Arbeit auf einem schwimmenden Schlachthaus: Hamburgs letzter Walfänger
Einer aus der Crew saß immer oben im Ausguck und scannte mit den Augen die endlosen Weiten des Meeres. Er hielt Ausschau nach dem sogenannten Blas – so wird die feuchte Atemluft genannt, die die Giganten des Meeres nach dem Tauchen ausstoßen. Sah er diese Fontäne, brüllte er: „Wal in Sicht“! Das war der Moment, in dem der Schütze unten an Deck alles stehen und liegen ließ und nach vorne zur Kanone rannte, die mit einer 30 Kilo schweren Harpune geladen war. Dann hieß es: warten. So lange, bis das Tier in Schussweite war.
Einer aus der Crew saß immer oben im Ausguck und scannte mit den Augen die endlosen Weiten des Meeres. Er hielt Ausschau nach dem sogenannten Blas – so wird die feuchte Atemluft genannt, die die Giganten des Meeres nach dem Tauchen ausstoßen. Sah er diese Fontäne, brüllte er: „Wal in Sicht“! Das war der Moment, in dem der Schütze unten an Deck alles stehen und liegen ließ und nach vorne zur Kanone rannte, die mit einer 30 Kilo schweren Harpune geladen war. Dann hieß es: warten. So lange, bis das Tier in Schussweite war.
Wenn Hajo Breckwoldt davon erzählt, dann funkelt es in seinen Augen. Mehr als 70 Jahre ist das alles her, aber mit einem Mal ist es wieder da: das Jagdfieber. „Traf der Schütze, kämpfte der Wal um sein Leben. An der Harpune war eine 700 Meter lange Leine befestigt, und ein verletzter Blauwal war in der Lage, unser Boot mit gut und gern sieben Knoten hinter sich her zu ziehen – so lange, bis ihn irgendwann die Kräfte verließen. Nach ein, zwei Stunden wurde das Tier schwächer, dann kamen wir nahe genug ran, um ihm den Todesschuss zu geben.“
„Wal in Sicht!“ brüllte der Ausguck – und sofort lief der Schütze an die Kanone
Hajo Breckwoldt ist der wahrscheinlich letzte überlebende Walfänger Deutschlands: Zwischen 1950 und 1956 gehörte er zu den rund 600 Seeleuten, die für die Walfangflotte des griechischen Reeders Aristoteles Onassis arbeiteten – die meisten davon stammten aus Hamburg. Etwa 22.000 Meeresgiganten haben Aristoteles‘ Walfänger in diesen sechs Jahren getötet.
Als wir Breckwoldt fragen, ob er nie Gewissensbisse hatte, ob ihm die Tiere nicht leidgetan haben, denkt der 88-jährige Blankeneser kurz nach und antwortet dann: „Ehrlich gesagt: nein. Damals jedenfalls nicht. Europa hungerte nach dem Krieg. Die Margarine, die aus dem Walöl herstellt wurde, ernährte die Menschen. Dass Wale Lebewesen sind mit Gefühlen und Schmerzen, das ist mir erst später aufgegangen. Und ich glaube, es ging meinen Kameraden genauso.“ Heute tritt Breckwoldt dafür ein, dass das Gemetzel endlich aufhört. „Auch Japan, Island und Norwegen sollten einsehen, dass die Zeit gekommen ist, denn sonst sterben die Giganten des Meeres eines Tages aus.“
Dass Hajo Breckwoldt zur See fahren würde, das war für ihn von kleinauf eine Selbstverständlichkeit. „Alle in meiner Familie waren Kapitäne: mein Vater, mein Großvater, mein Urgroßvater.“ Als 15-Jähriger heuerte er als Schiffsjunge auf einem Küstenmotorschiff an – eine Zeit, an die er nicht gerne denkt: „Es war furchtbar! Wenn ich irgendwas falsch machte oder jemand meinte, ich hätte was falsch gemacht, kriegte ich eine Ohrfeige. Und dann der Lohn! Lächerlich! 40 Mark im Monat.“
Hajo Breckwoldt, der Jüngste unter den 600 Männern der Onassis-Walfang-Flotte
Nach einem Vierteljahr schmiss Breckwoldt den Job hin. „Ich hatte die Nase gestrichen voll von der Seefahrt. Aber was sollte ich jetzt tun?“ Eines Tages sah er die „Olympic Fighter“, die gerade vor Blankenese vor Anker lag, eins von Onassis‘ Walfangbooten. „Da hatte ich die Idee: Walfang, das ist doch vielleicht was für dich.“
Mit 16 wurde Hajo Breckwoldt das jüngste Crewmitglied auf Onassis‘ Walfangschiffen. „Eigentlich nahmen die nur Leute, die schon älter waren und aus den 30er Jahren Erfahrung im Walfang hatten“, erzählt er. Sein großes Glück war, dass seine Mutter den Kapitän der „Olympic Fighter“ aus Jugendtagen kannte. Der ließ sich schließlich breitschlagen, den Jungen mitzunehmen.
