Bunker an der Feldstraße: „Dieser graue Klotz ist mein Lebensretter“
Vor 80 Jahren wurde er fertiggestellt: der Hochbunker an der Feldstraße. Mächtige Flugabwehrkanonen auf dem Dach sollten feindliche Flugzeuge reihenweise vom Himmel holen. So jedenfalls die Erwartung der Nazi-Führung. Diese Hoffnung erfüllte sich zwar nicht – militärisch war der Flakturm ein Flop –, aber immerhin schützte das Bauwerk mit seinen meterdicken Mauern die Zivilbevölkerung. Karl-Heinz Pischke hat den mächtigen grauen Klotz seither in sein Herz geschlossen: „Er ist mein Lebensretter“, sagt der 89-Jährige.
Vor 80 Jahren wurde er fertiggestellt: der Hochbunker an der Feldstraße. Mächtige Flugabwehrkanonen auf dem Dach sollten feindliche Flugzeuge reihenweise vom Himmel holen. So jedenfalls die Erwartung der Nazi-Führung. Diese Hoffnung erfüllte sich zwar nicht – militärisch war der Flakturm ein Flop –, aber immerhin schützte das Bauwerk mit seinen meterdicken Mauern die Zivilbevölkerung. Karl-Heinz Pischke hat den mächtigen grauen Klotz seither in sein Herz geschlossen: „Er ist mein Lebensretter“, sagt der 89-Jährige.
„Flakturm IV“, so hieß der Bunker im NS-Regime offiziell. Wir treffen uns mit unserem Zeitzeugen direkt vor dem Gebäude. „Wir haben gleich da drüben in der Glashüttenstraße gewohnt, und ich habe als Buttje mitbekommen, wie sie angefangen haben, den Bunker zu bauen. 1942 war das. Anfangs hat ja keiner gewusst, was das eigentlich für ein Gebäude wird“, erzählt Pischke. „Es gab Gerüchte: Eines besagte, dass auf dem Dach riesige Magneten installiert würden, die Flugzeuge regelrecht ansaugen könnten.“ Pischke lacht. „Was für ein Unsinn! Aber so haben die Leute damals gedacht.“
Karl-Heinz Pischke war zehn Jahre alt, als er den Bunker das erste Mal betrat

Pischke kann sich gut erinnern, wie er als Zehnjähriger zum ersten Mal an der Hand seiner Mutter Hedwig den Bunker betrat. „Ich weiß auch noch genau, wann das war“, sagt er und seine Stimme wird ein bisschen feierlich. „Es war die Nacht vom 24. auf den 25. Juli 1943.“
Das ist nicht irgendein Datum. Es markiert den Beginn der größten Katastrophe in der Hamburgischen Geschichte. Denn in dieser Nacht starteten alliierte Bomberverbände die „Operation Gomorrha“ – eine Serie von fünf Nacht- und zwei Tagesangriffen, die erst am 3. August enden, weite Teile der Stadt in eine Trümmerwüste verwandeln und Zigtausende Hamburger das Leben kosten sollte. Diese Katastrophe jährt sich in diesem Jahr zum 80. Mal.
Schon seit 1940 gab es Luftangriffe auf Hamburg, aber keine so verheerenden. „Viele Nachbarn hatten es sich angewöhnt, die Luftschutzräume im Keller ihrer Wohnhäuser zu nutzen – einfach weil der Weg kürzer war und sich jeder schneller wieder in sein Bett kuscheln konnte, wenn Entwarnung gegeben wurde.“ Pischke sagt: „Vielleicht hätte meine Mutter mit mir in dieser Nacht auch den Keller aufgesucht, aber ich habe sie bedrängt, dass wir in den Bunker gehen. Ich war furchtbar neugierig. Ich wollte doch endlich sehen, wie es darin aussieht.“
Diese Neugier hat Karl-Heinz Pischke wahrscheinlich das Leben gerettet. Denn viele, die in dieser Nacht in den Kellern Schutz suchten, wurden lebendig begraben.
„Das Donnern der Flakgeschütze auf dem Dach vergesse ich nie“

