Dreiste Fälschung, blanke Brüste, blauer Trainer: Affären, die Hamburg erschütterten
Nicht mehr lange, und die vermeintlichen „Hitler Tagebücher“ sind 40 Jahre alt. Im April 1983 kündigt der damalige „Stern“-Chefredakteur Peter Koch großspurig an, die Geschichte des Nationalsozialismus müsse neu geschrieben werden. Bis dann herauskommt, dass es sich um einen gigantischen Schwindel handelt. Wie peinlich! Nur einer von etlichen Skandalen, die es in Hamburgs bewegter Geschichte gegeben hat und von denen wir Ihnen hier die spannendsten präsentieren: Wir erzählen die Geschichte von HSV-Trainer Branko Zebec, der trotz großer Erfolge fristlos gekündigt wird. Von Orthopädie-Professor Bernbeck, der seine Patienten zu Krüppeln macht. Und von Bürgerschaftspräsident Berndt Röder, der 2010 aufs Glatteis gerät und böse ausrutscht.
Nicht mehr lange, und die vermeintlichen „Hitler Tagebücher“ sind 40 Jahre alt. Im April 1983 kündigt der damalige „Stern“-Chefredakteur Peter Koch großspurig an, die Geschichte des Nationalsozialismus müsse neu geschrieben werden. Bis dann herauskommt, dass es sich um einen gigantischen Schwindel handelt. Wie peinlich! Nur einer von etlichen Skandalen, die es in Hamburgs bewegter Geschichte gegeben hat und von denen wir Ihnen hier die spannendsten präsentieren: Wir erzählen die Geschichte von HSV-Trainer Branko Zebec, der trotz großer Erfolge fristlos gekündigt wird. Von Orthopädie-Professor Bernbeck, der seine Patienten zu Krüppeln macht. Und von Bürgerschaftspräsident Berndt Röder, der 2010 aufs Glatteis gerät und böse ausrutscht.
10. Januar 1984: Der Bernbeck-Skandal
„Chefarzt operierte uns zu Krüppeln“ – kaum eine MOPO-Schlagzeile hat je für so viel Wirbel gesorgt wie die vom 10. Januar 1984: Fünf junge Menschen erheben schwerste Vorwürfe gegen einen Mediziner des AK Barmbeks.
Dadurch kommt einer der schlimmsten Fälle von Ärztepfusch in der Geschichte der Bundesrepublik an die Öffentlichkeit: Orthopäde Professor Rupprecht Bernbeck hat Patienten über Jahrzehnte als Versuchskaninchen missbraucht, hat unerprobte Behandlungsmethoden an ihnen ausprobiert – mit furchtbaren Folgen. Die Opfer werden mit 30 Millionen Mark entschädigt.
9. Juni 1965: Bürgermeister Paul Nevermann tritt zurück
Im Mai 1965 besucht Queen Elizabeth II. Hamburg – ein „Staatsbesuch des Jahrhunderts“, wie die Zeitungen schreiben. Ein winziges Detail am Rande, von dem die Weltöffentlichkeit kaum Notiz nimmt, wird in der Hansestadt zu einem Skandal. Als Bürgermeister Paul Nevermann (SPD) die Queen im Rathaus begrüßt, steht nicht, wie es das strenge Protokoll eigentlich verlangt, die Ehefrau an seiner Seite. Als „First Lady“ ist Ilse Engelhard, die Frau des Zweiten Bürgermeisters, eingesprungen. Daraufhin berichten Springer-Zeitungen über eine Affäre des Bürgermeisters mit einer 42-jährigen Industriellengattin.
Als die SPD ihm die Pistole auf die Brust setzt, entscheidet sich der Bürgermeister für die Liebe und gegen das Amt und tritt am 9. Juni 1965 zurück. Am Tag danach quillt sein Amtszimmer über vor Blumen. Die Hamburger zollen ihm Respekt für diese Entscheidung.
