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Gewalt
  • CSD 1980: Im Sternschanzenpark kommt es nach Ende der Demo zu Gewalt. Die Polizei geht hart gegen Schwule und Lesben vor.
  • Foto: chris lambertsen

CSD 1980: Als Polizisten auf Lesben und Schwule einschlugen

Es sind brutale Szenen, die sich am 28. Juni 1980 am frühen Nachmittag im Sternschanzenpark abspielen: Polizeibeamte prügeln und treten auf Schwule und Lesben ein, obwohl die nichts weiter wollen als am Ende ihrer Demo gemütlich zu picknicken. Die Polizei sprüht den Menschen Reizgas ins Gesicht. Schließlich müssen zwei ins Krankenhaus. So endet er: der erste Hamburger „Christopher Street Day“ vor 41 Jahren.

Heute ist der CSD in Hamburg ein gesellschaftliches Ereignis, ein Spektakel, zu dem Menschen von weit her anreisen. Ob hetero, schwul, bi oder sonst was – jeder hat seinen Spaß, jeder ist in Sektlaune. Das ist nicht zu vergleichen mit der Stimmung im Jahr 1980. Homosexualität ist damals immer noch eine Straftat. Der berüchtigte Paragraf 175 verbietet „Unzucht“ unter Männern. Das ist der Alltag damals: Homosexuelle werden verspottet, verprügelt, gefeuert, sind verfemte Außenseiter.

CSD 1980: Die Blicke des Passanten ganz links sprechen Bände. Rechts sitzend: Corny Littmann, der heutige Chef des Schmidts Tivoli. Thomas Hirschbiegel
CSD 1980
CSD 1980: Die Blicke des Passanten ganz links sprechen Bände. Rechts sitzend: Corny Littmann, der heutige Chef der Schmidt-Theater

„Wir waren der Abschaum der Gesellschaft, wurden von der Polizei gejagt und den Behörden unterdrückt“

Anders als heute ist der CSD damals nicht Wochen vorher angekündigt worden. Nur die einschlägige Community ist informiert. Und so ahnen die allerwenigsten Bürger, was sich am Rande ihres Einkaufsbummels in der City diesmal abspielen wird. Und wenn sie es gewusst hätten, dann hätten die Hamburger – zumindest die konservativen unter ihnen – ihren Kindern vorsichtshalber Ausgangsverbot erteilt. Damit die keinen sittlichen Schaden nehmen …

Wolfgang Krömer (69) gehörte vor 41 Jahren zu den Organisatoren des ersten CSD. Olaf Wunder
Krömer
Wolfgang Krömer (69) gehörte vor 41 Jahren zu den Organisatoren des ersten CSD.

Wolfgang Krömer ist damals jung, trägt das Haar lang und gehört als Mitglied der „Homosexuellen Aktion Hamburg“ zu den Organisatoren des ersten CSD. „Mit der Demo wollten wir zeigen, dass auch wir Rechte haben“, sagt der inzwischen 69-jährige Rentner. „Wir waren der Abschaum der Gesellschaft, wurden von der Polizei gejagt und von den Behörden unterdrückt. Wir wollten, dass das aufhört.“

Corny Littmann auf Rollschuhen und in Oma-Strickjacke

Fotos aus dem MOPO-Archiv zeigen, wie der erste CSD ablief. Sie zeigen Frauen, die einander küssen und Hand in Hand gehen. Sie zeigen Männer in Stöckelschuhen, Minirock und Perücke. Und mitten in der Menge ist Corny Littmann zu erkennen, heute ein bekannter Theaterintendant. Damals ist er auf Rollschuhen unterwegs und trägt eine Frauenstrickjacke, die aussieht, als hätte er sie sich bei seiner Oma geliehen.

Corny Littmann, heute Chef des Schmidts Tivoli, damals auf Rollschuhen und mit Oma-Strickjacke Thomas Hirschbiegel
Littmann
Corny Littmann, heute Chef der Schmidt-Theater, damals auf Rollschuhen und mit Oma-Strickjacke

Was die Schwarz-Weiß-Aufnahmen auch sehr gut dokumentieren: dass viele Passanten ziemlich irritiert sind, vielleicht auch ein bisschen angewidert angesichts der Paradiesvögel, die so gar keinen Hehl machen aus ihrer (etwas anderen) sexuellen Orientierung.

