„Zu wenig geprügelt“: Die düstere Vergangenheit im Wittmoor
Das Wittmoor an der Grenze zu Norderstedt: Eine wunderschöne Sumpf- und Moorlandschaft, die unter Naturschutz steht und an Wochenenden Ausflügler zum Wandern einlädt. Wenn nicht ein Gedenkstein daran erinnern würde – niemand käme auf den Gedanken, was für ein dunkler Schatten über diesem Idyll liegt: Im März 1933 schufen die Nazis hier das erste Konzentrationslager auf Hamburger Boden. Ein Ort, der der Bevölkerung so viel Angst und Schrecken einflöste, dass bald dieses Stoßgebet die Runde machte: „Lieber Gott, mach mich stumm, dass ich nicht nach Wittmoor kumm.“
Das Wittmoor an der Grenze zu Norderstedt: Eine wunderschöne Sumpf- und Moorlandschaft, die unter Naturschutz steht und an Wochenenden Ausflügler zum Wandern einlädt. Wenn nicht ein Gedenkstein daran erinnern würde – niemand käme auf den Gedanken, was für ein dunkler Schatten über diesem Idyll liegt: Im März 1933 schufen die Nazis hier das erste Konzentrationslager auf Hamburger Boden. Ein Ort, der der Bevölkerung so viel Angst und Schrecken einflöste, dass bald dieses Stoßgebet die Runde machte: „Lieber Gott, mach mich stumm, dass ich nicht nach Wittmoor kumm.“
„Auftakt des Terrors“, das ist der Titel einer Ausstellung, die am Dienstag, 28. Februar, im Museum für Hamburgische Geschichte eröffnet wurde und ab dem 1. März besichtigt werden kann. Sie vermittelt einen Einblick in die bis heute weitgehend unbekannte Geschichte der zahlreichen frühen Konzentrationslager des NS-Regimes, die 1933 errichtet wurden und oft nur für wenige Monate existierten.

Anhand vielfältiger Biografien von Verfolgten schildert die Ausstellung, wie die sogenannten „wilden KZ“ dazu beitrugen, die nationalsozialistische Herrschaft abzusichern und wie sie zugleich dazu dienten, Instrumente des NS-Terrors zu erproben.
„Auftakt des Terrors“: Ausstellung über frühe Konzentrationslager
Genau 90 Jahre sind vergangen: Am 30. Januar 1933 ernennt Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler. Zur selben Zeit regiert im „roten Hamburg“ noch eine Koalition unter SPD-Führung. Nach dem Brand des Reichstags im Februar 1933 erlässt das Nazi-Regime die sogenannte „Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat“ und schafft damit die Legitimationsgrundlage für Willkür und Gewalt. In allen Teilen des Reiches richten die Nazis erste Konzentrationslager ein. Nachdem sie 8. März 1933 auch Hamburg unter ihre Kontrolle gebracht haben, lässt der neue Nazi-Polizeisenator eine alte abgelegene Torffabrik in ein KZ verwandeln: das KZ Wittmoor.

Vor 1933 haben sich Sozialdemokraten, Kommunisten und Anhänger der NSDAP immer wieder heftige Kämpfe auf Hamburgs Straßen geliefert – oft zogen dabei Hitlers Schergen den Kürzeren. Nun plötzlich sind die Nazis am längeren Hebel. Die Schlägertruppe SA wird zur Hilfspolizei erhoben – und darf nun ganz offiziell Jagd machen auf die Widersacher von einst. Zahllose Menschen werden verhaftet.
„Lieber Gott, mach mich stumm, dass ich nicht nach Wittmoor kumm“
Die ersten 20 Häftlinge werden am 31. März 1933 ins KZ Wittmoor eingeliefert: hauptsächlich Mitglieder der KPD, aber auch Sozialdemokraten, Zeugen Jehovas, Juden, Homosexuelle und Transvestiten. Es gibt darunter einige Prominente, etwa der ehemalige kommunistische Bürgerschaftsabgeordnete Alfred Levy, der jüdische Dramaturg Heinz Liepmann und der Langenhorner Antifaschist Helmuth Warnke, der später Bücher über die NS-Zeit schreibt.
Die Zahl der Häftlinge im KZ Wittmoor steigt schnell: Ende Mai 1933 sind es 87, im September 140. Sie werden zu harter Arbeit gezwungen, müssen Torf stechen, Moorflächen trockenlegen und Baracken für weitere Häftlinge herrichten. In der Bevölkerung macht bald ein Spruch die Runde: „Lieber Gott, mach mich stumm, dass ich nicht nach Wittmoor kumm.“

Weil nicht SA oder SS, sondern die Polizei Aufsicht über das Lager führt, werden die Häftlinge vergleichsweise gut behandelt. Gefangene werden zwar misshandelt, aber nicht genug, wie Hamburgs Gauleiter und Reichsstatthalter Karl Kaufmann findet. Nach einem Besuch im Lager beklagt sich der mächtigste Mann der Stadt, „dass dort zu wenig geprügelt“ werde.
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Kaufmann sorgt dafür, dass das so nicht bleibt. Am 4. September 1933 unterstellt er das Lager dem Hamburger Strafvollzugsamt. Dessen Präsident Max Lahts lässt die Gefangenen antreten. Es sei bekannt geworden, dass sich die Insassen über die Schutzhaft, „wie sie bisher durchgeführt wurde, lustig gemacht, dieselbe mit einer Kleinkinderverwahranstalt verglichen und in den Gemeinschaftssälen die wüstesten Hetzreden gehalten“ hätten. Jetzt würden neue Saiten aufgezogen!

Pläne, das KZ auf 440 Insassen zu erweitern, werden fallengelassen. Dies wäre unwirtschaftlich, heißt es. Stattdessen wird das Lager am 18. Oktober 1933 aufgelöst und die Gefangenen ins gefürchtete „KolaFu“, das KZ Fuhlsbüttel, überstellt, das auf Befehl von Gauleiter Karl Kaufmann im dortigen Gefängnis eingerichtet worden ist. Es wird später umbenannt in Polizeigefängnis Fuhlsbüttel, aber an den furchtbaren Zuständen ändert sich nichts. Bis 1945 sterben dort mehr als 500 Frauen und Männer.
SS-Wachmann Willi Dusenschön treibt Gefangene in den Selbstmord

Als schlimmster Schläger des KoLaFu gilt der SS-Wachmann Willi Dusenschön (1909-1977). Er ist der Schrecken der politischen Häftlinge. Stundenlanges Stehen, Schläge und Fußtritte, Verhöhnungen und Drohungen gehören zum Alltag der Gefangenen. Nachts werden Insassen in den Zellen mit Peitschen, Koppeln und Stuhlbeinen bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen.

Im Herbst 1962 wird Dusenschön wegen Mordes vor Gericht gestellt. Der Vorwurf: Er soll den jüdischen Redakteur Fritz Solmitz so schwer misshandelt haben, dass er entweder starb oder sich das Leben nahm – die tatsächliche Todesursache wird nicht geklärt. Das Urteil ist ein Skandal: Das Gericht spricht Dusenschön frei. Nicht der einzige Nazi, den die bundesdeutsche Nachkriegsjustiz laufenließ.
Die Ausstellung „Auftakt des Terrors“ ist bis zum 29. März im Museum für Hamburgische Geschichte (Holstenwall 24/Neustadt) zu sehen. Öffnungszeiten: Mo 10-17 Uhr, Mi 10-17 Uhr, Do 10-21 Uhr, Fr 10-17 Uhr, Sa und So 10-18 Uhr