Großes Jubiläum: Vor 175 Jahren wurde die Reederei Hapag gegründet
Wir schreiben den 27. Mai 1847. Vor genau 175 Jahren, nachmittags um 14.30 Uhr, trafen sich im Konferenzsaal der Börse in Hamburg 41 namhafte Kaufleute und Reeder, darunter Adolph Godeffroy, Ferdinand Laeisz und Carl Woermann. Sie gründeten die „Hamburg-Amerikanische Packetfahrt Actien-Gesellschaft“, kurz: „Hapag“. Was damals wohl noch keiner ahnte: Daraus wurde später die größte Reederei der Welt.
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Missernten, Hungersnöte, die Verarmung der Landbevölkerung – in Europa brodelt es im 19. Jahrhundert. Immer mehr Menschen wandern aus – vor allem nach Amerika, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Allein von 1830 bis 1870 zieht es 2,5 Millionen Deutsche in die Neue Welt. Anfangs sind es vor allem Bremer Reedereien, die von der Auswanderung profitieren. Aber dann bekommen sie Konkurrenz.
41 Hamburger Kaufleute und Reeder, darunter so namhafte wie Adolph Godeffroy, Ferdinand Laeisz, Carl Woermann und August Bolten, wollen ein Stück vom Kuchen abhaben und beschließen, „mittels Segelschiffen unter Hamburgs Flagge eine regelmäßige Verbindung mit Nordamerika“ herzustellen. Vor 175 Jahren, am 27. Mai 1847, nachmittags um 14.30 Uhr, treffen sie sich im Konferenzsaal der Börse und gründen die „Hamburg-Amerikanische Packetfahrt Actien-Gesellschaft“. Weil der Name so sperrig ist, setzt sich schnell die Abkürzung durch: „Hapag“.
Die Reederei Hapag-Lloyd feiert ihren 175. Geburtstag
Den Aufstieg zur größten Reederei der Welt verdankt das Unternehmen vor allem einem Mann: Albert Ballin. Als jüngstes von 13 Geschwistern wird er 1857 in Hamburg geboren. Sein Vater, ein aus Dänemark zugewanderter Jude, besitzt eine Auswandereragentur. Der Vater stirbt früh und der erst 17-jährige Albert Ballin muss die Leitung der Firma übernehmen. Er ist so erfolgreich, dass er der inzwischen mächtigen Hapag gehörig in die Parade fährt. Immer mehr Auswanderer verlassen Hamburg auf Schiffen der Konkurrenz. So geht’s nicht weiter, sagt sich die Hapag – und bietet dem begabten jungen Mann eine Stelle an. Noch keine 30 Jahre alt, steigt er 1886 in das Unternehmen ein.
Bevor Ballin auf der Bildfläche erscheint und das Auswanderergeschäft revolutioniert, läuft es so: Die Menschen, die aus ganz Osteuropa in die Stadt kommen und ein neues Leben in Übersee beginnen wollen, müssen sich für die Zeit, bis ihr Schiff ablegt, selbst eine Bleibe suchen. Sie kommen in heruntergekommenen Logierhäusern unter, fallen Wucherern, Räubern und Betrügern in die Hände, werden ausgenommen. Noch dazu sind Auswanderer nicht gerade gerne gesehen, stehen sie doch in Verdacht, Seuchen einzuschleppen.
Albert Ballin baut moderne Massenunterkünfte für Auswanderer
Es ist Ballin, der 1901 auf der Veddel – ganz bewusst abseits der Innenstadt – moderne Massenunterkünfte schafft: die Auswandererhallen. Ballin selbst spricht vom „größten Gasthaus der Welt“. Die Anlage, die anfangs 25.000 Quadratmeter umfasst und aus 15 Bauten besteht, muss schon nach drei Jahren auf 55.000 Quadratmeter erweitert werden, da der Auswandererstrom so stark zunimmt, dass die Wohnbaracken ständig überfüllt sind. Bis die Hapag 1934 die Hallen aufgibt, ist die Ballinstadt für Hunderttausende künftige Amerikaner die letzte Station auf dem alten Kontinent.
