Diese Hamburgerin war das erste Supermodel nach dem Krieg
Hamburg lag noch in Trümmern, der Krieg war erst ein paar Jahre vergangen, da präsentierte sie mit einzigartiger Eleganz und einem Ausdruck tiefen Selbstbewusstseins Mode aus Nachkriegs-Deutschland. Gabriele Maus – so hieß dieses „Fräulein-Wunder“ aus Hamburg – war das erste Mannequin der jungen Bundesrepublik. Fotos mit dem Model zierten fast jede Modezeitschrift der späten 40er und beginnenden 50er Jahre.
99 Jahre alt wäre Gabriele Maus in diesem Sommer geworden. Anlass für ihren Sohn Christoph Maus (63), Inhaber eines Buch- und Musikverlages namens „Maus of Music“ im Schanzenviertel, im Nachlass seiner Mutter zu stöbern, Fotos und Zeitungsausschnitte herauszusuchen und ihre Geschichte zu erzählen. „Sie war schon eine ganz besondere Frauenpersönlichkeit, jedoch nicht unbedingt eine Mutter, mit der der Sohn kuscheln konnte“, sagt er mit einem Ausdruck des Bedauerns.
- Deutsch (Deutschland)
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Hamburg lag noch in Trümmern, der Krieg war erst ein paar Jahre vergangen, da präsentierte sie mit einzigartiger Eleganz und einem Ausdruck tiefen Selbstbewusstseins Mode aus Nachkriegs-Deutschland. Gabriele Maus – so hieß dieses „Fräulein-Wunder“ aus Hamburg – war das erste Mannequin der jungen Bundesrepublik. Fotos mit dem Model zierten fast jede Modezeitschrift der späten 40er und beginnenden 50er Jahre.
99 Jahre alt wäre Gabriele Maus in diesem Sommer geworden. Anlass für ihren Sohn Christoph Maus (63), Inhaber eines Buch- und Musikverlages namens „Maus of Music“ im Schanzenviertel, im Nachlass seiner Mutter zu stöbern, Fotos und Zeitungsausschnitte herauszusuchen und ihre Geschichte zu erzählen. „Sie war schon eine ganz besondere Frauenpersönlichkeit, jedoch nicht unbedingt eine Mutter, mit der der Sohn kuscheln konnte“, sagt er mit einem Ausdruck des Bedauerns.
Und dann wieder mit Bewunderung: „Aber eine, die wusste, was sie wollte, für die Disziplin die wichtigste Tugend war. Sonst hätte sie nicht erreicht, was sie erreicht hat. Nicht in der Zeit, in der sie lebte.“
Geboren wird Gabriele Maus 1923 auf einem Rittergut in Ostpreußen
Am 23. August 1923 wird sie als jüngstes von drei Geschwistern als Gabriele Jahr geboren. Ihr Vater Otto Jahr besitzt in Ostpreußen das Rittergut Drenken. Dort, 100 Kilometer südöstlich von Danzig, idyllisch gelegen inmitten einer fruchtbaren und waldreichen Landschaft, wird das Mädchen groß. „Von diesem Ort schwärmte sie den Rest ihres Lebens“, erinnert sich der Sohn. „Als ich so fünf oder sechs Jahre alt war, hatte ich noch keine bildliche Vorstellung von Drenken oder von Ostpreußen. Mir kam es damals vor, als würde sie von einem verwunschenen Ort berichten, irgendwo hinter Hügeln und Wolken, eine Art Shangri-La.“
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Ihr Vater stirbt bereits 1938 im Alter von nur 53 Jahren, sodass Mutter Gertrud Jahr die Leitung des Gutes ganz allein bewerkstelligen muss. Gabriele besucht ein Internat in Potsdam und mausert sich zur Klassenbesten. „Wer gut aufpasst und nachfragt, hat es leichter“, ist das Credo, das sie durch die Schulzeit und später auch durchs Studium begleitet. Sie schreibt sich in Freiburg im Breisgau für Physik und Mathematik ein – ungewöhnliche Fächer für eine Frau damals. Der Krieg verhindert, dass sie ihr Studium zu Ende bringt.
Die Sommermonate verbringt die Familie gerne im mondänen Badeort Zoppot bei Danzig. Dort trifft die 19-Jährige 1942 auf den 27-jährigen Marineoffizier August Maus, der gerade auf Landurlaub ist. Die Beziehung wird auf eine harte Probe gestellt, als im August 1943 U-185, das Unterseeboot, dessen Kommandant Gabrieles Verlobter ist, von der US-Navy versenkt wird. Gott sei Dank überlebt er, kommt in US-Kriegsgefangenschaft, sodass im Juli 1944 wenigstens eine Ferntrauung stattfinden kann. Bis zum Wiedersehen werden noch zwei Jahre vergehen.
