Schluss mit Perfektion! Lieber einfach mal eine „Bad Mom“ sein
Silke Schröckert (39) aus Halstenbek wollte immer eine richtig gute Mutter werden. Eine Mutter ohne Fehl und Tadel. Und dann bekam sie Kinder – und stellte nach einer sehr anstrengenden Anfangszeit fest: Um die beste Mutter für ihren Sohn (9) und ihre Tochter (6) zu sein, musste sie eine schlechte Mutter werden, eine „Bad Mom“ – und so heißt auch ihr Buch. Die MOPO sprach mit der Journalistin über beigefarbene Kinderzimmer, die „Rein-ins-Weekend-Feeling“-Familie aus dem Werbefernsehen und und darüber, wie eine Schwarzwälder Kirschtorte ihr Familienleben veränderte. Das Buch gibt es auch im MOPO-Shop.
Silke Schröckert (39) aus Halstenbek wollte immer eine richtig gute Mutter werden. Eine Mutter ohne Fehl und Tadel. Dann bekam sie Kinder – und stellte nach einer sehr anstrengenden Anfangszeit fest: Um die beste Mutter für ihren Sohn (9) und ihre Tochter (6) zu sein, musste sie eine schlechte Mutter werden, eine „Bad Mom“ – und so heißt auch ihr Buch. Die MOPO sprach mit der Journalistin über beigefarbene Kinderzimmer auf Instagram, die „Rein-ins-Weekend-Feeling“-Familie aus dem Werbefernsehen und und darüber, wie eine Schwarzwälder Kirschtorte ihr Familienleben veränderte. Das Buch gibt es auch im MOPO-Shop.
Sind Sie heute schon eine „Bad Mom“ gewesen, Frau Schröckert?
Silke Schröckert (lacht): Wenn ich mich mit dem Bild abgleiche, das ich vor zehn, zwanzig Jahren von meiner zukünftigen Mutterschaft hatte, dann bin ich jeden Tag eine schlechte Mutter.
Inwiefern?
Da gibt’s mal Süßigkeiten zum Frühstück oder Frühstück zum Abendessen. Da wird mal das Zähneputzen vergessen, die Kinder gehen mal im Schlafanzug nach draußen zum Spielen oder sie schlafen in den Straßenklamotten ein, was übrigens superpraktisch ist, weil es das Anziehen am Morgen spart. Alles kleine Fehltritte, die allen Beteiligten meistens sogar Spaß machen, aber nicht dem Bild von Perfektion entspricht, das wir gerne erreichen wollen.
Wer bestimmt denn, was perfekt ist?
Ich bin ja mit dem Werbefernsehen der 80er und 90er Jahre groß geworden, etwa mit der „Rein ins Weekend-Feeling“-Familie. Heute sind das eben die sozialen Medien, die einen perfekten Alltag von Müttern zeigen, mit Kinderzimmern, die in sieben verschiedenen Beigetönen gehalten sind. Kein Kind dieser Welt würde sich beige aussuchen! Wenn ich meine Kinder frage, dann sollen da Dinosaurier an die Wand und Leuchtsterne an die Decke. Stattdessen sehe ich aufgeräumte, beige Kinderzimmer mit fünf pädagogisch wertvollen Bilderbüchern im Regal, schön mit dem Titel nach vorne. Das ist ja eine Inszenierung, das spiegelt ja kein normales Familienleben wieder, aber wenn das millionenfach wiederholt wird, nehmen wir den #momlife irgendwann als Realität wahr. Und wissen Sie, was besonders perfide ist?
Was?
Wenn dann mal eine Instamom das „totale Chaos“ zeigt, so nach dem Motto ,auch bei uns sieht es total wüst aus‘ – und man sieht eine ausgekippte Brotdose und denkt: Na, toll, dein Chaosbild sieht ordentlicher aus als meine Wohnung, wenn alles aufgeräumt ist.
Aber warum machen Mütter das denn? Andere Mütter so unter Druck zu setzen?
Ich bin überzeugt, dass jede Mutter in irgendetwas ganz toll ist. Diese Mütter mit den Insta-Kinderzimmern, die haben etwa das Talent für Ordnung und einen Sinn für Einrichtung und Ästhetik, das habe ich nicht. Dafür back ich gerne. Aber wenn jede nur zeigt, was sie kann und die eigenen Unzulänglichkeiten verschweigt, dann denken wir halt, die anderen sind alle perfekt, nur ich nicht.
Und warum lässt man sich als Mutter überhaupt so stressen? Man könnte die Insta-Mums ja auch einfach ignorieren.
Mit dem Ignorieren ist das ja so eine Sache: Wenn ich mir schon aktiv vornehmen muss, etwas zu ignorieren, tue ich ja bereits das genaue Gegenteil und zermartere mir längst das Hirn darüber. Davon abgesehen ist es eine urmenschliche Eigenschaft, sich zu messen und zu vergleichen. Weil es eben furchtbar guttut, wenn wir feststellen, dass wir in etwas besonders toll sind, besser als andere. Verheerend wird es aber, wenn wir zu einem unfairen Wettkampf antreten und uns ausschließlich mit „Gegnern“ messen, die in einer völlig anderen Liga spielen. Wenn ich meine Kreisklasse-Volleyball-Kenntnisse mit denen einer Bundesliga-Spielerin vergleiche, kann ich nur an Selbstbewustsein verlieren – und genau das passiert auf Instagram. Wir schauen uns Menschen an, die Dinge besser können als wir, oder zumindest mit unfairen Mitteln wie Photoshop oder Filtern als besser darstellen. Wenn man da einmal zu lange hingeschaut hat, kann man sich nicht mehr einfach wegdrehen und sagen „ach, das geht mich nichts an“. Dann ist das Selbstwertgefühl bereits angegriffen und lechzt nach weiteren Informationen – selbst wenn die uns un(ter)bewusst noch mehr verletzen.
