Gestohlener Stolperstein: Villen-Besitzer verurteilt „antisemitische“ Tat
Vorläufiges Ende eines Skandals: Vor der Villa Leinpfad 20 in Winterhude liegt nun wieder ein Stolperstein. Am Samstag hat ihn Peter Hess (78), Leiter der Hamburger Stolperstein-Initiative, gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Friedrich Heinze (49) verlegt.
Die MOPO hatte vor vier Wochen exklusiv über den Diebstahl berichtet. Die Geschichte sorgte für große Empörung und bundesweit für Schlagzeilen.
Vorläufiges Ende eines Skandals: Vor der Villa Leinpfad 20 in Winterhude liegt nun wieder ein Stolperstein. Am Samstag hat ihn Peter Hess (78), Leiter der Hamburger Stolperstein-Initiative, gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Friedrich Heinze (49) verlegt.
Dabei anwesend war auch Christoph Lucks (54) aus Barmbek. Der Freiberufler hatte vom Verschwinden des Stolpersteins in der MOPO gelesen. „Ich war entsetzt, habe mir gedacht: Das kann doch wohl nicht wahr sein. Und dann habe ich mich entschlossen, die Finanzierung eines neuen Steins zu übernehmen.“

Die MOPO hatte vor vier Wochen exklusiv über den Diebstahl berichtet. Die Geschichte sorgte für große Empörung und bundesweit für Schlagzeilen. Sämtliche Parteien in der Bezirksversammlung Nord verurteilten die Tat scharf und forderten, dass für Ersatz gesorgt werden muss – schnell. Das ist jetzt geschehen.
Erinnerung an die Jüdin Paula Jacobson, die sich 1934 das Leben nahm
Zur Erinnerung: Am 16. Oktober war vor der Villa Leinpfad 20 ein Stolperstein verlegt worden: zum Gedenken an die Jüdin Paula Jacobson, die dort wohnte und sich – verzweifelt über Demütigungen und Entrechtung durch die Nazis – am 19. September 1934 das Leben nahm. Da war sie gerade 35 Jahre alt.
Kaum war der Stein verlegt, verschwand er auch schon wieder. Entfernt wurde er auf ziemlich professionelle Weise: Jemand hat ihn mitsamt umliegender Pflastersteine ausgegraben und durch eine reguläre Gehwegplatte ersetzt, so dass das Fehlen nicht auf den ersten Blick auffallen musste.

Inzwischen hat sich auch der Besitzer der Villa gegenüber der MOPO zu dem Fall geäußert. Sein Anwalt teilte Folgendes schriftlich mit: „Die Bewohner des Hauses wissen leider nicht, wer den Stolperstein gestohlen hat. Sie verurteilen die offensichtlich antisemitisch motivierte Tat scharf und freuen sich, dass der Stolperstein zum Andenken an Paula Jacobson nun neu verlegt wurde.“
Haus wurde 1939 arisiert – ein SS-Gericht zog ein
Sollte es die Absicht des Täters gewesen sein, die dunkle Vergangenheit des Gebäudes zu vertuschen, so hat er genau das Gegenteil erreicht. Denn die MOPO nahm den Diebstahl zum Anlass, die Geschichte gründlich zu erforschen: Dabei stellte sich heraus, dass das Gebäude in der NS-Zeit „arisiert“, also dem jüdischen Eigentümer entrissen worden war: Alfred Moritzsen, so der Name des Besitzers, musste die Villa 1939 für 55.000 Reichsmark hergeben. Ein lächerlicher Preis.
Danach begann das dunkelste Kapitel in der Geschichte der weißen Villa: Das SS- und Polizeigericht XII zog ein. Vor diesem Gericht mussten sich SS-Angehörige bei Dienstverfehlungen wie etwa Eigentums-, Treuepflicht- und Sexualdelikten verantworten.

Chef des SS-Gerichts war ab 1943 der Höhere SS- und Polizeiführer Georg-Henning Graf von Bassewitz-Behr (1900-1949), sozusagen Himmlers rechte Hand in Hamburg. Der mecklenburgische Adelige hatte seinen Dienstsitz im Haus Leinpfad 20.
Hausherr Graf von Bassewitz-Behr war ein tausendfacher Mörder
Bassewitz-Behr war ein grausamer Nazi, hat Zigtausende Menschenleben auf dem Gewissen. Er wurde zwar während der alliierten Kriegsverbrecher-Prozesse, die ab 1946 im Hamburger Curiohaus stattfanden, freigesprochen, jedoch 1947 an die sowjetischen Behörden überstellt, die ihn für den Mord an 45.000 Zivilisten, Partisanen und Juden in der Ukraine zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilten. Er starb zwei Jahre später in einem Arbeitslager in Magadan/Ostsibirien.

Peter Hess von der Stolperstein-Initiative sagte am Samstag zur MOPO: „Wir hoffen sehr, dass der Stolperstein nicht erneut verschwindet.“ Anwohner sind aufgerufen, ihre Augen offenzuhalten – und die Polizei zu rufen, falls sich jemand am Stein zu schaffen macht.
Seit 20 Jahren werden Stolpersteine in Hamburg verlegt. Mehr als 6200 gibt es inzwischen. Es kommt vor, dass Hausbesitzer etwas dagegen haben, dass auf diese Weise an deportierte und ermordete Juden, Kommunisten, Gewerkschafter, Widerstandskämpfer, Homosexuelle, Roma und Sinti erinnert wird. Es ist auch schon passiert, dass Passanten Stolpersteine mit Farbe besudelt oder zerstört haben. Aber so etwas Dreistes wie den Diebstahl in Winterhude hat es vorher noch nicht gegeben.