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Ihre Mutter wird erschossen, sie flieht auf der „Deutschland“ in den Westen
Anfang 1945 nähert sich die Rote Armee Ostpreußen. Während die Mutter zurückbleibt und später erschossen wird, fliehen die Töchter Gabriele und Erika in den Westen: Das Hapag-Dampfschiff „Deutschland“ bringt sie sicher bis nach Schleswig-Holstein. Dort macht Gabriele nach Kriegsende die Bekanntschaft von Charles Ritter, dessen Familie in Lübeck schon seit 150 Jahren ein Seidenhaus betreibt. Ritter ist Modeschöpfer, eine Art früher Karl Lagerfeld, und sucht gerade ein Mannequin, das seine Kreationen präsentiert. Als er Gabriele Maus das erste Mal sieht, ist er begeistert – schön und elegant, wie sie ist.
Nicht zuletzt dank der Ausstrahlungskraft der jungen Frau avanciert Ritter zum Star der bundesdeutschen Modebranche und gehörte neben Heinz Schulze-Varell (München), Elise Topell (Wiesbaden), Konrad Zetsche (Frankfurt) und Heinz Oestergaard (Berlin) zu den angesagtesten Modeschöpfern der Nachkriegszeit. Davon wiederum profitiert Gabriele Maus. Als sie im September 1948 auf einer internationalen Modemesse in Stockholm Ritters neue Kollektion vorführt, hinterlässt sie einen bleibenden Eindruck – und schon bald darauf ziert ihr Foto erstmals den Titel eines Magazins.
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Gabriele Maus ist sehr erfolgreich, und davon, dass sie gut verdient, profitiert auch ihr Mann, der inzwischen aus US-Gefangenschaft zurückgekehrt ist und gerade damit beginnt, sich als Großhändler für Werkzeuge ein eigenes Unternehmen aufzubauen. 1952, 1954 und 1958 kommen die Söhne Ralph, Philipp und Christoph zur Welt, die in Rissen in einer gut betuchten Wirtschaftswunder-Familie groß werden.
Sogar für Mode von Yves Saint Laurent steht die Hamburgerin vor der Kamera
Seit der Geburt ihres ersten Kindes übt Maus den Mannequin-Beruf nur noch sporadisch aus. 1957/58, zum krönenden Abschluss ihrer Karriere, macht sie ein letztes Fotoshooting für Yves Saint-Laurent, der damals zwar erst 21 Jahre alt ist, aber schon künstlerischer Leiter des Pariser Modehauses Dior.
Was Maus auszeichnet, ist ihr Gespür für Stil und Schönheit. Eine perfekte Voraussetzung für ihre neue Karriere als Inneneinrichterin. Als sie überzeugt ist, dass ihre Söhne alt genug sind, macht sie sich 1968 mit dem Einrichtungsgeschäft „GM Einrichtungen“ selbstständig. Sie eröffnet Niederlassungen in Winterhude, Pöseldorf, Poppenbüttel – und schließlich in Kampen auf Sylt, wo sie sich 1975 ein großes Reetdachhaus kauft. Das „Haus Peacock“, wie es wegen eines geschnitzten Pfauenbildes an der Fassade genannt wird, wird mehr und mehr ihr Lebensmittelpunkt.
„Meine Mutter war eine Frau, die all ihre Vorhaben energisch vorangetrieben hat“, sagt Christoph Maus. „Es war zu ihrer Zeit beileibe nicht selbstverständlich, als Frau berufstätig und selbstständig zu sein. Sie verfügte über eine geniale Intuition: Alle Entscheidungen, die sie traf, haben sich hinterher als goldrichtig erwiesen.“
Bis ins hohe Alter betreibt sie in Kampen auf Sylt ein Einrichtungshaus
Zeitlebens sei seine Mutter neugierig und dem Leben gegenüber aufgeschlossen gewesen – auch dem rebellischen Geist der 60er Jahre. „Spießigkeit war ihr zuwider“, sagt Christoph Maus.
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„Wie unsere gesamte Familie mochte sie die Beatles – sie hat sie gemeinsam mit meinem Vater im ,Star-Club‘ live gesehen. Sie fühlte sich auch in ihren ,50er Jahren‘ nicht zu alt, um mich 1972 bei einem London-Besuch in die Abbey Road Studios zu begleiten, wo die Beatles ihre Platten aufgenommen hatten und wo wir überraschenderweise auf Pink Floyd trafen. Und 1978 ist sie mit mir auf ein David-Bowie-Konzert gegangen. Da war sie 55 Jahre alt. Wessen Mutter sonst hätte so etwas damals mitgemacht?“
Bis ins hohe Alter leitet Gabriele Maus ihr Kampener Einrichtungsgeschäft persönlich. Im Januar 2005 – da ist sie 82 Jahre alt – entschließt sie sich, endlich mal kürzerzutreten. Abgesehen von wochenlangen Aufenthalten auf Sylt im Sommer lebt sie von da in der Elbschlossresidenz in Teufelsbrück, wo sie am 8. November 2014 im Alter von 91 Jahren stirbt.