Wie sehen denn die Kinderzimmer bei Ihnen als „schlechte Mutter“ aus?
Kein Stück instagrammable! Wir haben eine sehr große Auswahl an Plastikspielzeug, hässlich und grässlich, gerne vom Flohmarkt, das will kein Mensch sehen. Das Kuriose ist, dass schon meine Mutter sich vor ihren Freundinnen für meine vielen Barbies rechtfertigen musste. Aber sie sah, wie ich mich mit den Barbies beschäftigt habe und dachte, das kann doch nicht falsch sein. Bei meiner Tochter sind es halt diese hässlichen Plastikhunde von Paw Patrol, da ist nichts Pastelliges dran und nichts pädagogisch Wertvolles – aber sie liebt die. Und darum geht es doch.
Wann haben Sie gemerkt, dass sie eine „Bad Mom“ sind?
Das war der erste Geburtstag meines Sohnes. In den hatte ich mich mehr hineingesteigert als in meine eigene Hochzeit, da sollte alles perfekt sein. Ich habe selbstgemachte „Save the date“-Gläschen verschickt, obwohl ja nur Familie eingeladen war, die natürlich alle wussten, wann ihr Enkel oder Neffe Geburtstag hat. Die Tischdeko, die Torte, alles habe ich gemacht für das Foto später bei Social Media. Und dann hab ich doofe Kuh noch eine Schwarzwälderkirschtorte gemacht, schön mit Alkohol, was das Geburtstagskind gar nicht essen durfte. Abends stellte ich dann fest, dass ich tausend Bilder von meinen tollen Do-it-Yourself-Projekten gemacht habe und nicht eines von meinem Kind und den Gästen. Ich war nur im Social-Media-Modus gewesen den ganzen Tag, ich habe das Handy nie weg gelegt. Das war ein Wendepunkt und ich sagte mir: Ich mach das nicht mehr mit, ich will nicht mehr andere Mütter beeindrucken, die ich gar nicht kenne.
Erklären Sie mal bitte: „So werde ich eine Bad Mom in drei Schritten“
Der erste und wichtigste Schritt: mal wieder ausschlafen. Und zwar so richtig. Die Kinder werden es feiern, wenn sie in der Zeit fernsehen dürfen. Das Frühstück am besten schon am Vorabend rausstellen, dann lernen sie auch schnell, sich selbst zu bedienen. Jetzt ist genug Energie da für Schritt Zwei: Nein sagen. Zum Beispiel zu den doofen Rollenspielen, die man so sehr hasst und nur der Tochter zu Liebe spielt. Oder zu den Extrawürsten beim Kochen, weil jedes Familienmitglied seine Nudeln anders essen möchte. Was das an Zeit (und Nerven!) spart! Und Schritt Drei: eigene Termine machen! Und zwar welche, die nicht auf Spielplätzen oder in Kinderturnhallen stattfinden. Wenn jede Woche Zeit für drei, vier oder mehr Kinderhobbys ist, sollte auch regelmäßig Raum für einen Pilates- oder Yoga-Kurs sein. Oder einen Filmabend mit Freundinnen und jeder Menge Süßigkeiten, die man nicht mit den Kindern teilen muss. Oder einfach nur einen ungestörten Wein und einem guten Gespräch unter Bad Moms.
Und was haben die Kinder davon?
Die sind glücklich! Wenn ich mich an meine schönsten Momente in der Kindheit erinnere, dann fällt mir etwa ein, dass mein Vater mir die Indiana-Jones-Film gezeigt hat, obwohl ich viel zu jung dafür war. Oder wie meine Mutter mir erlaubt hat, mit Essen auf den Knien bis 23 Uhr „Wetten dass“ zu gucken. Das sind aus kindlicher Sicht tolle Momente.

Wie Ihr Sohn sich vielleicht an die Mülltüten-Hose erinnern wird.
Ja! An dem Tag habe ich mich so schlecht gefühlt, ich dachte, ich hab total versagt, die vergessene Regenhose war ja nur ein Fauxpas von vielen. Aber mein Sohn fand es toll, dass ich ihm aus einer Mülltüte eine Hose für die Sandkiste gemacht habe. Und später hörte ich dann von anderen Eltern, dass die den Tag ganz anders erlebt haben. Alles, wofür ich mich selbst so streng verurteilte, haben die viel positiver gesehen. Vielleicht sollten wir einfach öfter mal die anderen fragen, die sind oft so viel gnädiger mit uns als wir selbst. Wenn wir alle uns mal erzählen, was uns als Mutter auch mal richtig schief gegangen ist, dann müssen wir nicht mehr diesem unerreichbaren Ideal nachhetzen. Ich fange damit an. Wie eine liebevolle Umarmung, so soll mein Buch wirken.