5,5 Millionen Euro: Ein Hamburger und der größte Goldklumpen der Geschichte
Im 19. Jahrhundert jagt ein Goldrausch den nächsten. Es reicht, dass das Gerücht umgeht, irgendwo am anderen Ende der Welt sei Gold entdeckt worden, schon machen sich Abenteurer auf den Weg: nach Kalifornien, Alaska, Australien. Nur ganz wenige haben so viel Glück wie der Hamburger Bernhard Holtermann, nach dem der größte Goldklumpen der Geschichte benannt ist: „Holtermann’s Nugget“. Heutiger Wert: 5,5 Millionen Euro. Die Geschichte des Hamburgers, der im fernen Australien zu mächtig viel Geld kam und nebenbei auch noch mit Fotos für Furore sorgte, ist einzigartig.
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Im 19. Jahrhundert jagt ein Goldrausch den nächsten. Es reicht, dass das Gerücht umgeht, irgendwo am anderen Ende der Welt sei Gold entdeckt worden, schon machen sich Abenteurer auf den Weg: nach Kalifornien, Alaska, Australien. Nur ganz wenige haben so viel Glück wie der Hamburger Bernhard Holtermann, nach dem der größte Goldklumpen der Geschichte benannt ist: „Holtermann’s Nugget“. Heutiger Wert: 5,5 Millionen Euro.
Die „Holtermann Story“ – die Geschichte eines Mannes, der nach Australien auswandert, als Goldschürfer steinreich wird, sich zu einem erfolgreichen Unternehmer und Politiker mausert und dann auch noch zum Pionier der Fotografie wird – kennt in Australien jedes Kind. Seltsam, dass Holtermann in seiner Geburtsstadt Hamburg bisher völlig unbekannt war. Das allerdings ändert sich jetzt – dank einer Ausstellung, die noch bis zum Frühjahr im Auswanderermuseum in der Ballinstadt zu sehen ist.
Bernhard Holtermann will ein freier Mann sein und wandert 1859 nach Australien aus
Bernhard Holtermann kommt am 29. April 1839 in Hamburg als Sohn eines Fischhändlers vom Steindamm in St. Georg zur Welt. Als junger Mann entschließt er sich, der Heimat den Rücken zu kehren. „Ich sah keinen Sinn darin, militärisches Tuch zu tragen oder drei meiner besten Jahre als Soldat zu verlieren“, sagt Holtermann später. Ein freier Mann will er sein. Er reist zunächst nach Liverpool und geht dort am 29. April 1859 – seinem 20. Geburtstag – an Bord des Clippers „Salem“, der noch am selben Tag ablegt.
Holtermann, der kein Wort Englisch spricht, hofft auf ein besseres Leben im 16.000 Kilometer entfernten Australien. „Gold-Land“, so nennt Holtermann den Fünften Kontinent. Während der dreimonatigen Überfahrt wird das Segelschiff von heftigen Stürmen durchgeschüttelt. Dann wieder herrscht Flaute, sodass es tagelang kaum eine Seemeile vorangeht. Einen Arzt gibt es an Bord nicht. Vier Matrosen sterben an Fieber. Als auch noch eine Frau erkrankt, wird Bernhard Holtermann, der sich mit Medizin ein wenig auskennt, zum Lebensretter. Die Passagiere befördern ihn kurzerhand zum „Ehrendoktor“.
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In Sydney hält sich Bernhard Holtermann zunächst mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Er arbeitet als Ruderer und Stallbursche und wird Kellner im „Hotel Hamburg“ in der King’s Street, wo vor allem Deutsche verkehren. Dort lernt er Hugo Ludwig Louis Beyers kennen, einen erfahrenen Goldsucher – eine Begegnung, die Holtermanns Leben nachhaltig verändert. Denn von seinem neuen Freund lässt er sich dazu überreden, es ebenfalls als Goldschürfer zu versuchen.