Und dann stellen diese Menschen auch noch Forderungen: „Gegen die Diskriminierung der Homosexualität!“ steht auf dem riesigen Banner, das die Aktivisten an der Spitze des Demonstrationszuges vor sich hertragen. Auf anderen Plakaten ist zu lesen: „Lesbisch sein ist schön“, „Lieber ein warmer Bruder als ein kalter Krieger“ und „Homosexualität ist gesund“ – eine Anspielung auf religiöse Spinner, die Homosexualität für eine Krankheit halten. Schmunzeln müssen wir bei diesem Slogan: „Wir fordern für alle Lesben bezahlten Urlaub für lesbische Flitterwochen.“

Paragraph 175 stellt Sex zwischen Männern unter Strafe

Wie es Ende der 70er Jahre gewesen ist als Homosexueller in Hamburg, das wollen wir von Wolfgang Krömer wissen. „Für schwule Lehrer oder Beamte oder für Leute, die in der mittleren Führungsebene einer Firma arbeiteten, war es furchtbar“, sagt Krömer. „Die hatten eine Heidenangst, dass was rauskommt. Die hätten ihren Job verloren. Sofort.“

Die Polizei ist damals immer hinter Schwulen her. Nicht einmal auf den öffentlichen Herrenklos in der City lassen sie sie gewähren. Was viele schon ahnen, aber niemand beweisen kann: In allen öffentlichen WCs Hamburgs gibt es halb durchsichtige Spiegel mit einem Raum dahinter, in dem ein Polizeibeamter sitzt und darüber wacht, dass nichts Sittenwidriges geschieht.

Gegen Diskriminierung der Homosexualität gingen 1980 Schwule und Lesben erstmalig auf die Straße Thomas Hirschbiegel
CSD 1980
Gegen Diskriminierung der Homosexualität gingen 1980 Schwule und Lesben erstmalig auf die Straße.

Wer bei „unzüchtigem Verhalten“ erwischt wird, erhält Hausverbot und landet – das ist noch schlimmer – auf der sogenannten Rosa Liste. Die Polizei führt nämlich regelrecht Buch über die sogenannten „175er“. So werden Schwule in Anlehnung an den Strafrechtsparagrafen spöttisch genannt.

Wolfgang Krömer wächst in Eckernförde auf. Sein Vater ist Berufssoldat. Als der Sohn sich 1969 mit 17 Jahren als schwul outet, sind seine Eltern längst getrennt. „So hat mein Vater nie von meiner Homosexualität erfahren, und das ist auch gut so“, sagt er.

Und die Mutter, wie hat die reagiert? Er grinst. „Der habe ich es gesagt, als ich 21 wurde und inzwischen in Hamburg studierte. Sie meinte nur: ,Och, das habe ich mir immer schon gedacht.‘“

Krömer will eigentlich Lehrer werden, erkennt aber rechtzeitig, dass das nichts ist für ihn ist. „Jemandem, der immer nur nett ist, dem tanzen die Schüler schnell auf der Nase herum“, glaubt er. Also wird er Korrektor und fängt bei der „Bergedorfer Zeitung“ an.

„Die jungen Schwulen zeigten der Obrigkeit einfach den Stinkefinger“

In den späten 60er Jahren wandelt sich das gesellschaftliche Klima in der Bundesrepublik. Erst gehen Studenten auf die Barrikaden, dann sind es die Frauen, die für ihre Rechte streiten – und schließlich folgen die Homosexuellen diesem Beispiel. Krömer erinnert sich: „Wir jungen Schwulen zeigten der Obrigkeit einfach den Stinkefinger. „,Der Staat? Der kann uns mal!‘ – das war unsere Haltung. Wir lebten, wie wir es wollten. Deswegen habe ich diese Zeit als unglaublich turbulent in Erinnerung und als sehr befriedigend, weil wir politisch so viel erreichten.“

Der Startschuss der Schwulen- und Lesbenbewegung fällt im New York des Jahres 1969: Am 28. Juni kommt es in der Schwulenbar „Stonewall“ in der Christopher Street zum Aufstand. Schwule wollen sich nicht länger von der Polizei terrorisieren lassen und wehren sich. Es kommt zu tagelangen Straßenschlachten, den „Stonewall Riots“.

CSD 1980: Polizei beobachtet die Schwulen-Demo mit Argusaugen. chris lambertsen
CSD 1980
CSD 1980: Polizei beobachtet die Schwulen-Demo mit Argusaugen.

Im selben Jahr wird in der Bundesrepublik der Paragraf 175 zwar noch nicht abgeschafft, aber wenigstens abgemildert. In Hamburg kommt „Du & Ich“ auf den Markt, die älteste schwule Zeitschrift in Deutschland.

