Das Fotoalbum der Massenmörder: Hamburger Polizisten und ihre furchtbaren Verbrechen
Manche von ihnen waren schon zu alt für den Kriegsdienst, deshalb wurden sie statt in die Armee in das Hamburger Reserve-Polizeibataillon 101 einzogen. Es handelte sich um Hafenarbeiter, Matrosen, Lageristen. Sie waren ganz normale, durchschnittliche Männer. Die meisten waren nicht einmal Nazis. Gerade deshalb ist es ja so schockierend, dass sie zu Taten fähig waren, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen.
Manche von ihnen waren schon zu alt für den Kriegsdienst, deshalb wurden sie statt in die Armee in das Hamburger Reserve-Polizeibataillon 101 eingezogen. Es handelte sich um Hafenarbeiter, Matrosen, Lageristen. Sie waren ganz normale, durchschnittliche Männer. Die meisten waren nicht einmal Nazis. Gerade deshalb ist es ja so schockierend, dass sie zu Taten fähig waren, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen.
Das schlimmste Massaker richteten die Hamburger Polizisten in Józefów im Distrikt Lublin an, etwa 45 Kilometer von der heutigen ukrainischen Grenze entfernt. 1500 wehrlose, unschuldige Menschen töteten sie dort innerhalb weniger Stunden. Genau 80 Jahre sind seitdem vergangen.

Was genau an diesem 13. Juli 1942 geschieht, hat 1968 das Landgericht Hamburg anhang von Zeugenaussagen rekonstruiert: An diesem frühen Montagmorgen lässt Bataillonskommandeur Major Wilhelm Trapp seine Männer antreten und richtet an sie eine Ansprache. Er lässt keinen Zweifel daran, worum es sich bei diesem Auftrag handelt. „Solche Aktionen lieben wir nicht“, sagt er, „aber Befehl ist Befehl.“
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Wer sich dieser Sache nicht gewachsen fühle, so Trapp weiter, der habe jetzt die Chance, sich zu melden. Es treten daraufhin tatsächlich einige Männer vor – es sind wohl elf. Sie müssen sich später von ihren Kameraden zwar einiges an Spott und Vorwürfen anhören, aber sie werden nicht bestraft, erleiden keine Nachteile und müssen nicht an den Erschießungen teilnehmen.
Massaker von Józefów: 1500 Menschen werden erschossen
Alle anderen Angehörigen des Bataillons – etwa 500 Mann – werden an diesem heißen Sommertag zu Massenmördern. Sie fallen gnadenlos über Józefów her. Dringen in jedes Haus ein. Spüren jeden Menschen auf. Töten jeden, der Widerstand leistet. Erschießen Kranke und nicht Gehfähige noch in ihren Betten. Alle, die gehen können, werden auf dem Marktplatz zusammengetrieben, dann grüppchenweise in einen nahegelegenen Wald gebracht, wo sie sich lang hinlegen sollen, mit dem Gesicht zum Boden. So erwarten sie ihren Tod.

Die Polizisten haben Befehl, ihr Bajonett aufzupflanzen, es als Zielhilfe zwischen die Schulterblätter ihrer Opfer zu setzen. Eine Jüdin ruft: „Das könnt ihr nicht machen, ich bin auch Hamburgerin!“ Eine andere: „Was tut ihr hier? Wie ist das möglich, dass Deutsche so sind!“
Dann fallen Schüsse. Den ganzen Tag. Schädel fliegen auseinander. Die Uniformen der Schützen sind mit Knochensplittern, Gehirnteilen und Blutspritzern bedeckt. Ein Polizeibeamter bemerkt an seinem aufgepflanzten Seitengewehr ein halbes Kindergehirn. Er schnippt es mit dem Daumen weg und muss sich dann übergeben.

Einer der Schützen sagt später aus, er habe immer zusammen mit demselben Kameraden Frauen und Kinder ermordet. Sein Kamerad habe zunächst die Mutter erschossen, und da ein Kind ohne seine Mutter nicht überleben könne, sei es ihm leichter gefallen, die Kinder zu erschießen.
„Aktion Reinhardt“: Der systematische Mord an den Juden Polens
Am Abend dieses grauenvollen Tages sind mindestens 1500 Menschen aus Józefów – tot. Wahrscheinlich noch sehr viel mehr.
Das Massaker ist Teil der „Aktion Reinhardt“ – Tarnname für die systematische Ermordung aller Juden und Roma im von Deutschland besetzten Polen. Zwischen Juli 1942 und Oktober 1943 werden rund 1,8 Millionen Juden sowie 50.000 Roma in die Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka deportiert und vergast. Oder aber von Einheiten wie dem Reserve-Polizeibataillon 101 gleich in ihren Wohnorten ermordet und im Wald verscharrt.