19. Februar 2010: „Glatteis-Röder“ tritt zurück
Im Februar 2010 hat der Winter Hamburg fest im Griff. Fast alle Nebenstraßen sind unter einem Eispanzer verschwunden. Alle? Nein, eine kleine Seitenstraße in Groß Borstel wird von der Stadtreinigung fein säuberlich vom Eis befreit und abgestreut. Warum das so ist, enthüllt damals die MOPO: In der fraglichen Straße wohnt nämlich Bürgerschaftspräsident Berndt Röder (CDU), und der hat bei der Stadtreinigung seine ganze Autorität in die Waagschale geworfen und eine Sonderbehandlung verlangt.
Als die MOPO ihn konfrontiert, bestreitet Röder zunächst alles. Schließlich muss er sein Amt räumen. Seither hat der Mann seinen Spitznamen weg: „Glatteis-Röder“.
18. Juni 1984: Der Boehringer-Skandal
Die Dioxin-Schleuder H. C. Boehringer in Billbrook – die Fabrik des Todes. Mit dem Namen dieses Chemiewerks ist einer der größten Umweltskandale Hamburgs verbunden: Das Werk stellt vor allem Lindan her, ein hochgiftiges Pestizid gegen Schädlinge. Wichtigster Grundstoff: Hexachlor-Cyclohexan (HCH), bei dessen Verbrennung Dioxine entstehen. 1984 kommt ans Licht, dass nicht nur das Werksgelände verseucht ist, sondern auch zwei Deponien, eine auf der Veddel, eine in Georgswerder, wo die Firma jahrzehntelang ihr Gift entsorgt hat. Am 18. Juni 1984 wird das Werk geschlossen – zu spät für 1600 Arbeiter und Angestellte, von denen viele an Krebs, Nervenleiden und Nierenschäden erkranken.
4. April 2010: Guerreros Flaschenwurf
Tatort: die HSV-Arena. Nach dem mageren 0:0 gegen Hannover entlädt sich der Fan-Frust: Die Spieler ernten Pfiffe, als sie das Spielfeld verlassen. Und einem gehen die Nerven durch: HSV-Star Paolo Guerrero. Er rastet völlig aus: Der Peruaner ist schon fast im Kabinengang, als ihn ein Fan anbrüllt. Angeblich fallen Worte wie „Arschloch“ oder „Du spielst scheiße!“ Guerrero nimmt daraufhin seine Trinkflasche und feuert sie in Richtung Tribüne! Sekundenbruchteile später trifft sie den Fan am Kopf, der sich vor Schmerz wegdreht.
Die Sache kommt Guerrero teuer zu stehen: Nicht nur sein Verein belegt ihn mit einer Strafe, auch die Staatsanwaltschaft. Er muss 100.000 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen.
26. Oktober 1962: Die Spiegel-Affäre
An diesem Freitagabend geht es mit einem Mal hektisch zu am Speersort. Etliche Streifenwagen fahren vor dem Pressehaus vor. Anschließend stürmen Polizisten die Redaktionsräume des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“. Später werden Chefredakteur Rudolf Augstein und Chefreporter Conrad Ahlers in U-Haft genommen. Der Vorwurf: Landesverrat. In einem Artikel hat Ahlers darüber berichtet, dass die Bundeswehr mit konventionellen Waffen nicht in der Lage wäre, einem Angriff des Warschauer Paktes zu trotzen. Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) schäumt vor Wut und sinnt auf Rache.
Womit die Adenauer-Regierung jedoch nicht gerechnet hat, dass die Aktion gegen den „Spiegel“ zu landesweiten Protesten führt. Am Ende ist es Strauß, der den Kürzeren zieht: Während Augstein nach 103 Tagen Haft auf freien Fuß gesetzt wird, muss der stiernackige Bayer seinen Abschied nehmen.