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Die Nachfrage nach Walöl, dem Grundstoff für die Herstellung von Margarine und Seife, war ab Ende der 40er Jahre so gigantisch, dass sich der Preis – verglichen mit der Vorkriegszeit – vervierfachte. Der Preis für das besonders wertvolle Öl der Pottwale, das für die Luftfahrt- und später auch für die Raumfahrtindustrie benötigt wurde, stieg nach Ausbruch des Koreakriegs sogar um das 20-fache.
Der griechische Reeder Aristoteles Onassis, ein kühler, um nicht zu sagen skrupelloser Geschäftsmann, witterte das große Geld: Er beauftragte die Kieler Howaldtswerft damit, einen alten amerikanischen T2-Tanker in ein Walfang-Mutterschiff umzubauen, das den Namen „Olympic Challenger“ erhielt. Parallel dazu wurden 16 alte Korvetten der US-Navy als Fangboote hergerichtet. Sie hießen beispielsweise „Olympic Promoter“, „Olympic Runner“, „Olympic Hunter“, „Olympic Rider“ und „Olympic Fighter“. Auf dem letztgenannten Schiff fuhr Breckwoldt in seinem ersten Walfangjahr.
Walöl war der Grundstoff für Margarine und Waschmittel – und der Preis explodierte
„Es war ein ziemlich robustes Schiff, dem Stürme und schwere See nichts anhaben konnten“, erzählt Breckwoldt. „Immer Anfang September zogen wir los, dann war das Boot für sieben bis neun Monate unser Zuhause. Durch den Panamakanal sind wir zur Küste von Peru gefahren. Dort haben wir Pottwale gejagt. Anschließend nahmen wir südlichen Kurs und steuerten das eigentliche Ziel an: das Südpolarmeer. Dort haben wir im arktischen Sommer von Januar bis März vor allem Blauwale, Finnwale und Buckelwale erlegt.“
- privat Ein schwimmendes Schlachthaus: das Walfang-Mutterschiff „Olympic Challenger“. Die Flecken an der Bordwand stammen vom Blut und Fett der zerlegten Tiere.
Ein schwimmendes Schlachthaus: das Walfang-Mutterschiff „Olympic Challenger“. Die Flecken an der Bordwand stammen vom Blut und Fett der zerlegten Tiere. - privat Auf dem ersten Foto sehen wir die abgeschossene Harpune, die sich ihrem Ziel nähert. Auf dem zweiten Foto steckt sie im Körper des Wals, der nun beginnt, um sein Leben zu kämpfen. Das kann Stunden dauern.
Auf dem ersten Foto sehen wir die abgeschossene Harpune, die sich ihrem Ziel nähert. Auf dem zweiten Foto steckt sie im Körper des Wals, der nun beginnt, um sein Leben zu kämpfen. Das kann Stunden dauern. - privat Das Walfangboot verfolgt einen Wal. Der Schütze an der Kanone gibt dem Steuermann Zeichen: mehr Backbord!
Das Walfangboot verfolgt einen Wal. Der Schütze an der Kanone gibt dem Steuermann Zeichen: mehr Backbord! - privat Das Heck der „Olympic Challenger“: Über eine Rampe werden die erlegten Wale an Bord gezogen.
Das Heck der „Olympic Challenger“: Über eine Rampe werden die erlegten Wale an Bord gezogen. - privat Die sogenannten Flenser sind dabei, die Speckschicht vom toten Wal zu lösen. Dazu verwenden sie Flensmesser.
Die sogenannten Flenser sind dabei, die Speckschicht vom toten Wal zu lösen. Dazu verwenden sie Flensmesser. - privat An Bord des Walfang-Mutterschiffs „Olympic Challenger“ wird der erlegte Wal zerlegt. Eine furchtbar harte Arbeit.
