Bornplatzsynagoge: Juden wurden auch noch nach 1945 skrupellos betrogen
Vor 1945 haben die Nazis Juden gedemütigt, entrechtet, ausgeplündert, ermordet. Und nach 1945? Da hat das demokratische Deutschland die Juden, die überlebt hatten, auch noch skrupellos über den Tisch gezogen. Wiedergutmachung? Entschädigung für den gestohlenen Besitz, die Häuser, die Firmen? Davon kann in vielen Fällen nicht die Rede sein. Der Fall Bornplatzsynagoge zeigt das besonders deutlich.
Vor 1945 haben die Nazis Juden gedemütigt, entrechtet, ausgeplündert, ermordet. Und nach 1945? Da hat das demokratische Deutschland die Juden, die überlebt hatten, auch noch skrupellos über den Tisch gezogen. Wiedergutmachung? Entschädigung für den gestohlenen Besitz, die Häuser, die Firmen? Davon kann in vielen Fällen nicht die Rede sein. Der Fall Bornplatzsynagoge zeigt das besonders deutlich.
Ende September hat die Bürgerschaft beschlossen, den heutigen Joseph-Carlebach-Platz (früher Bornplatz), auf dem das Gotteshaus einst stand, an die Jüdische Gemeinde zurückzugeben. Wer das für eine besonders großzügige Geste hält, der irrt. Vielmehr ist die Rückgabe das Wenigste, was Hamburg tun konnte.

Das könnte Sie vielleicht auch interessieren: SS-Männer pinkeln auf die Heilige Schrift
Jüdischer Gemeinde geschah nach 1945 erneut himmelschreiendes Unrecht
Denn dank der Forschungen des Historikers Jürgen Sielemann wissen wir inzwischen sehr genau, dass der Jüdischen Gemeinde himmelschreiendes Unrecht nicht allein 1939 widerfuhr, als sich die Nazis das Grundstück unter den Nagel rissen. Zu haarsträubenden Vorgängen kam es auch 1953 – im Rechtsstaat Bundesrepublik! Unfassbar, aber wahr: Derselbe Behördensachbearbeiter, der in der NS-Zeit den Zwangsverkauf von Grundstücken der Jüdischen Gemeinde an die Stadt abgewickelt hatte, bearbeitete im Nachkriegs-Hamburg die Anträge auf Rückerstattung. Sielemann spricht von einem der „fatalsten Beispiele personeller Kontinuität in der hamburgischen Verwaltung der Nachkriegszeit“.
Wer ist dieser Jürgen Sielemann? Der größte Kenner jüdischen Lebens in unserer Stadt. Als Archivar im Staatsarchiv war er bis zu seiner Pensionierung für das Archivgut der Jüdischen Gemeinden zuständig. 1996 gründete er die Hamburgische Gesellschaft für jüdische Genealogie. Auch heute noch, mit 79, wird er nicht müde, Fragen von Juden aus aller Welt zu beantworten, die mehr über ihre aus Hamburg stammenden Vorfahren erfahren möchten. Für jede Anfrage wälzt Sielemann unzählige Akten und stellt Daten zusammen. „Sielemann ist für mich ein stiller Held“, sagt Daniel Sheffer, der bei der Jüdischen Gemeinde den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge vorantreibt. „Er gibt den Juden ihre Biografie zurück.“
Das könnte Sie auch interessieren: Israels Präsident unterstützt Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge
Sielemann fand den Beweis: Die Stadt hat der Gemeinde das Grundstück 1939 geraubt

Große Verdienste hat sich Sielemann bei der Erforschung von Hamburgs NS-Vergangenheit erworben: Er war es, der enthüllte, dass es Hamburgs oberster Nazi, Reichsstatthalter Karl Kaufmann, war, der 1941 den Anstoß dafür gab, dass Hitler die Deportation deutscher Juden in den Osten befahl. Sielemann konnte auch den Beweis erbringen, dass Kaufmann keineswegs versucht hat, die Pogrome am 9./10. November 1938 in Hamburg zu unterbinden – das behauptete er nach dem Krieg – sondern dass er sie sogar ausdrücklich befahl. Kaufmann persönlich war daher auch für das verantwortlich, was mit der Bornplatzsynagoge geschah: Sie wurde geschändet, verwüstet, angesteckt – und dann im Jahr darauf auf seine Anweisung hin abgerissen.
Zuvor erwarb die Stadt 1939 das Grundstück. Genauer gesagt: Sie raubte es. Zwar wurde ein Vertrag aufgesetzt, in dem sich die Stadt verpflichtete, die lächerliche Summe von 90.459 Reichsmark zu zahlen – abzüglich 5000 Mark für den Abriss der Synagoge, für den die Gemeinde aufkommen sollte. Am Ende aber hat die Stadt – und Sielemann hat dafür den Beweis gefunden – den Kaufpreis nie gezahlt.
Das könnte Sie auch interessieren: Jüdische Gemeinde erhält Synagogen-Grundstück zurück. Ein historischer Tag
Ungeheuerlich ist auch das, was nach dem Krieg geschah, als die neu gegründete Jüdische Gemeinde die Rückerstattung verlangte. Die Reaktion der Behörden: unfreundlich bis eisig. Sielemann dokumentiert detailliert, wie Beamte den Grundstückswert abermals kleinzurechnen versuchten. Es sei ein „Trümmergrundstück“, so das Bezirksamt, solche Grundstücke würden „grundsätzlich als nicht verwertbar angesehen“. Dann wieder wurde argumentiert, die Universität benötige die Fläche für Erweiterungsbauten.
Aus der amtlichen Korrespondenz geht klar hervor: Die Anspruchssteller wurden als „Gegner“ betrachtet. An keiner Stelle ist ehrliches Bemühen herauszulesen, Unrecht wiedergutmachen zu wollen. Sielemann: „Die Beamten waren ausschließlich darauf bedacht, dass Hamburg bei der Sache möglichst günstig wegkommt.“
Amtmann Rechter: Unter den Nazis zuständig für Enteignung, nach dem Krieg für Wiedergutmachung
Einer dieser Beamten hieß Hans-Jochen Rechter. Es fiel Sielemann auf, dass er diesen Namen in den Akten früher schon einmal gelesen hatte. Bald kam er auch darauf, wo: in den Unterlagen aus der NS-Zeit über den Zwangsverkauf jüdischen Grundbesitzes. „Ich konnte es nicht fassen: Statt den Mann, der dafür verantwortlich gewesen war, zu entlassen oder zu versetzen, wurde er nach dem Krieg im ,Amt für Wiedergutmachung‘ eingesetzt, um Entschädigungsansprüche zu bearbeiteten.“
Das Ende vom Lied: Die Jüdische Gemeinde erhielt das Grundstück am Bornplatz nicht zurück, bekam auch keine Entschädigung. Obwohl schon 1949 gerichtlich festgestellt worden war, dass sie Rechtsnachfolger der Deutsch-Israelitischen Gemeinde ist, ließ die Stadt sie links liegen und verhandelte stattdessen mit der „Jewish Trust Corporation“ (JTC).

