ums Rathaus geraten könnte. Die Menge setzte sich in Bewegung Richtung Dammtorbahnhof und Kleine Moorweide. Die Polizei: hochnervös und zu allem bereit. „Ein Beamter entriss ihnen eins der Transparente und zerbrach es und stemmte sich mit seinen Polizisten dem Zug entgegen“, schreibt der Oberstaatsanwalt. Die jungen Leute ließen sich nicht aufhalten, es waren inzwischen bis zu 3000 Menschen, die auf den Loigny-Platz strömten, wie damals der Vorplatz des Dammtorbahnhofs hieß.
Polizeihelme als „Milchkübel“ verspottet
Ein Zeitungsfoto zeigt die Szene vor dem Bahnhof, wohl bevor es zu den Prügeleien kam: Junge Frauen und Männer in Mänteln und mit Aktentaschen, die Gesichter noch freundlich lächelnd. „Studenten fordern wieder Schülermonatskarten“ steht auf einem Transparent. Die Polizisten, kaum älter als die Menge vor ihnen, wirken defensiv. Auf dem Kopf tragen sie Helme, die die Demonstranten laut Akten als „Milchkübel“ verspotten – dabei waren die Helme, genannte „Tschakos“, gar nicht aus Metall, sondern aus einer Art imprägnierter Pappe.
Nur wenig später muss es richtig turbulent geworden sein: „Eine Rotte mit einem Transparent stellte sich einer Straßenbahn in den Weg und sang das Karnevalslied ,Wer soll das bezahlen?‘“, schreibt der Oberstaatsanwalt. „Die Polizei setzte einen Wasserwerfer ein und musste vom Gummiknüppel Gebrauch machen.“ Die Demonstranten warfen mit Steinen und Flaschen und hauten mit den Stöcken der Transparente zurück.
Das Vorgehen der Polizei muss Unbeteiligten unangemessen vorgekommen sein: Eine zufällig vorbeikommende Passantin holte eine Milchflasche aus ihrer Einkaufstasche und schleuderte sie gegen den Bahndamm. Ein anderer Zufallszeuge sagte empört zu seinem Begleiter: „Dieser Polizei müsste man einen Ascheimer auf den Kopf stülpen!“, wie er später im Gericht wiederholte.
Demo vor dem Hochbahnhaus
Während es auf der Kleinen Moorweide und vor dem Dammtorbahnhof rund ging, waren rund 1000 junge Menschen zum Hochbahnhaus in der Steinstraße vorgedrungen und versuchten vergeblich, ein Transparent an einem Baugerüst zu befestigen. Das Plakat segelte auf die Straße. „Die Menge johlte und grölte wiederum das Lied ,Wer soll das bezahlen?‘” Die Polizei konnte sich kaum durchsetzen: „Als schließlich der Wasserwerfer in Aktion trat, versuchte eine Anzahl von Demonstranten, ihn zu entern“ – und das zu einer Zeit, als die späteren 68er-Revolutionäre noch zur Grundschule gingen. Als gegen 13.30 Uhr ein Student seine Mitprotestler durch ein Polizei-Megaphon schließlich aufrief, die Demo zu beenden, zählte die Polizei 15 verletzte Beamte.
22 junge Männer wurden einige Monate später angeklagt, wegen öffentlicher Zusammenrottung, Widerstands gegen die Staatsgewalt und Beamtennötigung. Einige zusätzlich wegen Körperverletzung.
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Anfang 1952 erging nach dreiwöchigem Prozess und der Vernehmung von 90 Zeugen das Urteil: Gegen 17 Angeklagte wurde das Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt, drei junge Männer, darunter Romanistikstudent Hans-Joachim L., wurden freigesprochen. Zwei bekamen eine Geldstrafe von 50 D-Mark.
Das überraschende Urteil
Die Große Strafkammer neun des Landgerichts, unter dem Vorsitz des damaligen Landgerichtspräsidenten, zeigte durchaus Sympathie für das Anliegen der Angeklagten. Die jungen Leute bräuchten das günstige Ticket nicht nur, um zur Uni zu kommen, sondern auch, um ihre „Jobs, beispielsweise als Teppichklopfer, Zettelverteiler und wandelnde Litfasssäule zu verfolgen.“ Während der zahlreichen Prozesstage sei klar geworden, dass viele Studenten in ärmlichsten Verhältnissen lebten: „Bezeichnend ist“, heißt es im Urteil, „dass die Prozessberichte der Zeitungen Anlass für mitleidige Spenden aus der Bevölkerung gewesen sind und die Sozialbehörde sich veranlasst gesehen hat, allen Angeklagten für die Prozessdauer kostenloses warmes Mittagessen zu verabfolgen, weil sie in dieser Zeit ihren Jobs nicht nachgehen konnten.“
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Und die 15 verletzten Polizisten? Hier wird das Urteil geradezu salomonisch: Es seien „Fehler und Übergriffe in großer Zahl vorgekommen, die vielleicht ihre letzte Ursache in einer gewissen unfreundlichen Grundeinstellung auf beiden Seiten gehabt haben.“