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  • So prüde, wie Viele denken, waren unsere Ur- und Ururgroßeltern gar nicht: Eine erotische Postkarte aus der Kaiserzeit.
  • Foto: hfr

Heiße Liebesgrüße aus Hamburg: Was sich Oma und Opa so alles schrieben

Heute schreiben wir WhatsApp, SMS oder eine E-Mail – die Nachricht ist blitzschnell am Ziel und der Empfänger kann unmittelbar antworten. Nein, so weit waren unsere Urur- und Urgroßeltern noch nicht. Aber als vor 150 Jahren, am 25. Juni 1870, die Postkarte eingeführt wurde, war sie mindestens so populär wie es unsere modernen Kommunikationsmittel sind. Schon damals warnten fortschrittsfeindliche Zeitgenossen vor mangelndem Datenschutz: ein „offenes Postblatt“, so die postalische Bezeichnung, könne schließlich von jedermann gelesen werden. Das Briefgeheimnis sei in Gefahr!

Die allermeisten Menschen aber kratzte das nicht. Vom ersten Tag an gab es einen regelrechten Run auf das neue Medium. Anfangs bestand die Postkarte lediglich aus Text. Aber als es dann dank fortschrittlicher Drucktechnik Ende des 19. Jahrhunderts möglich wurde, Massen von preiswerten farbigen Ansichtskarten herzustellen, da wurde die Bevölkerung von einer regelrechten Ansichtskarten-Manie erfasst.

Im Ersten Weltkrieg verschickten Soldaten Feldpostkarten – meist versehen mit Fotografien ihrer Einsatzorte oder ihrer Kameraden. Hier „lustige Hamburger“ aus dem jahr 1915.

Im Ersten Weltkrieg verschickten Soldaten Feldpostkarten – meist versehen mit Fotografien ihrer Einsatzorte oder ihrer Kameraden. Hier „lustige Hamburger“ aus dem jahr 1915.

Foto:

hfr

Bis Kriegsausbruch 1914 wurden in Deutschland viele Milliarden Postkarten hergestellt, verkauft und verschickt. Allein im Jahr 1900 befördert die Reichspost 440 Millionen Ansichtskarten. Schon damals macht der Begriff der „Bilderflut“ die Runde.

440 Millionen Ansichtskarten verschickten die Deutschen im Jahr 1900

Kaum ein Thema wurde bei den Postkarten ausgespart: Es gab Gruß- und Glückwunschkarten zu jeder Gelegenheit, beliebt waren aber auch Ansichten von Landschaften, Städten und Dörfern. Abgebildet wurden Vergnügungsorte, Kunst, Sport, Liebe und Erotik. Es war auch groß in Mode, Fotos von sich selbst als Ansichtskarten herstellen zu lassen und zu verschicken – damit der andere einen nicht vergisst.

Das sind die beiden Verliebten, deren Liebesbotschaften bis heute erhalten sind: Heinrich Gibs und Mathilde Lahmer.

Das sind die beiden Verliebten, deren Liebesbotschaften bis heute erhalten sind: Heinrich Gibs und Mathilde Lahmer.

Foto:

hfr

Heinrich schrieb seiner Angebeteten Mathilde fast täglich

So war es auch bei dem damals 26 Jahre alten Heinrich Gibs, der 1898 fast täglich an seine Verlobte schrieb. Bei seinen Karten handelte es sich sozusagen um Liebesgrüße aus der Hansestadt. Gibs, der aus der Altmark stammte und in Münster studiert hatte, hielt sich seinerzeit in Hamburg auf, weil er hier seinen Militärdienst absolvierte. Seine 22-jährige Verlobte Mathilde Lahmer lebte in Berlin.

Heinrich vermisste seine Liebste fürchterlich. Seine Karten begannen meist mit der Anrede „M.l.M“, was für „Meine liebe Mathilde“ stehen dürfte. „Heinz“, wie er sich nannte, schickte Küsse und „innigste Grüße“. Einmal war er wohl auf Wochenendurlaub bei seiner Liebsten. Prompt schreibt er, dass er „wehmütig“ an vergangenen Sonntag denke … Was die beiden da wohl miteinander gemacht haben?

Mit „MlM“ beginnen die meisten Nachrichten von Heinrich Gips – die Abkürzung dürfte für „Meine liebe Mathilde“ gestanden haben. Hier eine Ansicht vom Baumwall.

Mit „MlM“ beginnen die meisten Nachrichten von Heinrich Gips – die Abkürzung dürfte für „Meine liebe Mathilde“ gestanden haben. Hier eine Ansicht vom Baumwall.