17. Dezember 1980: HSV-Trainer Zebec wegen Trunkenheit gefeuert
Er ist ein vom Fußball besessener Mann, gilt als strenger Fußballlehrer, als Diktator. Die Rede ist von Branko Zebec. Der einstige jugoslawische Nationalspieler trainiert Bayern München und Eintracht Braunschweig und läutet 1979, als er mit dem HSV auf Aufhieb Deutscher Meister wird, die Erfolgsjahre des Hamburger Clubs ein. Doch Zebec hat eine Schwäche: den Alkohol. Einmal verpasst er den Mannschaftsbus und will mit dem Auto hinterherfahren, als die Polizei ihn anhält und ihn blasen lässt. Das Ergebnis: 3,25 Promille.
Zebec‘ Alkoholkrankheit lässt sich spätestens ab dem 19. April 1980 nicht mehr verheimlichen: An diesem Tag tritt der HSV im Westfalenstadion gegen Borussia Dortmund an. Zebec sitzt während der ersten Minuten zusammengesunken und randvoll auf der Bank. Die zweite Halbzeit verschläft er im Mannschaftsbus. Danach dauert es noch ein paar Monate, bis HSV-Manager Günter Netzer die Reißleine zieht: Am 17. Dezember 1980 entlässt der Verein Zebec fristlos. Acht Jahre später stirbt er an den Folgen seines Alkoholmissbrauchs.
23. Juni 1919: Der Sülze-Aufstand
Ein Lebensmittelskandal lässt Hamburg im Sommer 1919 regelrecht kopfstehen. Alles fängt damit an, dass am 23. Juni 1919 vor der Sülzefabrik von Jacob Heil in der Kleinen Reichenstraße ein Fass mit Abfällen, das eigentlich zum Abtransport bestimmt ist, am Straßenrand zerbricht. Als Passanten in der breiigen, stinkenden Masse einen Hundekopf entdecken, nimmt das Unheil seinen Lauf: Das Gerücht geht um, Heil habe Hunde und Ratten zu Sülze verarbeitet. In der Bevölkerung, die auch noch ein Jahr nach Ende des Ersten Weltkriegs Hunger leidet, entlädt sich lange aufgestaute Wut.
Am Ende weiß sich Reichswehrminister Karl Noske keinen anderen Rat, als Soldaten nach Hamburg zu schicken. Am 1. Juli marschiert General Paul von Lettow-Vorbeck in der Stadt ein. Sülzefabrikant Heil wird übrigens später wegen Verstoßes gegen das Nahrungsmittelgesetz zu drei Monaten Gefängnis und 1000 Mark Geldstrafe verurteilt.
9. Dezember 2001: Tödlicher Brechmittel-Einsatz
Wir schreiben das Jahr 2001. Der Rechtspopulist Ronald Schill, damals besser bekannt als „Richter Gnadenlos“, bekommt immer mehr Zulauf. Vor diesem Hintergrund will der damalige Innensenator Olaf Scholz (SPD) Härte demonstrieren und setzt durch, dass im Kampf gegen Drogendealer Brechmittel eingesetzt werden dürfen. Die SPD verliert die Wahl dennoch. Und am 9. Dezember 2001 – inzwischen ist Schill Innensenator – kommt es zur Katastrophe: Der Nigerianer Achidi John (23), der bei seiner Festnahme 47 Drogenkügelchen geschluckt hat, wird in die Rechtsmedizin gebracht, wo Ärzte ihm gewaltsam ein Brechmittel verabreichen.
Achidi John gerät in Panik, schreit immer wieder: „I will die, I will die!“ („Ich werde sterben.“) Und genau das passiert dann auch. 2006 urteilt der Europäische Gerichtshof in Straßburg, Brechmitteleinsätze seien menschenrechtswidrig und ein Verstoß gegen das Folterverbot.
18. Oktober 1985: Kinski geht Gundlach an die Wäsche
Er ist unvergessen: der genauso wahnsinnige wie geniale Schauspieler Klaus Kinski. Der hat 1985 den frisch abgedrehten Film „Kommando Leopard“ zu promoten und tritt deshalb in der „NDR-Talk-Show“ auf. Dass er tagsüber auf dem Jungfernstieg einen vorüberradelnden Büroboten vermöbelt, ist nur die Ouvertüre für das, was dann vor laufenden Kameras passiert: Er lässt Moderatorin Alida Gundlach wissen, dass sie nur Müll rede – dabei sei er doch nur ihretwegen gekommen. Ob sie denn Strapse trage, will er wissen und greift schließlich beherzt zu. Bei weitem nicht der einzige Skandal, den Kinski sich geleistet hat.