Er arbeitet als Ruderer, Stallbursche und Kellner, bevor er aufbricht zu den Goldfeldern
Die beiden Männer machen sich gemeinsam auf den Weg zu den Goldfeldern, die sich hinter den Blue Mountains befinden, 300 Kilometer nordwestlich von Sydney. Es ist eine beschwerliche Reise durch schroffes, hügeliges Land. Das Ziel: das Dorf Hill End, wo damals Menschen aus der ganzen Welt nach Gold suchen. Schweden, Franzosen, Südafrikaner, Chinesen, Briten, Deutsche – woher die Glücksritter auch kommen, die meisten führen ein bitteres, ärmliches Leben.
Um sich über Wasser zu halten, nehmen Holtermann und Beyers jeden Job an, arbeiten als Bäcker, Friseure, Metzger oder Fährmänner. Immer wenn sie genug Geld beisammenhaben, schürfen sie wieder einige Monate in ihrer „Star of Hope Mine“ nach Gold. Die Arbeit ist äußerst gefährlich: Dreimal stürzt Holtermann in den Schacht, einmal verletzt er sich schwer, als in seiner Nähe Sprengstoff explodiert. Er ringt mit dem Tod, ist sechs Monate arbeitsunfähig.
Als sich die Nachricht von sagenhaften Goldfunden verbreitet, ändern sich plötzlich die Lebensumstände vieler Goldsucher. Hill End, eigentlich ein gottverlassenes Kaff am Ende der Welt, platzt aus allen Nähten. Investoren aus den Städten wollen mitverdienen am Goldrausch, allerdings ohne sich selbst die Finger dreckig zu machen. Sie ziehen es vor, Anteile an den Minen zu erwerben. Vor allem aus diesem Grund wird in Sydney 1872 eine Wertpapierbörse eröffnet.
Für Holtermann und Beyers ist das die große Chance, endlich an ausreichend Kapital für neue Förderanlagen zu kommen. Sie gründen die „Beyers & Holtermann Star of Hope Gold Mining Company Ltd.“, gehen an die Börse und verkaufen Anteile an ihrem Unternehmen. Aus den Schürfern sind Großaktionäre geworden. Holtermann trägt nun Weste und goldene Uhr, im Stollen lässt er andere für sich arbeiten, und es ist genügend Geld da, sodass seine Frau im Laden nicht mehr anschreiben lassen muss.
286 Kilo schwer und 1,44 Meter hoch: der größte goldhaltige Gesteinsbrocken aller Zeiten
Aber der ganz große Fund, der lässt auf sich warten. Nach elf Jahren, von denen die meisten äußerst beschwerlich waren, ist es dann endlich so weit: Am 19. Oktober 1872 um 2 Uhr am Morgen stoßen Holtermanns Arbeiter auf einen 286 Kilogramm schweren, golddurchzogenen Brocken: 1,44 Meter hoch ist er, 66 Zentimeter breit und zehn Zentimeter dick. Das größte gold- und quarzhaltige Gesteinsstück, das je entdeckt wurde.
Der Chef ist selbst in diesem Moment nicht vor Ort. Holtermann schläft. Als seine Männer ihn wecken, trifft er intuitiv die richtige Entscheidung und sorgt dafür, dass der Brocken nicht zerteilt, sondern als Ganzes zu Tage gefördert wird. Er ahnt wohl, dass für ihn aus dem rauen Stein weit mehr rausspringen wird als bloß der reine Goldwert.
Jetzt zeigt sich, dass der Hamburger ein genialer Selbstdarsteller ist. Holtermann bittet den Fotografen Henry Beaufoy Merlin, der sich gerade in der Goldgräberstadt aufhält, den Brocken abzulichten. Obwohl es andere waren, die ihn gefunden haben und obwohl der Erlös auch gar nicht allein ihm gehört, sorgt Holtermann auf diese Weise dafür, dass sein Name für alle Zeiten mit dem Fund verknüpft ist: Als „Holtermann’s Nugget“ geht er in die Geschichte ein.
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Gleich darauf der nächste schlaue Schachzug Holtermanns: Er lässt eine Fotomontage anfertigen, die er bis zu seinem Tod bei all seinen unternehmerischen Aktivitäten als Werbemittel verwenden wird. Er in Siegerpose neben dem Goldklumpen – so sieht das erste Firmenlogo in der australischen Geschichte aus.