1971 dreht Rosa von Praunheim einen Film mit dem Titel: „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“. Damit wird Praunheim zum Wegbereiter der politischen Schwulen- und Lesbenbewegung in der Bundesrepublik.

„Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“

1978 bekennen im „Stern“ 682 deutsche Männer: „Wir sind schwul“ – einer davon ist unser Zeitzeuge Wolfgang Krömer. Im selben Jahr kandidiert er bei der Bürgerschaftswahl für die Bunte Liste, einen Vorläufer der Grünen.

Das Selbstbewusstsein Homosexueller – es wächst von Jahr zu Jahr.

1978 bekennen im Stern Hunderte Männer, dass sie schwul sind Zeitschrift Stern
Stern
1978 bekennen im Stern Hunderte Männer, dass sie schwul sind.

Und dann kommt das Jahr 1980. „Uns fiel auf, dass andere uns weit voraus waren. Schon in allen großen deutschen Städten gab es Demos am ,Christopher Street Day‘“, erzählt Krömer, „sogar in Bremen“, wie er schmunzelnd einschiebt, „nur bei uns nicht.“ Und so wird beschlossen, dass Hamburgs erste Schwulen- und Lesben-Woche vom 23. bis 28. Juni 1980 stattfindet.

Das Programm ist bunt und vollgepackt: Es gibt Diskussionsrunden, Film- und Dia-Vorführungen, Feten – und als Höhepunkt die Demonstration. „Wir hatten große Angst, dass gar keiner kommt“, so Krömer. „Als sich auf dem Hansaplatz in St. Georg, wo es losging, dann doch nach und nach 1500 Menschen einfanden, waren wir sehr erleichtert.“

Demonstranten fordern Herausgabe der Filme – daraufhin wird’s brenzlig

Bei einer Zwischenkundgebung auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz fällt den Demonstranten ein weißer VW-Bus auf, aus dem heraus in Zivil gekleidete Menschen filmen und fotografieren. „Wir haben sie gefragt, wer sie sind, und sie haben sich als ,Jugendschutztrupp‘ der Polizei zu erkennen gegeben.“

Am Ende der Demo versammeln sich die Teilnehmer im Sternschanzenpark, wollen dort picknicken. Wieder wird aus dem weißen VW-Bus heraus fotografiert. Ein Beamter sagt auf Nachfrage, dies geschehe zur „Auffrischung der Karteien“.

Plakat des ersten CSD in Hamburg 1980 hfr/privat
CSD 1980
Plakat des ersten CSD in Hamburg 1980

Jetzt wird’s brenzlig. Die Demonstranten verlangen die Herausgabe des Filmmaterials. Weitere Polizeibeamte werden hinzugezogen, die gegen gewaltlose Demonstranten brutal vorgehen. Tritte, Schläge. Und der Einsatz von Reizgas.

Ein skandalöses Verhalten, das für die Polizei ohne Folgen bleibt.

Corny Littmanns „Spiegel-Affäre“ löst ein politisches Erdbeben in Hamburg aus

Doch schon wenige Tage später löst Corny Littmann, Spitzenkandidat der Hamburger GAL, einen Skandal aus, der hohe Wellen schlägt und die Staatsgewalt diesmal nachhaltig alt aussehen lässt: In sämtlichen öffentlichen WCs schlägt Littmann mit einem Hammer die Spiegel ein, macht damit die Bespitzelung von Schwulen durch Polizeibeamte öffentlich und bringt den Innensenator ganz schön in Erklärungsnot.

Wenig später werden sämtliche Überwachungseinrichtungen in den Toiletten beseitigt. Für immer.

Bis zur Aufhebung des Paragrafen 175 dauert es da immer noch weitere 14 Jahre. Dazu kommt es erst 1994, nach der Wiedervereinigung. Und 2017 beschließt der Bundestag, dass alle Urteile, die auf seiner Grundlage jemals gefällt worden sind, aufzuheben sind. Wurde auch Zeit.

Corny Littmann zerstört 1980 die Überwachungsspiegel der Polizei in den öffentlichen Toiletten. MOPO-Archiv
Corny
Corny Littmann zerstört 1980 die Überwachungsspiegel der Polizei in den öffentlichen Toiletten.

Zahlen, die unglaublich klingen, aber wahr sind: Allein zwischen 1950 und 1969 eröffnete die Justiz etwa 100.000 Ermittlungsverfahren gegen Schwule. 50.000 wurden rechtskräftig verurteilt.

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