Ein Kind starb – und es ließ mich kalt
Der fünfjährige Arne K. versank an einem heißen Sommertag im Isebekkanal. Ich war dabei, als Feuerwehrleute ihn am 2. August 1981 aus dem trüben Wasser bargen und fotografierte routiniert die Wiederbelebungsversuche des Notarztes. Doch alle Mühen waren vergeblich. Das Kind starb. Damals berührte mich das nicht. Heute ist es anders.
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Der fünfjährige Arne K. versank an einem heißen Sommertag im Isebekkanal. Ich war dabei, als Feuerwehrleute ihn am 2. August 1981 aus dem trüben Wasser bargen und fotografierte routiniert die Wiederbelebungsversuche des Notarztes. Doch alle Mühen waren vergeblich. Das Kind starb.
Kurz vor 20 Uhr sitzen die Menschen an diesem herrlichen Sommerabend am 2. August 1981 unweit des U-Bahnhofs Hoheluftbrücke am Ufer des Isebekkanals. Sie füttern Enten oder grillen.
Arne K. balanciert auf einer schmalen Mauer am Kanal. Er verliert das Gleichgewicht, stürzt mit einem Aufschrei ins Wasser und versinkt sofort. Passanten alarmieren um 19.49 Uhr die Feuerwehr. Weil sich die Feuerwache 13 an der nahen Sedanstraße befindet, sind die Retter schon drei Minuten später am Einsatzort. Zwei Beamte reißen sich sofort die Kleider vom Leib und springen in den Kanal. Kollegen lassen ein Schlauchboot zu Wasser. Die Retter wissen – es kommt jetzt auf jede Sekunde an.
Junge war in den Isebekkanal gefallen
Die Isebek ist hier nur etwa zwei Meter tief, doch sehen kann man nichts. Die Feuerwehrleute stoßen auf ein altes Fahrrad, aber den Jungen finden sie nicht. Erst als sie Leinen mit Rettungsankern über den Grund des Kanals ziehen, werden sie etwa 30 Meter von der Unglücksstelle entfernt am Kaiser-Friedrich-Ufer (Eimsbüttel) fündig.
„Wir haben ihn“, schreit ein Feuerwehrmann, dann dokumentiere ich, wie das Kind aus dem Wasser ins Boot gezogen wird. Als ein Retter sich mit dem Kind im Schlauchboot zum Ufer bewegt, hat er Tränen in den Augen. Der erfahrene Retter weiß, dass der Junge im Hochsommer nach 30 Minuten im Wasser kaum eine Chance hat, wiederbelebt zu werden.
So kommt es auch, der Notarzt stellt die Wiederbelebungsversuche nach kurzer Zeit ein. Ich packe meine Kameras ein und fahre in die Redaktion. In der MOPO erschienen am nächsten Tag zwei Fotos und ein eher kleiner Artikel.
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Was ich damals als 22-jähriger Polizeireporter empfand, als ich den Tod eines Kindes miterleben musste? Nichts. Zu viel geschah damals in den 1980er Jahren, keine Woche verging, ohne dass ich Tote oder Schwerverletzte fotografierte. Ich war abgehärtet, Mitgefühl unterdrückte ich, um mich selbst zu schützen. Ich schlief und träumte auch nicht schlecht. Heute ist das anders.
Nach 43 Jahren habe ich die Bilder von damals aus dem Archiv geholt – und musste schlucken …
Der Autor: Thomas Hirschbiegel war mehrere Jahrzehnte Polizei-Chefreporter der MOPO und ein harter Hund. Doch manchmal wurde es persönlich. Einige Fälle lassen ihn heute nicht mehr los.