An Bord des Walfang-Mutterschiffs „Olympic Challenger“ wird der erlegte Wal zerlegt. Eine furchtbar harte Arbeit. - privat Nur der Speck und die Knochen werden gebraucht. In einer riesigen Kocherei im Bauch der „Olympic Challenger“ wird daraus Öl gewonnen. Das Fleisch wird über Bord geworfen.
Nur der Speck und die Knochen werden gebraucht. In einer riesigen Kocherei im Bauch der „Olympic Challenger“ wird daraus Öl gewonnen. Das Fleisch wird über Bord geworfen.
Seit 1946 gab es eine Internationale Walfangkommission, die die Dauer der Fangsaison, die Mindestgröße und die Anzahl der zu jagenden Tiere festlegte. Walkälber und Walkühe durften nicht getötet werden, und für Buckelwale gab es besonders strenge Beschränkungen. Aristoteles Onassis‘ Walfangflotte jedoch stand im Verdacht, sich nicht an diese Spielregeln zu halten. Ihm wurde Piraterie und Wilderei vorgeworfen.
„Wale erlegen, so viele wie möglich und so schnell wie möglich, das war unser Ziel“, so Breckwoldt. „Denn davon hing der Verdienst ab. Die Besatzung war schließlich am Verkauf des wertvollen Walöls beteiligt. Bei meiner ersten Reise habe ich als Kochsjunge 2000 Mark ausgezahlt bekommen“, sagt Breckwoldt. „Das war ein Vermögen.“ Für die Fangsaison 1955/56 weist eine vergilbte Verdienstbescheidung sogar ein Bruttogehalt von 9100 Mark aus.
War ein Wal erlegt, wurde er mit Luft aufgepumpt, damit der Kadaver nicht unterging
Der wichtigste Mensch an Bord eines Walfangbootes: der Schütze, der während der Jagdsaison gleichzeitig auch als Kapitän fungierte. Von seiner Treffsicherheit hing alles ab. „Auf unseren Walfangbooten machten immer Norweger diesen Job“, erzählt Breckwoldt. „So virtuos wie die Brasilianer Fußball spielen, so geschickt sind Norweger beim Walfang. Die ahnten, ja, die spürten, wo der Wal auftauchen würde, zielten und feuerten.“
War ein Wal erlegt, wurde er längsseits geholt und mit Hilfe eines Luftspießes aufgepumpt, so dass der Kadaver an der Wasseroberfläche schwamm. Auf diese Weise konnte das Walfangboot sofort den nächsten Wal aufs Korn nehmen. Später sammelte dann ein sogenanntes Bojenboot die im Wasser treibende Beute sämtlicher Walfangboote ein und brachte sie zur „Olympic Challenger“, dem Mutterschiff, wo die Wale verarbeitet wurden.

Die „Olympic Challenger“ war im Grund ein schwimmendes Schlachthaus. Es herrschte ein unfassbarer Gestank: nach Fisch und Kot und Blut und Fett. An Deck machten sich die sogenannten Flenser daran, mit langen Messern die Speckschicht vom Körper des Wals zu trennen und in Stücke zu schneiden. Es kam vor, dass die Männer beim Zerlegen auf ungeborene Babies im Bauch eines Muttertieres stießen. Die Männer trugen Schuhe mit Nagelspikes, um auf dem Fett, dem Blut und den Kadavern nicht auszurutschen. Das Fleisch der Wale wurde einfach über Bord geworfen. Verwertet wurden bloß Speck und Knochen: Daraus machte eine riesige Kocherei, die sich unter Deck befand, Öl – bis zu 500 Tonnen täglich.
Onassis‘ Walfangflotte, die teils unter panamaischer, teils unter honduranischer Flagge fuhr und von der Hamburger Firma „Olympic Maritime Agency“ mit Sitz am Alsterufer gemanagt wurde, war ziemlich profitabel. Das ärgerte die norwegische Regierung, denn durch den Erfolg des Griechen gingen den norwegischen Walfängern große Erträge verloren. Nicht gut auf Onassis zu sprechen war auch die peruanische Regierung. 1954 erklärten Peru, Chile und Ecuador einen Streifen von 200 Meilen vor der Küste des Landes zum Hoheitsgewässer, das alleine von den Anrainerstaaten genutzt werden durfte – und sie erwarteten, dass jedermann das auch respektierte.
