Das Bild, das den Skandal auslöste: Als Paparazzi den toten Bismarck fotografierten
Max Priester und Willy Wilcke – sie gelten als die ersten Paparazzi der Geschichte. Nachts drangen sie in das Sterbezimmer Otto von Bismarcks im Schloss Friedrichsruh ein und versuchten aus den heimlich geschossenen Fotos des Verstorbenen Kapital zu schlagen. Auf Ruhm und Geld hatten die beiden gehofft. Die Fürstenfamilie unternahm jedoch alles, um eine Veröffentlichung zu verhindern. Die beiden Fotografen landeten im Gefängnis, ihre Aufnahme im Safe. Für sehr lange Zeit.
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Max Priester und Willy Wilcke – sie gelten als die ersten Paparazzi der Geschichte. Nachts drangen sie in das Sterbezimmer Otto von Bismarcks im Schloss Friedrichsruh ein und versuchten aus den heimlich geschossenen Fotos des Verstorbenen Kapital zu schlagen. Auf Ruhm und Geld hatten die beiden gehofft. Die Fürstenfamilie unternahm jedoch alles, um eine Veröffentlichung zu verhindern. Die beiden Fotografen landeten im Gefängnis, ihre Aufnahme im Safe. Für sehr lange Zeit.
Auf dem Bild, das den Skandal auslöste, ist Bismarck in seinem Bett liegend zu sehen, versunken in einem wilden Kissenmeer. Sein Kopf ist verbunden, ein buntes Taschentuch liegt auf der Decke, gleich neben dem Verstorbenen steht noch der Nachttopf. Ein Foto, das Bismarck im intimsten Moment überhaupt zeigt – dem Moment des Todes. Kein sehr würdevolles letztes Foto von dem Mann, der die Nation einte und der in Teilen der Bevölkerung verehrt wurde wie ein Gott. Das Bild bewies, dass auch Bismarck nur ein Mensch war – genau das war es wohl, was die Fürstenfamilie störte.
Vor 125 Jahren starb der Eiserne Kanzler und zwei Fotografen hofften aufs große Geld
Die Geschichte dieses Skandals spielt im Hochsommer 1898, also vor bald 125 Jahren. Der Gesundheitszustand Bismarcks verschlechterte sich zusehends. Seit dem Tod seiner Ehefrau Johanna 1894 hatte sich der Politiker aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und versuchte sich auf seinem Alterssitz im Sachsenwald bei Hamburg mehr schlecht als recht in politischer Abstinenz. Mit dem Rückzug ins Private ging der körperliche Verfall einher.
Schon Mitte 1897 hatte der Hausarzt Anzeichen von Altersbrand festgestellt. Eine chronische Unterversorgung mit Blut führte zum Absterben von Körpergewebe, was mit großen Qualen verbunden war. Wohl auch eine Folge des maßlosen Lebenswandels, von dem Otto von Bismarck auch nicht abließ, als er schon todkrank war. Er aß in großen Mengen und sprach maßlos dem Alkohol zu.
Während der Öffentlichkeit weiter die Mär vom unverwüstlichen Kanzler erzählt wurde, ging es mit Bismarck rapide bergab. Ende Juli 1898 bestand kein Zweifel mehr daran, dass der bedeutendste deutsche Politiker des 19. Jahrhunderts nicht mehr lange zu leben haben würde.
Bismarcks Förster ließ sich von Max Priester und Willy Wilcke bestechen
Unter Journalisten war der baldige Tod des Eisernen Kanzlers längst ein offenes Geheimnis. Max Priester und Willy Wilcke, die beiden geschäftstüchtigen Hamburger Fotografen, träumten vom dem Coup ihres Lebens. Auch damals schon hatte die Öffentlichkeit ein ausgesprochen großes Interesse am Privatleben Prominenter – intime Aufnahmen des Eisernen Kanzlers wären eine Sensation. Priester und Wilcke gelang es, Bismarcks Förster und Ortsvorsteher Louis Spörcke zu bestechen: Gegen Geld hielt der sie von da an über den Zustand des Sterbenden stets auf dem Laufenden.
Am 30. Juli 1898 gegen 23 Uhr tat Bismarck seinen letzten Atemzug. Der Mensch war tot, aber der Mythos – so wollte es die Familie – sollte weiterleben. Bismarck sollte der Nachwelt in Erinnerung bleiben als großer Staatsmann, als unbeugsam und voller Energie. Als Eiserner Kanzler eben.
Deshalb schottete die Familie das Gut Friedrichsruh hermetisch ab. Nur ganz wenige Auserwählte durften einen Blick auf den Verstorbenen werfen. Selbst Wilhelm II. wurde ein direkter Abschied verwehrt. Als der Kaiser am 2. August eintraf – ihn verachtete Bismarck und nannte ihn noch kurz vor seinem Tod einen „dummen Jungen“ – war der Sarg bereits verschlossen. Eine bewusste Demütigung des Monarchen, der daraufhin nach 20-minütigem Aufenthalt wütend wieder abzog
Bismarck hatte die Bedeutung des Mediums Fotografie früh erkannt. War eine Kamera in der Nähe, setzte er sich, um die gewünschte Wirkung zu erzielen, gekonnt in Szene. Bismarck wollte immer die Kontrolle über sein Bildnis behalten. Kein Foto durfte veröffentlicht werden, ohne dass es von ihm freigegeben worden war.
