Freiheitskämpfer gegen Napoleon: Sie gründeten diesen Hamburger Chor
Hamburg hat einige sehr alte Vereine. Der älteste ist die „Patriotische Gesellschaft von 1765“. Platz zwei nimmt die „Turnerschaft von 1816“ ein. Und dann kommt schon sie: die Hamburger Liedertafel. Zugegeben, der Name klingt nicht gerade spannend. Ein bisschen nach Betulichkeit und Vereinsmeierei. Tatsächlich aber blickt dieser Männergesangverein, der soeben 200. Geburtstag feierte, auf eine fesselnde Geschichte zurück. Gegründet wurde er nämlich von Freiheitskämpfern.
Keimzelle war die sogenannte Hanseatische Legion: eine Freiwilligen-Armee, die das Ziel verfolgte, Napoleons Soldaten aus Hamburg und dem Rest Deutschlands zu vertreiben. Anfang des 19. Jahrhunderts beherrschten die Franzosen fast ganz Europa. 1806 waren sie in die Hansestadt einmarschiert und erklärten 1811 Hamburg zur Hauptstadt des sogenannten Departements der Elbmündungen – und damit zu einem Teil Frankreichs.

Hamburg hat einige sehr alte Vereine. Der älteste ist die „Patriotische Gesellschaft von 1765“. Platz zwei nimmt die „Turnerschaft von 1816“ ein. Und dann kommt schon sie: die Hamburger Liedertafel. Zugegeben, der Name klingt nicht gerade spannend. Ein bisschen nach Betulichkeit und Vereinsmeierei. Tatsächlich aber blickt dieser Männergesangverein, der soeben 200. Geburtstag feierte, auf eine fesselnde Geschichte zurück. Gegründet wurde er nämlich von Freiheitskämpfern.
Keimzelle war die sogenannte Hanseatische Legion: eine Freiwilligen-Armee, die das Ziel verfolgte, Napoleons Soldaten aus Hamburg und dem Rest Deutschlands zu vertreiben. Anfang des 19. Jahrhunderts beherrschten die Franzosen fast ganz Europa. 1806 waren sie in die Hansestadt einmarschiert und erklärten 1811 Hamburg zur Hauptstadt des sogenannten Departements der Elbmündungen – und damit zu einem Teil Frankreichs.

Die sogenannte Franzosenzeit war für die Stadt eine einzige Katastrophe. Napoleons Statthalter Marschall Louis-Nicolas Davout (1770-1823) ließ Banken plündern und Kirchen als Pferdeställe zweckentfremden. In Erwartung einer Belagerung durch schwedische und russische Truppen ließ er unter anderem St. Pauli und St. Georg vollständig niederbrennen – nur, um seinen Soldaten freies Schussfeld zu ermöglichen. Der Höhepunkt der französischen Schreckensherrschaft war das Weihnachtsfest 1813, als Davout mehr als 20.000 Bürger aus der Stadt vertreiben ließ, denn weil sie nicht über genug Nahrungsmittel und Brennholz verfügten, um eine Belagerung aus eigener Kraft zu überstehen, stellten sie für ihn nur nutzlose Esser dar. 1138 Menschen starben damals bei bitterster Kälte vor den Toren der Stadt.
Kaiser Napoleon annektierte Hamburg 1811, machte die Stadt zu einem Teil Frankreichs
Zur Hanseatischen Legion, die dieser Franzosenherrschaft ein Ende setzen wollte, gehörten nicht nur Bürger aus Hamburg. Auch Männer aus Bremen und Lübeck schlossen sich ihr an: Insgesamt 3788 Kämpfer trugen grüne russische Uniformen und waren Teil der alliierten Nordarmee unter dem österreichischen General Ludwig von Wallmoden-Gimborn. 175 Freiwillige aus Hamburg gaben im Kampf gegen Napoleon ihr Leben.