Fünf Wochen nach dem Blutvergießen von Józefów haben die Hamburger Polizisten den nächsten Auftrag: Am 19. August 1942 verüben sie ein Massaker in Lomazy. Dort werden die Todgeweihten, die nicht schon vorher beim Fluchtversuch ermordet worden sind, auf einem Schulhof zusammengetrieben und müssen stundenlang in sengender Hitze warten – so lange, bis im nahegelegenen Wald die Grube ausgehoben ist, in der sie sterben werden. Einer nach dem anderen. 800 jüdische Einwohner kommen so ums Leben.
Massaker von Lomazy: Die Mörder fotografierten jede Einzelheit
- Staatsarchiv Hamburg Das Massaker von Lomazy haben die Täter in allen Einzelheiten fotografisch dokumentiert. In sengender Hitze müssen die Menschen auf einem Sportplatz ausharren...
Das Massaker von Lomazy haben die Täter in allen Einzelheiten fotografisch dokumentiert. In sengender Hitze müssen die Menschen auf einem Sportplatz ausharren… - Staatsarchiv Hamburg Zur selben Zeit heben einige der gefangenen Juden im Wald eine Grube aus...
Zur selben Zeit heben einige der gefangenen Juden im Wald eine Grube aus… - Staatsarchiv Hamburg ... Schließlich werden die Menschen zur Grube getrieben und dort erschossen.
… Schließlich werden die Menschen zur Grube getrieben und dort erschossen.
Am 25. August 1942 ist das Ghetto von Miedzyrzec Schauplatz des nächstes Einsatzes. Weil sie den Namen nicht aussprechen können, nennen die Deutschen diesen Ort „Menschenschreck“. Das Hamburger Reserve-Polizeibataillon 101 hat den Auftrag, das Ghetto komplett zu räumen und 8000 Menschen in Vernichtungslager zu deportieren. Mit Schlägen und Kolbenhieben werden die Menschen zur Eile angetrieben. Viele werden schon auf dem Weg zur Bahnstation erschossen. Die Leichen bleiben einfach am Straßenrand liegen.
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Die übrigen werden gezwungen, in die bereitgestellten Viehwaggons zu klettern. Bald darauf stehen in jedem Waggon an die 100 Menschen dicht an dicht gedrängt. Wo sich die Türen der Waggons nicht schließen lassen, weil sie durch Menschenleiber blockiert sind, wird rücksichtslos von der Schusswaffe Gebrauch gemacht, um auf diese Weise Platz zu schaffen. Anschließend werden Türen und Luftklappen vernagelt und die Güterzüge rollen los. Ziel: die Gaskammern von Treblinka.

Miedzyrzec tauften die Nazis um in „Menschenschreck“
Insgesamt ermorden Polizisten des Reserve-Polizeibataillons 101 während des Zweitens Weltkriegs direkt mindestens 8000 Menschen. Am Mord von weiteren mindestens 30.000 Menschen und an der Deportation von wenigstens 50.000 Männern, Frauen und Kindern in Vernichtungslager sind sie beteiligt. Kein Wunder, dass manch einer der Täter Angst bekommt, irgendwann dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. „Als ich merkte“, sagt einer von ihnen später, „dass der Krieg verloren geht, dachte ich: Nun gnade uns Gott.“

Zunächst sieht es nach 1945 allerdings so aus, als würden die Mörder-Polizisten ungestraft davonkommen. Zwar wird Bataillonskommandeur Trapp in Polen zum Tode verurteilt und gehängt, aber in Westdeutschland macht die Justiz keine Anstalten, die Taten aufzuklären. Einige der Mörder sind sogar noch im Polizeidienst: Julius Wohlauf etwa, im Krieg Kompaniechef, leitet die Hamburger Verkehrserziehung, Wolfgang Hoffmann, ebenfalls Ex-Kompaniechef, ist zeitweise im Revierdienst, später als Lehrer an der Polizeischule tätig.

Doch 1967 kommen die Täter doch noch vor Gericht: Insgesamt 14 Männer sitzen auf der Anklagebank. Schuldig bekennt sich keiner. Alle sagen, sie hätten doch nur ihre Befehle befolgt …
Die Erinnerungsfotos werden zu wichtigen Beweisen
Bei Hausdurchsuchungen finden die Ermittler Fotoalben – voll mit Erinnerungsfotos vom Massenmord. Darauf zu sehen: unzählige Menschen, die zusammengetrieben und ermordet werden. Und: Täter, die feixen und lachen. Als Beweise werden diese Bilder Teil der Ermittlungsakten – und sind so bis heute erhalten.

1968 werden die Urteile gesprochen. Ein Skandal, wie milde die Justiz mit den Mördern verfährt. Fünf Angeklagte erhalten Zuchthausstrafen zwischen fünf und acht Jahren. Strafen, die 1972 in zweiter Instanz dann auch noch deutlich reduziert werden. Sechs weitere Angeklagte werden zwar schuldig gesprochen, von einer Strafe aber sieht das Gericht ab.
Historiker Wolfgang Kopitzsch hat die Rolle der Polizei in der NS-Zeit dokumentiert

In den 1980er Jahren erteilt die Hamburger Innenbehörde dem Historiker (und späteren Polizeipräsidenten) Wolfgang Kopitzsch den Auftrag, die Rolle von Hamburgs Polizei im Nationalsozialismus zu erforschen. Besonderes Augenmerk legt er dabei auf die Verbrechen der Polizeibataillone. Zwischen 1985 und 1988 sichtet Kopitzsch alle vorhandenen Quellen und Unterlagen zur Geschichte der Polizei in der Weimarer Republik und der NS-Zeit und erarbeitet eine Ausstellung, die zunächst intern in der Landespolizeischule, 1998 auch im Hamburger Rathaus zu sehen ist.