Ex-Star-Club-Musiker: Achim Reichels Karriere begann mit einem abgekarteten Spiel
Es ist der berühmteste Musikschuppen aller Zeiten. Fast alle Weltstars der 60er Jahre waren zu Gast, und die „Beatles“ starteten dort ihre Karriere. Der „Star-Club“ – bei diesem Begriff leuchten Musikbegeisterten bis heute die Augen. Der 85-jährige Gerd Imholz aus Billstedt kann behaupten, selbst einmal auf der Bühne des berühmten Clubs gestanden zu haben. Er war damals Musiker, Sänger einer Band. Vor ziemlich genau 60 Jahren wurde er vom „Star-Club“ um einen großen Sieg betrogen. Behauptet er. Und er hat Beweise. Vor allem die „Rattles“ dürften davon gar nicht begeistert sein.
Es ist der berühmteste Musikschuppen aller Zeiten: der „Star-Club“. Die „Beatles“ starteten dort ihre Karriere, fast alle Weltstars der 60er Jahre waren zu Gast – und er auch: Der 85-jährige Gerd Imholz aus Billstedt – als junger Mann Sänger der „Mama Betty’s Band“ – erzählt, dass er vor 60 Jahren vom „Star-Club“ um einen großen Sieg betrogen worden sei. Beweise hat er dafür auch. Vor allem die „Rattles“ dürften davon gar nicht begeistert sein.
Sechs Jahrzehnte zurück: Im April 1962 wurde der „Star-Club“ eröffnet. Ein Freitag, der 13. wurde zum Glückstag für die Musikgeschichte. Es war sowas wie der Urknall des Pops. „Die Zeit der Dorfmusik ist vorbei“, stand auf den Plakaten, die damals überall in der Stadt hingen.

Schon ein Jahr später war der „Star-Club“ eine Institution und weltberühmt. Ein Mega-Erfolg. Es gab Ableger in verschiedenen Städten. Es gab eine eigene Zeitung, ein eigenes Plattenlabel, und die besten Musiker der Welt buhlten darum, in der Großen Freiheit 39 auftreten zu dürfen. Im „Star-Club“ gespielt zu haben, das war wie ein Ritterschlag.
Gerd Imholz behauptet: Die „Rattles“ standen schon vorher als Sieger fest
Im ersten Jahr hatte Manfred Weißleder, der Inhaber, nur englische Musiker dort auftreten lassen. Doch von diesem Prinzip rückte er ab, denn er hielt Ausschau nach neuen Talenten, die er aufbauen und vermarkten konnte. Und so veranstaltete er am 3. Februar 1963 – also vor gut 60 Jahren – den ersten der berühmten „Star-Club“-Nachwuchs-Wettbewerbe: Sechs junge Hamburger Bands traten gegeneinander an.

Wer am Ende zum Sieger gekürt wurde, das wissen Insider natürlich, das ist ein Stück Musikgeschichte: Die „Rattles“ mit ihrem Frontmann Achim Reichel schossen den Vogel ab. Doch jetzt stellt sich die Frage: Ging dabei wirklich alles mit rechten Dingen zu? Gerd Imholz sagt: „Nein.“ Und er behauptet steif und fest: „Uns wurde der Sieg gestohlen.“
„Uns“, damit meint er die Band, deren Sänger er damals war: die „Mama Betty‘s Band“. Imholz selbst hat sie 1959 gegründet. In Eidelstedt war das. „Am Anfang haben wir Skiffle-Musik gemacht und ich stand am Waschbrett. Später wechselten wir zum Twist, dann zum Rock’n’Roll. Und wo wir auftraten, da waren die Säle gerammelt voll. Sogar englische Soldaten kamen, um unseren Beach-Boys-Sound zu hören. Ratzeburg, Elmshorn, Soltau und Barmstedt – vor allem dort traten wir auf, dort hatten wir unsere Anhänger.“
Schlitzohr Imholz mobilisierte die Mama Betty‘s-Fans per Zeitungsannonce

Dann erhielt die „Mama Betty‘s Band“ eines Tages das Angebot, am Nachwuchswettbewerb im „Star-Club“ teilzunehmen. „Wir ahnten von Anfang an, dass hier Schiebung im Spiel war“, so Gerd Imholz. „Denn wir mussten nachmittags als erste Band antreten, die ,Rattles‘ aber, unsere größten Konkurrenten, am Abend – damit hatten die natürlich die besseren Karten.“
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Schlitzohr Gerd Imholz hatte dann eine – sagen wir – unkonventionelle Idee, um seiner Band einen Vorteil zu verschaffen: „Ich habe etliche Zeitungsannoncen geschaltet und unsere Fans aufgerufen, in den ,Star-Club‘ zu kommen, um uns zu unterstützen. Sie glauben es nicht: Am Tag des Wettbewerbs fuhren drei Reisebusse an der Großen Freiheit vor und spuckten jede Menge Ratzeburger, Barmstedter, Elmshorner und Soltauer aus.“