Maschinengewehrsalven und Bomben beim „peruanischen Walkrieg“ 1954
Aber Onassis dachte gar nicht daran. Und so kam es am 15./16. November 1954 zum „peruanischen Walkrieg“, hinter dem vermutlich die CIA steckte und den Hajo Breckwoldt hautnah miterlebte: „Plötzlich näherte sich ein Kriegsschiff“, erzählt er. „Wir haben alle Lichter gelöscht, sind in eine andere Richtung abgedreht und dachten schon, wir sind in Sicherheit, als plötzlich ein Flugzeug kam, das zuerst mit Maschinengewehren über unseren Schornstein hinweggefeuerte. Da wurde mir schon ein bisschen mulmig. Dann kam das Flugzeug nochmal und warf eine Bombe ins Wasser direkt vor uns. Da haben wir aufgegeben.“
Um Onassis in die Knie zu zwingen, veröffentlichten die Norweger schließlich Dokumente, die bewiesen, wie dreist der Grieche gegen alle Regeln der Walrechtskonvention verstieß. Norwegische Walfangreeder ließen daraufhin in Hamburg Walöl-Ladungen der „Olympic Challenger“ beschlagnahmen. Das wiederrum war für Onassis Anlass, ein norwegisches Walfangmutterschiff an die Kette legen zu lassen.
Als der Streit mit einem Vergleich endete, hatte Onassis seine Walfangflotte längst nach Japan verkauft. Das war Anfang 1956. Der deutsche Walfang war damit endgültig Geschichte.
Mit 28 Jahren wurde Hajo Breckwoldt Kapitän
Und Breckwoldt? Was hat der gemacht, nachdem er so plötzlich arbeitslos wurde? „Gleich vom nächsten Tag an besuchte ich in Hamburg die Seefahrtsschule, wurde zunächst Steuermann und mit 28 Jahren Kapitän.“ Als Kommandant eines Bergungsschleppers erlebte er ähnlich spannende Abenteuer wie auf dem Walfangboot. Später wurde er Hafenlotse und Überseelotse.
Wie er heute über seine Zeit als Walfänger denkt? „Einerseits war es eine sehr spannende Phase meines Lebens. Aber wäre ich nochmal jung, ich würde es nicht wieder tun – ich würde kein Tier mehr töten.“
Der Walfang in Hamburg blickt auf eine fast 400-jährige Geschichte zurück
Übrigens: Wussten Sie, dass der Walfang in Hamburg eine sehr lange Tradition hat? Schon vor fast 400 Jahren fuhren die ersten Hamburger Walfänger in die Barentsee, um Grönlandwale zu jagen. Zu jener Zeit wuchs die Bevölkerung Europas kräftig und mit ihr auch der Bedarf an Lampenöl für die Arbeit nach Einbruch der Dunkelheit. Walöl wurde zum Schmier- und Brennstoff einer ganzen Epoche.
Am 21. April 1643 erteilte der dänische König Christian IV. dem Hamburger Reeder Johann Been das Privileg, im Nordmeer Jagd auf Wale und Robben zu machen. Damit begann, was als Hamburgs „Grönlandfahrt“ in die Geschichte eingegangen ist. Innerhalb von 30 Jahren vergrößerte sich Hamburgs Walfangflotte auf 83 Schiffe.
Ab Mitte des 18. Jahrhunderts war die Barentssee derart leergefischt, dass die Walfänger den Tieren bis an die Packeisgrenze nachstellen mussten. 1862 fuhren Hamburgs Walfänger zum letzten Mal auf die Jagd, dann war Schluss. Die Nachfrage nach Walprodukten war eingebrochen: Petroleum löste mehr und mehr den Waltran als Beleuchtungsmittel ab – es war billiger und leuchtete viel heller.
Eine kurze Renaissance erlebte der deutsche Walfang in den 1930er Jahren, als die Nazis das Ziel verfolgten, Deutschland von Fettimporten unabhängig zu machen: Mit 69 Schiffen wuchs Deutschlands Walfangflotte zur drittgrößten der Welt heran. Der Zweite Weltkrieg beendete die deutschen Walfangambitionen – bis dann Aristoteles Onassis seine Flotte gründete und deutsche Seeleute anheuerte.