Als die siegreiche Hanseatische Legion am 31. Mai 1814 in das befreite Hamburg einzog, wurde sie mit großem Jubel empfangen. Zehn Jahre später trafen sich die Veteranen wieder, um mit einem großen Stiftungsfest ihr Jubiläum zu feiern – genau dabei kam es zur Gründung des ältesten Hamburger Männergesangsvereins, der Liedertafel.
Großen Anteil daran hatte Albert Methfessel, ein Komponist aus dem thüringischen Rudolstadt, der den Auftrag hatte, die musikalische Ausgestaltung des Festes zu organisieren. Sein Auftrag war es, eine Kantate aufzuführen. Doch er machte sehr viel mehr, baute die ehemaligen Freiheitskämpfer aktiv in sein Festprogramm ein, ließ sie also tatkräftig mitsingen. Davon waren die Männer so begeistert, dass sie am 19. April 1823 ihren Chor aus der Taufe hoben.
Die Liedertafel setzte sich ein für ein geeintes Deutschland
Zur Liedertafel gehörten anfangs vornehmlich Männer aus Kaufmannsfamilien. Bald stießen auch Mitglieder von Hamburger Freimaurerlogen, Professoren, Senatoren, Anwälte und Reeder hinzu. Musikalisches Talent allein reichte nicht aus, um aufgenommen zu werden. Von den Freimaurern hatte der Verein die sogenannte Ballotage übernommen, eine geheime Abstimmung, bei der weiße und schwarze Kugeln zum Einsatz kamen: Nur, wenn alle Mitglieder mit weißer Kugel Zustimmung signalisierten, wurde ein Kandidat aufgenommen. Schon eine einzige schwarze Kugel bedeutete Ablehnung.
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Deutschland hatte zwar Napoleon besiegt, doch noch immer war das Land ein Flickenteppich souveräner Fürstentümer, deren Landesherren Freiheitsbewegungen massiv unterdrückten. In dieser Zeit entwickelte sich Hamburg zum liberalen Vorreiter im Kampf um eine deutsche Verfassung. Dabei spielte auch die Liedertafel eine große Rolle.

Albert Methfessel wurde erster Dirigent des Chors. Das Repertoire, das er mit den Sängern erarbeitete, war stark von der deutschen Romantik geprägt. Daneben wurden begeistert Lieder aus den Befreiungskriegen gesungen, aus denen die Sehnsucht nach einem geeinten Nationalstaat sprach.
Zu den Verdiensten von Chorleiter Methfessel gehört es auch, die Hamburg-Hymne „Stadt Hamburg an der Elbe Auen“ komponiert zu haben. Zum fünfjährigen Jubiläum der Liefertafel wurde das Lied am 19. April 1828 erstmals öffentlich vorgetragen. Seitdem fehlt die Hymne in keinem Konzert des Chors.
Deutschlands Nationalhymne wurde auf dem Jungfernstieg zum ersten Mal öffentlich gesungen
Mit noch einem weiteren Lied ist der Männergesangverein eng verbunden: mit der Nationalhymne. Im August 1841 dichtete August Heinrich Hoffmann von Fallersleben auf der damals britischen Insel Helgoland „Das Lied der Deutschen“ und verkaufte die Rechte an den liberalen Hamburger Verleger Julius Campe, der es am 1. September 1841 veröffentlichte. Fünf Wochen später, am 5. Oktober 1841, war es die Hamburger Liedertafel, die unmittelbar vor Streit‘s Hotel am Jungfernstieg das Deutschlandlied erstmals zur Aufführung brachte. Hunderte Hamburger hörten zu. Hoffmann von Fallersleben höchst persönlich war zugegen. 61 Jahre später wurde das Lied deutsche Nationalhymne.

Ohne jede Übertreibung lässt sich sagen: die Liedertafel hat Hamburgs Geschichte geprägt. Auf alle Fälle war sie bei allen wichtigen Anlässen mit dabei:
Etwa am 4. Dezember 1841, als Hamburgs Börse von ihrem angestammten Platz an der Trostbrücke in das neue Gebäude am Adolphsplatz zog. Damals gab es ein regelrechtes Volksfest. Die Sänger der Liedertafel empfingen die Senatoren und schmetterten aus den geöffneten Fenstern des neuen Börsengebäudes die Hamburg-Hymne.
Liedertafel sollte eigentlich zur Eröffnung der Eisenbahn singen – aber dann brannte es
Oder 1842: Da versank die Stadt während des Großen Brandes in Schutt und Asche: Am 5. Mai, genau an dem Tag, an dem das Feuer ausbrach, hätte die Liedertafel eigentlich die soeben fertiggestellte erste Eisenbahn Norddeutschlands von Hamburg nach Bergedorf einweihen sollen. Dazu kam es aufgrund der Brandkatastrophe nicht. Die Festlichkeiten wurden abgesagt. Während die Bahn Obdachlose und Verwundete transportierte, stellte die Liedertafel Wohltätigkeitskonzerte auf die Beine, um der Bevölkerung in ihrer Not zu helfen.