9. Oktober 2007: Johannes B. Kerner wirft Eva Herman raus
Das gibt es nicht alle Tage im deutschen Fernsehen: 2007 fordert Johannes B. Kerner einen Gast seiner Talkshow mitten in der Sendung auf zu gehen. Es ist die „Tagesschau“-Sprecherin Eva Herman, der vorgeworfen wird, sich zuvor bei der Vorstellung ihres neuen Buches „Das Prinzip Arche Noah“ lobend über die Familienpolitik Hitlers geäußert zu haben. Weil sie darauf beharrt, missverständlich zitiert worden zu sein, schickt Kerner sie weg.
Für Eva Herman ist der Skandal das Ende ihrer TV-Karriere. Der NDR trennt sich von ihr: Hermans „Mutterkreuzzug“ beeinflusse die von ihr moderierten Sendungen negativ, lautet die Begründung.
18. Juni 1993: Der UKE-Strahlenskandal
1993 deckt die MOPO erneut einen Medizinskandal auf. Diesmal im Fadenkreuz: der später suspendierte Chefarzt der Strahlentherapie am UKE, Klaus-Henning Hübener. Betroffen sind Patienten, die an Prostata- oder Enddarmkrebs gelitten hatten und zwischen 1986 und 1990 am UKE behandelt worden sind. Hübener soll ihnen zu hohe Dosen an Strahlung verabreicht haben, was zu Verbrennungen führte und andere massive Spätfolgen hatte. 323 Patienten melden Schadenersatzansprüche an. In Zivilprozessen wird das UKE dazu verpflichtet, Entschädigungen in Höhe von 22 Millionen Euro zu zahlen.
25. Februar 2007: Stimmzettelklau bei der SPD
Dieser Diebstahl stürzt die Hamburger SPD in eine ihrer tiefsten Krisen: Im Februar 2007 sollen die Genossen abstimmen, wer als Bürgermeisterkandidat in die Bürgerschaftswahl geht: entweder Mathias Petersen oder Dorothee Stapelfeldt. Aber plötzlich fehlen 959 Stimmzettel aus der Briefwahl-Urne, die in der Parteizentrale aufbewahrt wird. Petersen ist um seine Wahl betrogen. Wer der Dieb ist, ist bis heute nicht geklärt. Klar ist, dass jemand in der SPD Petersen verhindern will. Der Hausarzt aus Altona gilt als „beratungsresistent“, „unberechenbar“ und sei zudem „ungeeignet als Politiker“. Am Ende wird keiner von beiden Spitzenkandidat der SPD, da beide nach dem Skandal als beschädigt galten. Stattdessen tritt der Publizist Michael Naumann 2008 gegen Ole von Beust (CDU) an.
Fast drei Jahre nach dem Stimmzetteldiebstahl leistet die SPD Hamburg beim früheren Parteichef Mathias Petersen Abbitte. Der Umgang mit dem damaligen Vorsitzenden sei nicht in Ordnung gewesen, sagt Hamburgs SPD-Chef Olaf Scholz nach der Präsentation eines neuerlichen Untersuchungsberichts. „Mathias Petersen ist übel mitgespielt worden.“
24. Juni 1972: Eva Mattes und der Theater-Skandal
Eva Mattes – als „Tatort“-Kommissarin vom Bodensee ist sie einem breiten Publikum bekannt geworden. Nur die Älteren wissen, dass die Schauspielerin in ihrem Leben schon für so manchen Eklat sorgte. Sie ist 17, als sie in Franz Xaver Kroetz‘ Stück „Stallerhof“ im Schauspielhaus in Hamburg die Beppi spielt, ein zurückgebliebenes Mädchen mit einer Brille, dick wie Glasbausteine, das von einem Knecht geschwängert wird. Uraufführung ist am 24. Juni 1972. Mattes tritt in einer Szene nackt auf.