Holtermann legt sein Geld an, gründet ein Unternehmen und fördert die Fotografie
Holtermann ist bald bekannt wie ein bunter Hund. Er verkauft seine Anteile an der Mine, erwirbt Grundstücke und Immobilien und gründet ein Im- und Export-Unternehmen. Mit allem, was Profit verspricht, handelt er: mit deutschem Lagerbier, mit Nähmaschinen, Seife, Möbeln, Pianos, Zigarren, Parfum sowie mit Vermessungs- und Telegraphie-Instrumenten. Sein größter Verkaufsschlager sind die „Life Preserving Drops“, „lebenserhaltende Tropfen“, die er in einem Labor nach deutscher Rezeptur zusammenmixen lässt.
In der Öffentlichkeit präsentiert sich Holtermann gerne als Gönner. Tue Gutes und rede darüber, das scheint sein Motto zu sein. Ganz besonders großes Aufsehen erregt er mit einem ambitionierten Projekt. Damals steht Australien noch immer im Ruf, eine Sträflingskolonie zu sein. Das will Holtermann ändern – und zwar mithilfe der Fotografie, die noch in den Kinderschuhen steckt.
Er ernennt den bereits erwähnten Henry Beaufoy Merlin ganz offiziell zum „Photographic Artist of the Holtermann Exposition“ und schickt ihn los: Gemeinsam mit seinem Assistenten Charles Bayliss und ausgestattet mit einer rollenden Dunkelkammer, die von einem Pferd gezogen wird, fertigt Merlin in New South Wales und dem benachbarten Bundesstaat Victoria zahlreiche Panoramen und Ansichten von Städten und Goldfelder an. Die Fotos werden später zu Ausstellungen zusammengefügt und in Europa präsentiert. Ziel ist es, die Auswandererströme Richtung Australien zu lenken, denn dort ist noch viel Fläche unbesiedelt.
Als Merlin 1873 stirbt, führt Charles Bayliss, der bisherige Assistent, das Projekt fort und übertrifft seinen Meister noch. Als Holtermann sich auf den Höhen von St Leonards, heute ein Stadtteil von Sydney, ein palastartiges Gebäude mit mächtigem Turm bauen lässt, verwandelt Bayliss das in 27 Metern Höhe gelegene Turmzimmer in eine begehbare Kamera. Die Fenster werden mit Brettern verschlossen und ein Einhundert-Zoll-Objektiv auf die Stadt Sydney ausgerichtet. Bayliss verwendet für seine Aufnahmen riesige, 1,50 Meter mal 1 Meter große und 20 Kilo schwere beschichtete Glasplatten – die größten Negative der Fotogeschichte. Mehrere Bilder ergeben zusammengesetzt ein monströses Panorama.
Er präsentiert „seine“ Fotos auf den Weltausstellungen in Paris und Philadelphia
- State Library of New South Wales Kurz bevor er nach Sydney umzieht: Bernhard Holtermann in Hill End. Er ist jetzt reich, trägt Zylinder und Rock.
- State Library of New South Wales Die Menschen in den Goldgräberstädten müssen mit Nahrungsmitteln versorgt werden. Deshalb siedeln sich dort auch Warenhäuser an.
- State Library of New South Wales In solch ärmlichen Häusern lebten die Goldsucher mit ihren Familien.
- State Library of New South Wales Eine Goldmine, vermutlich in der Gegend um Gulgong in New South Wales (Australien).
- State Library of New South Wales Straßenszene aus dem Goldgräberort Hill End: Die Kutsche steckt tief im Schlamm fest.
- State Library of New South Wales Arbeiter auf einer Goldmine bei Hill End.
- State Library of New South Wales Eine Reihe von Goldminen auf Hawkins Hill in der Nähe von Hill End. Auf dem Hügel befand sich auch die Goldmine von Bernhard Holtermann.
- State Library of New South Wales Irgendwo müssen die Goldgräber wohnen. Mr. Booth macht ihnen Zelte, wenn sie genügend Geld zum Bezahlen haben.
- State Library of New South Wales Die Holtermann-Villa im Vorort St Leonards: Das Turmzimmer dient als begehbare Kamera. Von dort lässt er Panoramaaufnahmen Sydneys anfertigen.