Albert Ballin ist ein arbeitswütiger Mensch, ehrgeizig, gleichzeitig charmant und humorvoll. Er wird beschrieben als ein Energie- und Charaktermensch, der nur so vor Ideen sprüht. Eines Tages grübelt er, was er wohl mit den Schiffen anfangen könnte, die im Winter, wenn die Überfährt über den Atlantik unberechenbar ist, ungenutzt im Hafen auf Reede liegen. Dann hat er den Einfall, Kreuzfahrten zu veranstalten. Wobei er diesen Begriff selbst nie verwendet. Er spricht von „Exkursionen“.
Ballin erfindet die Kreuzfahrt: 1891 sticht die „Auguste Victoria“ in See
Ballin hat Mühe, sich in der Firma mit diesem Plan durchzusetzen. 1891 ist er noch nicht der Boss der Hapag, sondern nur der Chef der Passageabteilung, und einige seiner Kollegen sind überzeugt, dass er mit seiner Idee baden gehen wird. Doch er straft alle Kritiker Lügen! Am 22. Januar 1891 legt der Hapag-Dampfer „Auguste Victoria“ in Cuxhaven ab – die erste Kreuzfahrt der Geschichte. 241 Passagiere sind an Bord – ausschließlich Vertreter der High Society. Für ihre Tickets haben sie das Fünffache dessen bezahlt, was ein durchschnittlicher Deutscher im Jahr verdient. 57 Tage lang geht es kreuz und quer übers Mittelmeer. Die Gäste besichtigen die Pyramiden von Gizeh, jede Menge antiker Theater, essen Hummer, schlürfen Austern und spülen alles mit Champagner runter.
Die Fahrt ist ein so großer Erfolg, dass Ballin das Geschäft weiter ausbaut. Von nun an werden „Exkursionen“ regelmäßig angeboten: Besonders beliebt wird die Nordlandfahrt, die bis nach Spitzbergen führt. Wer’s exotischer mag (und das nötige Kleingeld hat), wählt die Westindien- oder die Orient-Route.
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Ballins Aufstieg ist kometenhaft: Im Jahr 1899 wird er zum Generaldirektor ernannt. Unter seiner Führung steigt das Aktienkapital der Reederei innerhalb weniger Jahre von 15 Millionen auf 180 Millionen Mark, Beinahe 200 Seeschiffe befahren mehr als 70 weltumspannende Routen. Ballin gehört zu den bekanntesten Unternehmerpersönlichkeiten im Deutschen Reich. Zwei Mal wird ihm der Posten des Reichskanzlers angetragen. Jedesmal lehnt er mit Rücksicht auf seine jüdische Herkunft ab. Ihm ist klar: So weit ist das Land noch nicht …
Mit dem Kriegsbeginn 1914 bricht für Ballin eine Welt zusammen
Als 1914 der Weltkrieg beginnt, ist Ballin anders als viele seiner Freunde nicht euphorisch. Im Gegenteil: Für ihn bricht eine Welt zusammen, denn die freie Schifffahrt, von der sein Unternehmen lebt, gibt es nicht mehr. Alle Versuche Ballins, Winston Churchill und Kaiser Wilhelm II. an einen Tisch zu bringen, scheitern. Er kann den Weltenbrand nicht verhindern, macht sich Selbstvorwürfe. „Habe ich versagt? Habe ich mich gar mitschuldig gemacht?“
Im Verlauf des Krieges appelliert er immer wieder an die Vernunft, beschwört Regierung und Generalität, zu verhandeln, statt aufeinander zu schießen. Aber er wird nur verlacht, verhöhnt. „Undeutscher Pazifist“, so nennen sie ihn.