Auch in den größten deutschen Theater-Skandal ist Eva Mattes verwickelt: Sie wirkt 1976 in Peter Zadeks „Othello“-Inszenierung am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg mit. Ihre Rolle ist die der Desdemona, die von einem wild gewordenen Othello nackt über die Bühne geschleift, ermordet und schließlich an einer Wäscheleine aufgehängt wird. Danach tobt 40 Minuten lang der Zuschauerraum – aber nicht vor Freude.
28. April 1983: Die gefälschten Hitler-Tagebücher
„Hitlers Tagebücher entdeckt“, so titelt der „Stern“ am 28. April 1983, und im Editorial schreibt Chefredakteur Peter Koch hochtrabend: „Die Geschichte des Dritten Reiches muss teilweise neu geschrieben werden.“ Doch schon zwei Wochen später fliegt der ganze Schwindel auf: Weil Historiker Andreas Hillgruber Zweifel an der Authentizität der Tagebücher äußert, lässt der Verlag Gruner + Jahr eine chemisch-physikalische Echtheitsprüfung durchführen.
Das Ergebnis: Für das Papier wurden Weißmacher verwendet, die es erst seit den 50er Jahren gibt. Gerd Heidemann, der die falschen Hitler-Tagebücher „entdeckt“ hat, wird gefeuert und später zu vier Jahren und acht Monaten Gefängnis verurteilt. Konrad Kujau, der Fälscher, kommt mit viereinhalb Jahren Haft davon. Für Gruner + Jahr ist die Geschichte eine furchtbare Blamage. Und teuer: Neun Millionen Mark hat der Verlag für die Bücher gezahlt.
28. Mai 1987: Mathias Rust landet auf dem Roten Platz
Es ist der Abend des 28. Mai 1987, als sich die ganze Welt die Augen reibt. Ein gewisser Mathias Rust, ein 18-jähriger Schüler aus Wedel bei Hamburg, landet mit seiner Cessna 172 P in Moskau. Und zwar mitten auf dem Roten Platz. Die sowjetische Luftabwehr hat völlig versagt und nichts von dem Eindringling mitbekommen. Deshalb schickt Generalsekretär Gorbatschow den Verteidigungsminister und mehrere Generäle in die Wüste. Nach 14 Monaten Haft kommt Rust frei.
Anfangs gilt er in der deutschen Öffentlichkeit als tollkühner Flieger, aber bald wird klar: Mit dem Kerl stimmt was nicht. Rust sticht eine Krankenschwester nieder, klaut im Kaufhaus, lügt und betrügt. Zuletzt macht er 2011 von sich reden, als er sich unter falschem Namen zum Yoga-Lehrer ausbilden lässt, aber die Kursgebühren schuldig bleibt.
8. Juni 1986: Der Hamburger Kessel
Es sind unruhige Zeiten im Juni 1986. Atomkraftgegner machen mobil gegen das AKW Brokdorf, rufen für den 7. Juni zur Großdemo auf. Auch viele Hamburger wollen daran teilnehmen, werden aber schon weit vor dem Ziel von der Polizei gestoppt. So kommt es, dass sich am Tag danach auf dem Heiligengeistfeld Menschen versammeln, um für ein „Recht auf Demonstration“ und „gegen Polizeiwillkür“ zu protestieren. Noch bevor sich der Marsch formieren kann, stürmt die Polizei den Platz: 861 Menschen werden umzingelt, für 13 Stunden eingekesselt. Es gibt nichts zu essen, nichts zu trinken, die Menschen dürfen nicht einmal auf die Toilette.
Später wird das Hamburger Verwaltungsgericht feststellen, dass der „Hamburger Kessel“ rechtswidrig war. Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) spricht von „staatlicher Geiselnahme“. Vier Polizeidirektoren werden angeklagt. Sie werden der 861-fachen Freiheitsberaubung für schuldig befunden, kommen mit Geldbußen auf Bewährung davon. Ermittlungen gegen Innensenator Rolf Lange (SPD) werden eingestellt.