- State Library of New South Wales Arbeiter einer Goldmine in der Nähe von Hill End.
- State Library of New South Wales Der Hafen von Sydney um 1875: Zu sehen ist der Circular Quay mit den markanten Speicherhäusern.
- State Library of New South Wales Die Goldgräberstadt Hill End in New South Wales, Australien. Eine Panoramaübersicht.
- State Library of New South Wales Die Menschen in Hill End führen ein entbehrungsreiches Leben – getrieben von der Hoffnung auf den großen Fund.
Ohne Henry Beaufoy Merlin und Charles Bayliss würde es die vielen Tausend einzigartigen Fotos Australiens vom Ende des 19. Jahrhunderts nicht geben, aber die Lorbeeren heimst – wie beim Goldklumpen – allein Holtermann ein, denn er ist es, der sie der Welt präsentiert: 1876 begibt er sich gemeinsam mit seiner schwangeren Frau, zwei Töchtern und einem Diener auf eine dreijährige Weltreise. Auf der Weltausstellung in Philadelphia wird sein Sydney-Panorama mit einer bronzenen, zwei Jahre später auf der Weltausstellung in Paris mit einer silbernen Medaille geehrt. Erstmals nach 18 Jahren sieht Holtermann im März 1879 seine Heimatstadt Hamburg wieder und macht von dort einen Abstecher nach Berlin, wo er eins seiner „Kolossal-Negative“ der Königlich-Technischen Hochschule schenkt – das im Zweiten Weltkrieg den Bombenangriffen zum Opfer fällt.
Wieder zurück in Australien, hegt Holtermann nun auch politische Ambitionen. Nach mehreren erfolglosen Versuchen wird er 1882 ins australische Unterhaus gewählt. Er macht sich stark für den Ausbau der Infrastruktur seines Heimat-Wahlkreises St Leonards, unterstützt den Bau eines Postamtes, eines Gerichtsgebäudes und der Straßenbahn. Darüber hinaus setzt er sich im Parlament für die Pressefreiheit und für die Einführung einer Grund- und einer Einkommensteuer ein. Auch zur Immigrationspolitik äußert er sich und empfiehlt seinem Land, nicht mehr jedem Zutritt zu gewähren, sondern klar zu definieren, welche Qualifikationen ein Einwanderer haben muss.
Der Tod beendet Holtermanns Karriere als Politiker abrupt nach zweieinhalb Jahren. Am 29. April 1885, seinem 47. Geburtstag, stirbt Holtermann auf seinem Anwesen in Sydney an Leberkrebs. Bald nach seinem Tod wird das Holtermann-Imperium in Stücke geschlagen.
1951 werden 3500 Glasnegative in einem Gartenhaus in Sydney wiedergefunden
Was damals mit dem riesigen Fotoarchiv Holtermanns geschieht, ist unklar. Lange gilt es als verschollen. Dann aber werden 1951 in einem Gartenhaus in Sydney 3500 von Merlin und Bayliss angefertigte Glasnegative wiederentdeckt. Der einzigartige Bilderschatz ist seit 2013 Teil des UNESCO-Weltkulturerbes und wird in der Nationalbibliothek von New South Wales aufbewahrt.
Die Bilder sind von einer unfassbar guten Qualität und so scharf, dass der Betrachter den Menschen darauf direkt in die Augen sehen kann. Besonders eindrucksvoll sind die Aufnahmen aus den Goldgräberstädten. Man kann ihn fast riechen: den Schweiß der Minenarbeiter. Auf den Straßen herrscht wildes Treiben. Die Kutschen stecken so tief in Schlammlöchern, dass es den Pferden kaum gelingt, sie rauszuziehen. Furchtbar ärmlich wirken die Hütten und Zelte, in denen die Menschen leben. Die Frauen und Kinder, die für die Fotografen posieren, wirken ernst, abgearbeitet, desillusioniert. Hätten wir uns dieses Abenteuer doch erspart und wären in der Heimat geblieben. Das wird wohl so mancher von ihnen gerade denken.
So viel Glück wie Bernhard Holtermann haben eben nur die wenigsten.