Foto:

MOPO-Archiv

Sehnsucht nach dem „Liebchen im märkischen Sand“

Heinz versuchte sich immer wieder als Dichter. Schön sind seine Zeilen zwar nicht, aber dafür umso romantischer. Eine Kostprobe gefällig? Nach einem Besuch in Eckernförde schrieb er: „Die Ostsee glitzert im Sonnenschein/Ins Auge leuchtet tief hinein/Und so hell wie das Aug, wie das weite Meer/So klar ist’s mir jetzt, dass ich freute mich sehr/zu sein bald beim Liebchen im märkischen Sand/Und wenn’s auch nur ist an der Spree grüner Strand/Das Dichten ist oft gar nicht leicht/besonders wenn der Mut entfleucht.“

Sie haben von der „Fischkosthalle“ nie gehört? Sie befand sich im Gebäude Stadthausbrücke 45. Eine Karte aus dem Jahr 1898

Sie haben von der „Fischkosthalle“ nie gehört? Sie befand sich im Gebäude Stadthausbrücke 45. Eine Karte aus dem Jahr 1898

Foto:

Quandt

Über Monate tauschten sich Heinrich und Mathilde auf diese Weise aus. Dass die Ansichtskarten des Liebespaars erhalten geblieben sind, ist Mathilde zu verdanken, die eine Schleife drum band und die Karten bis zu ihrem Tod wie einen Schatz hütete. Und so ist die Geschichte dieses Liebespaares bis heute unvergessen: Heinrich Gibs und Mathilde heirateten 1899. Heinrich trat in den höheren Postdienst ein, wurde Telegrafen-Direktor von Chemnitz. 1924 starb er während einer Kur in Davos an Herzversagen. 52 Jahre alt wurde er nur.

Seine Frau Mathilde gebar ihrem Mann drei Kinder. Auch sie arbeitete bei der Post. 1953 starb sie nach einem Oberschenkelhalsbruch in einer Klinik.

Übrigens: Der Urenkel der beiden arbeitet heute bei der MOPO als Fotograf. Sein Name ist Florian Quandt.

Eine der Karten, die Heinrich Gips 1898 seiner Verlobten Mathilde Lahmer von Hamburg nach Berlin sandte: Abgebildet ist ein Eckernförder Fischer in tpischer Kluft.

Eine der Karten, die Heinrich Gips 1898 seiner Verlobten Mathilde Lahmer von Hamburg nach Berlin sandte: Abgebildet ist ein Eckernförder Fischer in tpischer Kluft.

Foto:

MOPO-Archiv

Bis 1905 mussten die Grüße auf der Bildseite der Postkarte Platz finden

Wer heute sehr alte Postkarten vom Ende des 19. Jahrhunderts in die Hand bekommt, fragt sich vielleicht, warum der Absender – ganz anders als heute üblich – seine Grüße auf der Bildseite hinterlassen hat. Die Erklärung ist einfach: Das war Vorschrift so! Die Rückseite war zunächst ausschließlich der Adresse, der Briefmarke und dem Poststempel vorbehalten. Deshalb ließen die Verlage auf der Vorderseite meist einen schmalen Streifen oder eine Ecke unbedruckt, damit der Absender Platz hatte für seinen Gruß.

So war es bis 1905: Dann entschied die Postverwaltung, dass die Adressenseite fortan geteilt sein durfte, wobei die linke Seite für Mitteilungen zur Verfügung stand. Jetzt konnte die gesamte Rückseite mit Bildern bedruckt werden.

Bei dieser Postkarte, die den Hamburger Brand von 1842 zeigt, gibt es einen tollen Effekt: Erst wenn der Betrachter sie gegen Licht hält, lodern die Flammen.

Bei dieser Postkarte, die den Hamburger Brand von 1842 zeigt, gibt es einen tollen Effekt: Erst wenn der Betrachter sie gegen Licht hält, lodern die Flammen.

Foto:

hfr

Von wegen „out“: 147 Millionen Postkarten waren es 2019

Eine besonders große Bedeutung erlangt die Postkarte im Ersten Weltkrieg: Geschätzt 10 Milliarden (kostenlose) Feldpostkarten haben deutsche Heeressoldaten zwischen 1914 und 1918 in die Heimat versandt – häufig mit Bildern von sich und ihren Kameraden. Manchmal waren auch Ruinen und sogar tote Menschen als Motive in Umlauf und trugen so zur visuellen Kommunikation des Krieges bei.

Heute, in Zeiten von WhatsApp & Co., ist die Postkarte immer noch ein beliebtes Kommunikationsmedium für Urlaubsgrüße, Glückwünsche, Danksagungen sowie humorvolle aber auch aufmunternde Botschaften, gerade jetzt in diesen Corona-Zeiten. 2019 hat die Deutsche Post rund 147 Millionen Postkarten befördert.

Nach wie vor gilt: Urlaubszeit ist Postkartenzeit. Einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom aus dem vergangenen Jahr zufolge schreibt mehr als jede(r) zweite Deutsche (55 Prozent) im Urlaub eine Postkarte oder einen Brief an die Daheimgebliebenen. Die meisten Ansichtskarten kommen aus Italien, gefolgt von Frankreich, Österreich, Spanien und der Türkei.

Für 2020 erwartet die Deutsche Post allerdings einen Rückgang der Ansichtskarten aus dem Urlaub, da Corona-bedingt weniger Reisen ins Ausland stattfinden konnten.

Virtuelle Ausstellung des Museums für Kommunikation

Wer noch mehr wissen will über die Geschichte der Postkarte, sollte sich eine virtuelle Ausstellung des Museums für Kommunikation in Berlin ansehen: „Mehr als Worte. 150 Jahre Postkartengrüße“ (www.ausstellung-postkarte.de). Zu sehen ist dort auch die erste Postkarte der Welt, die am 1. Oktober 1869 – also noch vor der allgemeinen Einführung der „Correspondenzkarte“ – von Perg bei Linz nach Kirchdorf versandt wurde und der Abstimmung eines Besuchs im Bekanntenkreis diente.

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