Die Gemeinde ging leer aus. Eine Treuhandorganisation ließ sich mit Almosen abspeisen
Treuhand-Organisationen wie die JTC, die Ansprüche an erbenlosem jüdischem Vermögen und dem Vermögen untergegangener jüdischer Organisationen anmeldeten, um mit dem Erlös jüdische Altenheime und Synagogen u. a. in Israel zu unterstützen, gab es zwischen 1945 und 1955 etliche. Sie konkurrierten miteinander und in diesem Fall sogar mit einer noch existierenden Gemeinde. Die Stadt Hamburg konnte sich praktisch aussuchen, mit wem sie sich verglich – und entschied sich für die JTC, die dafür bekannt war, dass sie „mit sich reden“ ließ.
Für die Stadt kam ein guter Deal zustande: Für insgesamt zwölf Grundstücke, darunter das Synagogengrundstück, die Gebäude der Talmud-Tora-Schule, der Israelitischen Töchterschule und des Israelitischen Krankenhauses, erhielt die JTC eine Pauschale von 1,5 Millionen D-Mark und für weitere 150 kleinere Grundstücke u. a. in Harvestehude und Rotherbaum noch einmal 1,8 Millionen D-Mark. Zusammen also etwas mehr als drei Millionen D-Mark. Heute sind diese Flächen von unschätzbarem Wert.
Dass die jüdische Gemeinde leer ausging – ein Skandal. Das sieht nicht nur Historiker Jürgen Sielemann so. Peter Zamory, Abgeordneter der Grünen in der Bürgerschaft, pflichtet ihm bei. Anlässlich der Rückgabe des Synagogen-Grundstücks vor ein paar Tagen sagte der Politiker, es gehöre „zur historischen Wahrheit, dass die Jüdische Gemeinde eigentlich zweimal enteignet wurde“.

Sielemann: „Wiedergutmachungspraxis nach 1945 muss wissenschaftlich untersucht werden“
Und nicht nur sie. Amtmann Rechter hat schließlich noch viele andere „Wiedergutmachungen“ durchgeführt. Und ob seine Kollegen anders arbeiteten, steht in den Sternen. Sielemann sagt, er habe natürlich nicht sämtliche Akten der „Behörde für Wiedergutmachung“ gelesen. „Aber bei den Entschädigungsverfahren, die ich kenne, ist es in aller Regel nicht fair gelaufen.“
Das könnte Sie auch interessieren: Hier graben sie nach den Resten der Bornplatzsynagoge
Regelmäßig wurde in den Verfahren von den Behörden in Zweifel gezogen, dass die Anspruchssteller wirklich gezwungen worden waren, ihren Besitz herzugeben. War der „Verkauf“ der Firma oder des Hauses nicht vielleicht doch einvernehmlich? Am Ende ließen sich viele Juden auf für sie ungünstige Vergleiche ein, weil sie vor der Wahl standen, zuzugreifen oder endlos zu prozessieren. Daniel Sheffer, Vorsitzender der Stiftung Bornplatzsynagoge, sagt: „Der Wohlstand unserer Stadt fußt auch auf dem Raub jüdischen Eigentums.“ Und er fragt sich: „Müsste nicht noch sehr viel mehr restituiert werden?“

Um herauszufinden, was bei der „Wiedergutmachung“ in der Nachkriegszeit im Einzelnen abgelaufen ist, wäre es nötig, ein Forschungsprojekt aufzusetzen. Sielemann sagt, dafür mache er schon seit 20 Jahren Werbung: „Die Wiedergutmachungspraxis in der Nachkriegszeit einmal wissenschaftlich zu untersuchen, ist überfällig. Vielen Leuten würden die Augen aufgehen.“