Anfang November 1918 meutern die Matrosen in Kiel. Kurz darauf erreicht der Aufstand auch Hamburg. Chaos regiert die Straße. Am 8. November besetzt der Arbeiter- und Soldatenrat das Hapag-Gebäude. Ballin muss sein Büro räumen, dort wollen die Revolutionäre tagen. Für die Hausbesetzer ist Ballin eine „kapitalistische Bestie“, der „Freund des Kaisers“, ein Klassenfeind. Sie drohen, ihn am nächsten Laternenpfahl aufzuhängen. Und er? Er bleibt ungewöhnlich gelassen.
Ballins Tod am 9. Novermber 1918 – Unfall oder Selbstmord?
Ballin geht nach Hause, lässt sich von seinem Diener ein Glas Wasser bringen. Pulver und Tabletten aus seiner Schublade löst er darin auf. Wenig später bricht er unter heftigen Schmerzen zusammen. Er leidet bis Mitternacht. Dann fällt er ins Koma und stirbt am 9. November 1918 – es ist der Tag, an dem der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann in Berlin die Republik ausruft.
Selbstmord? Nimmt er sich aus Verzweiflung über die Abdankung des Kaisers das Leben? Das ist die eine Theorie. Aber ergibt sie wirklich Sinn? Schließlich hat Ballin den Kaiser selbst frühzeitig dazu aufgefordert, abzudanken.
Deshalb gibt es auch Ballin-Biographen, die von einem Unfall ausgehen: Demnach will er sich mit den Tabletten beruhigen, schluckt aber zu viele und erleidet einen Magendurchbruch – was sich im übrigen mit den Angaben in der Todesurkunde deckt.
Albert Ballin ist tot – die Reederei lebt in der Weimarer Republik wieder auf, kann aber an die alte Größe nicht anknüpfen. Nach der Machtübernahme der Nazis übernimmt das Deutsche Reich die Aktienmehrheit, das Andenken an den Juden Ballin wird aus der Unternehmensgeschichte getilgt. Die NS-Organisation „Kraft durch Freude“ chartert jetzt die Schiffe, um preiswerte Kreuzfahrten für „verdiente Volksgenossen“ anzubieten. Es ist der Beginn des Massentourismus auf See.
1970 fusioniert die Hapag mit ihrem schärfsten Konkurrenten: dem Norddeutschen Lloyd
1939, kurz vor Kriegsbeginn, bringt der Hapag-Dampfer „St. Louis“ mehr als 900 jüdische Emigranten nach Kuba. Weder dort noch in den USA dürfen die Flüchtlinge von Bord gehen. Eine wochenlange Irrfahrt beginnt, die schließlich im Hafen von Antwerpen endet. Viele der Passagiere, die auf ein Leben in Freiheit gehofft haben, fallen später doch noch den Nazis in die Hände und sterben im KZ.
Nach 1945 setzt die Hapag auf Frachtdienste und auf den Seetourismus, während die Bremer Reederei Norddeutscher Lloyd, mit der sich die Hapag schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts einen Konkurrenzkampf liefert, weiterhin die Passagierschifffahrt über den Nordatlantik betreibt. Aber dann kommt es zu großen Umbrüchen: Der Linienverkehr mit New York ist zunehmend defizitär und muss eingestellt werden – inzwischen hat das Flugzeug dem Passagierschiff den Rang abgelaufen. Und im Frachtgeschäft sorgt eine Blechbüchse namens Container für eine wahre Revolution.
Für beide Reedereien eine riesige Herausforderung. Und da keine die notwendigen Investitionen allein stemmen kann, kooperieren sie jetzt miteinander, starten 1968 den ersten europäischen Vollcontainerdienst nach New York, um zwei Jahre später miteinander zu fusionieren: Die Hapag-Lloyd AG entsteht, eine Reederei, die heute besser aufgestellt ist denn je: Ein international agierendes Unternehmen, das in 129 Ländern vertreten ist, für das 13.000 Menschen arbeiten und über eine Flotte von 250 Containerschiffen verfügt. Zahlen, die sogar einen Albert Ballin beeindrucken würden.