Dann ging’s los. Das Publikum verfolgte ausgelassen, wie die sechs Bands gegeneinander antraten. Die Musiker gaben alles. Anschließend sollten die Gäste auf ihren Wahlzetteln ein Voting abgeben und entscheiden, welche Gruppe die beste war.
„Star-Club“-Geschäftsführer Horst Fascher gesteht: „Ja, es wurde gemogelt“
Am Ende landete „Mama Betty‘s Band“ auf dem zweiten Platz, verfehlte also den sicher geglaubten Sieg. Wie das kam? „Der ganze Wettbewerb war eine Farce“, sagt Gerd Imholz und kann 60 Jahre später darüber lachen. „Alles war bereits vorher entschieden. ,Star-Club‘-Chef Weißleder wollte, dass die ,Rattles‘ als ,deutsche Beatles‘ Karriere machen, damit sie ihm, ihrem Manager, viel Geld einbringen. Wir von der Mama Betty‘s Band eigneten uns dafür nicht, wir standen alle im Beruf und hatten gar kein Interesse, durch die Diskotheken und Säle des ganzen Landes zu tingeln.“

Die berühmten „Rattles“ errangen den Sieg durch Betrug? Ist das wirklich wahr?
Nun ja. Es gibt einen Zeugen, der Imholz‘ Version bestätigt. Es ist kein Geringerer als Horst Fascher, damals Geschäftsführer des „Star-Clubs“ und Entdecker der „Rattles“. In einem Interview hat er schon 1994 eingeräumt, dass beim Nachwuchswettbewerb 1963 „gemogelt“ worden sei. „Die Jungs“ – gemeint waren Achim Reichel & Co. – „machten uns die Hütte voll.“ Deshalb hätten Weißleder und er die „Rattles“ als Sieger „gewollt“.
Wie genau der Schmu damals ablief? Fascher erzählt, dass die Kellner die Gäste unter Druck gesetzt hätten. Gerd Imholz‘ Theorie ist, dass vielfach Stimmkarten, die zugunsten seiner Band abgegeben wurden, in den Taschen der Kellner verschwanden.

Der Sieg beim Nachwuchswettbewerb war für die Rattles der Karriere-Katalysator
Das alles ist lange her und längst Geschichte. Gerd Imholz betont, dass er keinerlei Groll mehr hegt, dass er aber findet, die Wahrheit müsse endlich mal ans Licht kommen. Deshalb habe er sich an die MOPO gewandt.
Und Achim Reichel? Wenn damals geschummelt worden sein sollte, heißt das noch lange nicht, dass er davon wusste. Was sagt er zu den Vorwürfen von Gerd Imholz? Antwort: Nichts. Der inzwischen 79-jährige Musiker zieht es vor, sich mit dem Thema gar nicht erst zu beschäftigen. Er habe keine Lust, „Verschwörungsgerüchte“ zu kommentieren, schrieb Reichel der MOPO und empfahl die Lektüre seiner Autobiografie „Ich habe das Paradies gesehen“.

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Tja, darin findet sich allerdings nichts Erhellendes zur angeblichen Schiebung. In seinem Buch schildert Achim Reichel nur ausgiebig den Verlauf des Wettbewerbs. „Nachdem wir den Siegerpokal überreicht bekommen hatten, spielten wir noch eine euphorisierende Ehrenrunde, und danach war nichts mehr, wie es war. Mit dem Gewinn des ersten Band-Wettbewerbs 1963 waren für vier junge Musiker aus Hamburg die Weichen für eine beispiellose Karriere gestellt.“

Gerd Imholz räumt aber ein: „Die Rattles waren die besseren Rock‘n‘Roller
Der Erfolg der „Rattles“ ging jetzt durch die Decke. Sie wurden die erste deutsche Band, die regelmäßig im „Star-Club“ auftrat. Es folgten erste Plattenaufnahmen, eine England-Tour gemeinsam mit Little Richard und den Rolling Stones und ein Auftritt im Vorprogramm der „Bravo-Beatles-Blitztournee“ – mehr ging nicht. Die „Rattles“ avancierten zur erfolgreichsten deutschen Rockband der 60er und 70er Jahre. Sogar in England wurden sie gefeiert als die „deutschen Beatles“.

Und die Jungs von der “Mama Betty‘s Band“? Die machten weiter Musik in Kneipen und Sälen im Hamburger Umland – und werden bis heute nicht müde, von ihrem knapp verfehlten Sieg vor 60 Jahren im „Star-Club“ zu erzählen. Inzwischen gönnen sie den Rattles den Erfolg. Imholz gibt zu: „Die besseren Rock‘n‘Roller waren sie ganz eindeutig.“
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Übrigens: Auf den ersten „Star-Club-Nachwuchswettbewerb“ folgten weitere. Daran teilzunehmen, war das Ziel praktisch jeder deutschen Band. Ein Sieg galt als Karriere-Garantie. Alle wollten so sein wie die „Rattles“.