„Im Bunker gab es Bänke, da saßen wir und warteten. Wir wurden mit Broten versorgt, die dick mit Butter bestrichen waren. Zu trinken gab es auch.“ Pischke erzählt, dass er mit anderen Jungen durch die Etagen gestromert sei. „Für uns Kinder war das ja alles total spannend.“ Einmal habe er für einen kurzen Moment durch eine sich öffnende Luke nach draußen schauen können. „Da sah ich den Michel, hell angestrahlt wie von Scheinwerfern. Aber das Licht kam nicht von Scheinwerfern. Es waren die Häuser ringsherum, die in Flammen standen.“
Pischke erzählt, wie im Laufe immer mehr Menschen Schutz im Hochbunker gesucht hätten. „Viele hatten rußverschmierte Gesichter“, erinnert er sich, „einige waren völlig aufgelöst, riefen in Panik: ,Alles brennt, alles brennt!‘“
Für Karl-Heinz Pischke unvergessen ist das Donnern, als die Flakgeschütze auf dem Dach in den Himmel feuerten. Er hat aber auch miterlebt, dass der Bunker selbst getroffen wurde. „Alles hat gezittert. Später habe ich erfahren, dass eine Bombe eine der Flakstellungen auf dem Dach erwischt hatte. Auf einen Schlag waren 17 Flakhelfer tot.“

Die „Operation Gomorrha“ verwandelte weite Teile Hamburgs in eine Trümmerwüste. Altona, Eimsbüttel, St. Pauli: schwer verwüstet. Hamm, Hammerbrook, Rothenburgsort: ausgelöscht. „In der Stadt herrschte das reinste Chaos“, so Pischke. „Kein Telefon, kein Wasser, kein Gas, keine Lebensmittel. Wer überleben wollte, musste sich was ,organisieren‘. Wasser holten wir uns beispielsweise im Schlachthof – die hatten da eine eigene Wasserversorgung.“
Pischke erzählt, dass Ausgebombte durch die Stadt irrten, Schottsche Karren mit ihren letzten Habseligkeiten vor sich her schiebend. „Ganz viele waren plötzlich obdachlos. Tausende Hamburger wurden per Lkw oder per Zug aufs Land gebracht. In Sicherheit.“
„Als wir ausgebombt waren, haben wir wochenlang im Bunker übenachtet“
„Weil es erstens keine funktionierenden Schulen in Hamburg mehr gab und sie mich zweitens aus der Schusslinie haben wollten, schickten mich meine Eltern zu Onkel Bruno, der in Schneidemühl in Westpreußen ein Uhrengeschäft betrieb“, sagt Pischke. „Aber im Januar 1945 musste ich auch da wieder weg, weil die Front immer näher rückte. Ich bin dann erst zu anderen Verwandten nach Brandenburg/Havel gekommen, bevor mich meine Mutter zurück nach Hamburg holte.“
Im März 1945 wurden dann auch die Pischkes ausgebombt. Das Haus an der Glashüttenstraße, in der die Familie wohnte, wurde schwer getroffen, der gesamte Dachsstuhl brannte aus. „Statt Zimmerdecke war da nur noch Himmel“, sagt Pischke. Und wieder spielte der Bunker an der Feldstraße eine wichtige Rolle für ihn: Mehrere Wochen lang hatten seine Mutter und er dort ihren Schlafplatz.

Am 3. Mai 1945 rollten britische Panzer über die Elbbrücken. Für Hamburg war der Krieg vorbei. Pischke erinnert sich, dass die Ruinen in der Stadt sein Spielplatz waren. Unter Jungs war damals das Sammeln von Bombensplittern groß in Mode. „Die, an denen noch ein Stück Gewinde war, waren wertvoller als die Splitter ohne Gewinde“, erzählt Pischke. „Und die bunten waren wertvoller als die grauen. Verrückte Zeit.“