19. August 2003: Der Rauswurf von Innensenator Schill
Wie ein begossener Pudel sitzt er da. Die Lippe noch dazu entstellt von Herpes: Innensenator Ronald Schill am 19. August 2003 auf einer Pressekonferenz im Rathaus. Soeben hat Bürgermeister Ole von Beust (CDU) ihn seines Amtes enthoben. Das Ende einer genauso beispiellosen wie peinlichen Politkarriere: Nur zwei Jahre zuvor hat Schill mit seiner Partei „Rechtsstaatliche Offensive“ aus dem Stand fast 20 Prozent der Stimmen abgeräumt und Ole von Beust zum Bürgermeister gemacht. Schills Amtszeit ist ein einziger Skandal. Als er aber versucht, den Bürgermeister mit dessen Homosexualität zu erpressen, ist das Maß voll: Beust feuert ihn.
Schill lebt heute in Rio de Janeiro (Brasilien) von seiner Richterpension und tritt gelegentlich im Fernsehen auf, in Shows wie „Promi Big Brother – das Experiment“ oder „Kampf der Realitystars – Schiffbruch am Traumstrand“ bei RTL.
6. September 1979: Der Stoltzenberg-Skandal
Eine Explosion erschüttert den Keller des Wohnhauses Lüdersring 137 in Lurup. Der achtjährige Oliver Ludwig stirbt, sein Bruder Thomas (13) erleidet schwerste Verbrennungen. Der Dritte im Bunde, der zehnjährige Stefan Behrmann (Foto), verliert die rechte Hand. Er erzählt, dass sie auf einem verwahrlosten Gelände in Eidelstedt Gegenstände gefunden hätten. Die seien in die Luft geflogen, als sie zu Hause damit hantierten …
Mit diesem Unglück beginnt einer der größten Umweltskandale in der Geschichte der Stadt: der Stoltzenberg-Skandal. Ein Untersuchungsbericht bringt zutage: Jahrzehntelang hatte die Chemiefabrik gefährlichste Chemikalien auf ihrem Werksgelände verbuddelt, statt sie zu entsorgen. Obwohl die Behörden von den Zuständen wussten, unternahmen sie nichts. Justizsenator Frank Dahrendorf (SPD) nimmt seinen Hut.
19. Dezember 2018: Der Fall Relotius
Seine Reportagen sind fast immer außergewöhnlich, einzigartig, spektakulär. Sie spielen in unzugänglichen Kriegsgebieten, in der amerikanischen Provinz oder hinter den Mauern von Gefängnissen. Und sie sind beneidenswert gut geschrieben, so gut, dass der Hamburger Spiegel-Reporter Claas Relotius mit Journalistenpreisen nur so überhäuft wird.
Doch dann, vor vier Jahren, platzt die Bombe. Relotius schreibt über eine Bürgerwehr in den USA, die an der mexikanischen Grenze illegale Migranten aufspürt. „Jaegers Grenze“ lautet der Titel. Ein Kollege, der erfahrene Reporter Juan Moreno, bekommt Zweifel, fragt sich: Kann das sein? Ist diese drehbuchhaft stimmige Geschichte tatsächlich so passiert? Auf eigene Faust geht Moreno der Sache nach, sucht Orte und handelnde Personen auf und stellt fest: alles frei erfunden.
Am 19. Dezember 2018 platzt die Bombe. Der „Spiegel“ muss zugeben: Über Jahre hat Relotius Texte geschrieben und veröffentlicht, von denen die meisten zwar einen wahren Kern hatten, aber gespickt waren mit erfundenen Fakten und fiktiven Szenen. Der Betrugsskandal erschüttert den „Spiegel“ in seinen Grundfesten und stellt die Glaubwürdigkeit des Magazins, ja, der Medien insgesamt infrage.