Die Neugestaltung der Innenstadt nach dem Großen Brand führte zu weitreichenden Veränderungen im Stadtbild. Als 1843 die moderne Gasbeleuchtung der Straßen eingeweiht wurde, gab es einen Festakt, an dem die Liedertafel maßgeblich mitwirkte. Die Grundsteinlegung des neuen Rathauses im Mai 1886 als auch dessen Einweihung 13 Jahre später begleitete die Liedertafel musikalisch.
Während des Zweiten Weltkriegs musste der Chor Proben und Zusammenkünfte einstellen. Im Rahmen der Truppenbetreuung gab er zu Kriegsbeginn noch Konzerte im besetzten Dänemark. Aber nachdem im Sommer 1943 Hamburg im Bombenhagel untergegangen war und mehr als die Hälfte der Mitglieder ihre Wohnungen verloren hatten, beschränkte sich das Vereinsleben auf gegenseitige Unterstützung: Sänger, deren Wohnungen noch intakt waren, nahmen ausgebombte Sangesbrüder mit ihren Familien auf.

Am 12. September 1945 versammelten sich 50 Liedertäfler zur ersten Probe der Nachkriegszeit. Am 4. November 1945 folgte das erste öffentliche Konzert. Ziel war es, den verzweifelten Menschen in einer in Trümmer liegenden Stadt neue Hoffnung und Zuversicht zu geben. Im August 1947 gab der Chor ein Konzert mit der damals noch unbekannten Anneliese Rothenberger (1919-2010) als Solistin – später wurde sie eine der bekanntesten deutschen Opernsängerinnen. Jedes Konzert der Liedertafel musste vorher von der britischen Militärregierung genehmigt werden. Auf die Bühne durften nur vollständig entnazifizierte Sänger.
Inmitten von Ruinen sang die Liedertafel für Ausgebombte, Kriegerwitwen und deren Familien, für Heimkehrer sowie für Vertriebene und Flüchtlinge, die in Hamburg und Schleswig-Holstein gestrandet waren. „Die Konzerte der Nachkriegszeit, die in kalten, zugigen und einfachsten Räumlichkeiten stattfanden, gehören sicherlich zu den innigsten und menschlich bewegendsten Liederabenden in der Geschichte unseres Chores“, so Liedertafel-Mitglied Hubertus Godeysen. „Nie wieder hatte der Chor so viele Sänger und nie wieder war die Liedertafel in der Hamburger Bevölkerung so populär und beliebt wie damals.“
Im Großen Saal der Elbphilharmonie gibt die Liedertafel ihr Jubiläumskonzert
In 200 Jahren ist die Hamburger Liedertafel zu einer Hamburger Institution geworden, zu einer lebenden Hamburgensie. Er unterhält enge Kontakte zu deutschen und internationalen Chören, passt sein Liedgut dem Geschmack des Publikums ständig an und verbindet gekonnt Tradition mit Moderne, Klassik mit Pop und Oper mit Filmmusik.

Genug Nachwuchs gibt es auch: Seit 2019 hat sich unter dem Dach der Liedertafel der junge Chor „Bengelsstimmen“ gebildet. Die Männer im Alter zwischen 20 und 35 Jahren gehen ihren eigenen Weg und werden möglicherweise in die Liedertafel hineinwachsen, denn die gemeinsame Freude am Gesang eint die jüngeren und älteren Sänger.
Übrigens: Am 17. Juni gibt die Liedertafel ab 11 Uhr im Großen Saal der Elbphilharmonie ihr Jubiläumskonzert. Leider war das Konzert nullkommanichts ausgebucht. Karten gibt es also nicht mehr.