Entsprechend groß war das Entsetzen in der Fürstenfamilie, als kurz nach seinem Tod, eine Annonce in der „Täglichen Rundschau“ erschien mit folgendem Text: „Für das einzige existierende Bild Bismarcks auf dem Sterbebette, Aufnahmen einige Stunden nach dem Tode, Original-Fotografie, wird ein Käufer resp. ein geeigneter Verleger gesucht.“
Bismarcks Wecker steht auf 23.20 Uhr, aber es war bereits 4 Uhr früh
Was war geschehen? In der Nacht vom 30. auf den 31. Juli 1898 hatte Förster Louis Spörcke Priester und Wilcke Zugang zum Schlossgelände ermöglicht. Da das Sterbezimmer des Fürsten im Erdgeschoss lag, mussten die beiden Paparazzi nur noch über die Fensterbank ins Innere klettern, ihre Kamera aufbauen, ihr Magnesium-Blitzlicht vorbereiten und ihre Fotos schießen. Die Uhr auf Bismarcks Nachttisch stellten sie dabei auf 23.20 Uhr zurück. Tatsächlich war es bereits 4 Uhr am Morgen. Die belichtete Fotoplatte wurde danach sofort im Eiskeller des Landhauses Damm entwickelt, eines Beherbungsbetriebes gegenüber von Schloss Friedrichsruh, in dem Wilcke und Priester logierten.
Am übernächsten Tag reisten die beiden Fotografen eilig mit dem Zug nach Berlin, wo sie im Grand Hotel de Rome an der Straße Unter den Linden Quartier bezogen, die oben zitierte Annonce schalteten und nur noch warten mussten, bis sich interessierte Verleger melden würden. Die kamen in Scharen.
Den Zuschlag erhielt der Meistbietende: Dr. Baltz, Eigentümer des Deutschen Verlages, zu dem unter anderem die „Berliner Neuesten Nachrichten“ gehörten. Baltz bot 30.000 Mark – umgerechnet rund 210.000 Euro. Zusätzlich sollten Wilcke und Priester eine Umsatzbeteiligung von 20 Prozent erhalten. Die beiden hätten ausgesorgt gehabt für den Rest ihres Lebens – wenn ihnen nicht jemand im letzten Moment einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte.
Umgerechnet 210.000 Euro wollte ein Verleger für das Bild bezahlen
Dieser Jemand war Arthur Mennell, ein Schriftsteller, der schon länger damit beschäftigt war, ein Werk über das Leben Otto von Bismarcks zu verfassen und der sich bei dessen Tod zufälligerweise in Friedrichsruh aufhielt. Von der Familie Bismarck war er am frühen Mittag des 31. Juli 1898 gebeten worden, Fotos des toten Patriarchen anzufertigen – allerdings musste er sein Ehrenwort geben, über die Bilder zu schweigen, sie bei der Familie abzuliefern und sie niemals für sich zu verwenden.
Als Mennell mitbekam, dass Wilke und Priester bereits vor ihm illegal Fotos von Bismarck angefertigt hatten und nun versuchten, aus den Aufnahmen Kapital zu schlagen, war er außer sich. In seiner Wut verriet er die Konkurrenten an die Familie Bismarck.
Sofort machte die Fürstenfamilie ihren ganzen Einfluss geltend: Herbert von Bismarck, der älteste Sohn des Verstorbenen, stellte am 4. August Strafantrag. Am selben Tag wurden das Berliner Hotelzimmer, aber auch die Hamburger Ateliers der beiden Fotografen durchsucht. Dabei stellten die Beamten Fotoplatten und Abzüge sicher.
Aber das reichte den Bismarcks noch nicht. Sie sannen auf Rache: Erstens wollten sie, dass die Fotos für immer verschwinden und zweitens, dass die Täter hart bestraft werden.
Es war eine langwierige juristische Auseinandersetzung, die am 20. Februar 1899 vor dem Landgericht Hamburg mit diesem Urteil ein Ende fand: Die Richter sprachen die Fotos der Familie Bismarck zu. Die Angeklagten, die, wie das Gericht feststellte, allein aus Profitgier gehandelt hätten, mussten ins Gefängnis: Wilcke für acht Monate, Priester für fünf Monate. Die Freiheitstrafe war dabei das kleinere Übel. Viel schlimmer wog die lebenslange gesellschaftliche Ächtung beider. Priester starb im Alter von 45 im Irrenhaus.
Das „Recht am eigenen Bild“ gibt es erst seit 1907
Zum Zeitpunkt von Bismarcks Tod gab es das „Recht am eigenen Bild“, wie wir es heute kennen, noch nicht – deshalb konnten die beiden Fotografen auch nur wegen Hausfriedensbruchs verurteilt werden. Erst acht Jahre nach Bismarcks Ableben wurde dieses Recht erstmals juristisch verankert: im Kunsturhebergesetz (KUG) von 1907.
Das KUG ist – wie übrigens auch viele Teile des Bürgerlichen Gesetzbuches – eins der ältesten, heute noch gültigen Gesetze der deutschen Rechtsgeschichte. Es sieht vor, dass Bildnisse grundsätzlich nur mit Einwilligung des Abgebildeten veröffentlicht werden dürfen. Nach dem Tod des Abgebildeten ist eine Genehmigung der Angehörigen einzuholen – und zwar bis zum Ablauf von zehn Jahren.
Die beschlagnahmten Negative von Wilcke und Priester sollen jahrzehntelang im Geldschrank der Bismarcks aufbewahrt worden sein. Erst nach mehr als einem halben Jahrhundert bekam die Öffentlichkeit das Skandal-Foto des toten Fürsten zu sehen: 1952 veröffentlichte es die „Frankfurter Illustrierte“ unter der Überschrift „Ein ergreifendes Bild von der Majestät des Todes“. Im Text heißt es: „Auf paradoxe Weise hat das Bild des Toten dazu beigetragen uns den fernen, fremden Bismarck zu erhalten, wenn nicht gar näher zu bringen. Ein Mythos ist Mensch geworden.“