• Helmut Schmidt, 1961-1965 Hamburger Innensenator und von 1974 bis 1982 Bundeskanzler.
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Helmut Schmidt: Die jüdischen Verwandten des Alt-Kanzlers

Es hätte anders kommen können. Ganz anders. Helmut Schmidts Vater wäre möglicherweise wegen seiner jüdischen Abstammung im KZ gelandet und ermordet worden. Helmut Schmidt selbst hätte es als „Vierteljude“ – so der rassistische Terminus der Nazis – niemals zum Offizier der Wehrmacht gebracht. Und ob er Bundeskanzler geworden wäre – zumindest fraglich.

Vor ein paar Tagen telefonieren MOPO-Reporter mit einer 94-jährigen Frau in Jerusalem. Es ist Immanu-El Adiv. Als Lieselotte Gumpel kam sie 1927 zur Welt. „Ich bin eine Großcousine von Helmut Schmidt“, sagt sie freundlich.

Immanu-El Adiv, Helmut Schmidt, dessen Bruder Wolfgang.

Immanu-El Adiv, die Verwandte aus Israel, besucht Helmut Schmidt und dessen Bruder Wolfgang 1999 in Langenhorn.

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Sie ist geschwächt, kann nur noch schlecht sehen und die Dinge gehen ein bisschen durcheinander. Deshalb assistiert ihr Sohn Dr. Uriel Adiv (69) bei dem Interview. Er ist von Beruf Dolmetscher, hat sogar schon für Angela Merkel übersetzt. Und: Er ist natürlich auch mit Helmut Schmidt verwandt. Uriel studierte in West-Berlin, als Helmut Schmidt Bundeskanzler in Bonn war – eine Tatsache, die er heute irgendwie lustig findet. Damals wussten weder Schmidt noch er selbst von diesem Verwandtschaftsverhältnis.

Uriel Adiv und Angela Merkel

Dr Uriel Adiv, ein Verwandter von Helmut Schmidt, lebt in Jerusalem und ist Dolmetscher. Er hat auch schon für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) übersetzt.

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Immanu-El Adiv erzählt und erzählt und erzählt. Ihr Geist ist glasklar, wenn es um die Vergangenheit geht. Sie berichtet vom 1. April 1933, dem Tag ihrer Einschulung, als sie von der Lehrerin in die Ecke gestellt wurde, sie, die Jüdin. „Dabei hatte ich gar nichts Schlimmes gemacht.“

Sie erzählt von ihrem Vater Paul, der sie täglich mitgenommen habe zur Bank von Onkel Ludwig. Ja, der Ludwig, der sei ein kleiner dicker Mann gewesen. Und sehr lieb.

Sie erzählt davon, dass ihr Vater zunächst sicher war, das Eiserne Kreuz aus dem Ersten Weltkrieg würde ihn schützen. Und davon, dass er eigentlich bleiben wollte in Nazi-Deutschland, dass er dann aber nach den Pogromen 1938 doch Angst bekam. „Anfang 1939 sind wir dann nach Palästina geflohen.“

Paul Gumpel

Als Soldat im Ersten Weltkrieg mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet: Paul Gumpel, der Vater der 94-jährigen Immanu-El Adiv aus Jerusalem.

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Und sie erzählt von ihrer Oma mütterlicherseits, Regina Schiff, die vom KZ Westerbork in den Niederlanden abgeholt und nach Auschwitz gebracht und dort sofort ermordet wurde. „Nur, weil das Visum für Palästina zwei Tage zu spät kam.“ 

Ludwigs heimliches Techtelmechtel

Sehr gut erinnern kann sich Immanu-El Adiv auch an ihren Besuch bei Helmut Schmidt. 1999 war das. Sie berichtet von dem gepanzerten Wagen, der sie abgeholt habe. Die Tür des Autos war so schwer, dass sie sie gar nicht aufbekam. Da musste der Fahrer helfen. Die Gespräche mit Helmut und vor allem mit Loki seien sehr nett gewesen. „Wir hatten ja Jahrzehnte lang keine Ahnung von unserer Verwandtschaft“, so die alte Frau. „Wir hatten keine Ahnung vom Techtelmechtel, das Ludwig damals in Hamburg hatte.“