Eben noch Zivilist, jetzt Soldat: Wir wollen Hamburg verteidigen
Sie sind Unternehmensberater oder Grafikdesigner und stehen auf einer Wiese, tragen Militärkleidung und absolvieren Schießübungen. Wenn der Notfall eintritt, also Krieg, verteidigen sie Hamburg. Die Heimatschutzkompanie der Bundeswehr setzt sich aus unterschiedlichsten Menschen zusammen. Von Anfang 20 bis Anfang 60 ist alles dabei. Was motiviert diese Leute, ihre Freizeit zu opfern und in Zukunft – möglicherweise – ihr Leben zu riskieren?
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Sie sind Unternehmensberater oder Grafikdesigner und stehen auf einer Wiese, tragen Militärkleidung und absolvieren Schießübungen. Wenn der Notfall eintritt, also Krieg, verteidigen sie Hamburg. Die Heimatschutzkompanie der Bundeswehr setzt sich aus unterschiedlichsten Menschen zusammen. Von Anfang 20 bis Anfang 60 ist alles dabei. Was motiviert diese Leute, ihre Freizeit zu opfern und in Zukunft – möglicherweise – ihr Leben zu riskieren?
Bei zwei Grad Celsius stehen 40 Männer und Frauen in Hab-Acht-Stellung auf einer grünen Wiese. An diesem Donnerstagmorgen scheint in der Standortschießanlage Heist im Landkreis Pinneberg die Sonne, Gänse schnattern, die Luft ist erfrischend. Aber Schreie sind zu hören. Als Teambuildingmaßnahme brüllen die Soldaten und Soldatinnen: „Wir in Hamburg“, „wir in Hamburg“, „wir in Hamburg“.
Die Männer und Frauen sind Teil der zwei Heimatschutzkompanien Hamburgs. Diese Truppen gehören zur Bundeswehr-Reserve. Insgesamt zählen die beiden Kompanien 240 Soldaten und Soldatinnen. Die Bewerberzahl für die Kompanien steigt – genauso wie die Bedrohungslage in Europa. Der russische Angriff in der Ukraine ist im dritten Kriegsjahr. Viele Stimmen behaupten, die Bundeswehr und die Gesellschaft müssten wieder „kriegstüchtig“ werden.
Was motiviert die Soldaten der Heimatschutzkompanien?
Die Heimatschutzkompanien sollen im Ernstfall bei der Verteidigung Hamburgs helfen. Sie sichern dann bei Krisen, Überschwemmungen oder Krieg kritische Infrastruktur vor Saboteuren und Supermärkte vor Plünderern.
Die Männer und Frauen haben sich freiwillig gemeldet – manche von ihnen hatten vor ihrem Dienst in der Reserve noch nie etwas mit der Bundeswehr zu tun. Zehn Mal im Jahr gibt es solche Übungen, die jeweils ein langes Wochenende dauern. Die Reservisten haben Urlaub genommen, sind von ihren Jobs freigestellt, haben sich den Termin freigeschaufelt.
Elf Soldaten stehen in einer Reihe, gehen leicht in die Knie, strecken die Hände weit von sich. Sie zielen mit ihren Pistolen, P8 heißt das Modell. Noch sind keine Patronen in der Kammer, es sind nur „Trockenübungen“ – vorerst. Nach dem klassischen Vier-Augen-Prinzip überzeugen sich davon immer zwei Soldaten.
Uwe ist einer von ihnen. Seit vergangenem Jahr ist er in der Heimatschutzkompanie. In seinem zivilen Leben ist er Unternehmensberater, hat nichts mit der Bundeswehr zu tun. Er hat keinen Wehrdienst geleistet.
Verkürzte Grundausbildung für Ungediente
Das ist für den Heimatschutz kein Problem: Ungediente können eine vierwöchige, verkürzte Grundausbildung durchlaufen. Das haben neben Uwe noch eine Handvoll andere getan.
Uwe ist 63 Jahre alt. Das merkt man ihm kaum an. Er ist fit und agil. Muss er sein: Wer zum Heimatschutz will, braucht genauso eine ärztliche Freigabe, wie andere Bundeswehrsoldaten. In voller Montur tragen sie eine schwere Weste, ein Gewehr, eine Pistole, Magazine, einen Rucksack. Insgesamt 20 bis 30 Kilogramm Gepäck.
Seine Motivation: zu schützen. „Meine Stadt, meine Familie, meine Freunde. Und natürlich dann auch letztendlich Deutschland. So baut sich das auf, vom Kleinen ins Große.“
„Nicht alle können immer nur nehmen“
Wenn es nicht gerade dem Teamspirit helfen soll, schreien die Bundeswehrsoldaten und -soldatinnen nicht herum, zeitweise ist es auf der Schießanlage fast still. Die Waffen sind mittlerweile geladen, immer wieder knallt ein Schuss. Dann fliegen die Gänse weg und die zuschauenden Reporter-Teams zucken zusammen.
Jana (25) bleibt regungslos stehen. Sie studiert im zivilen Leben Betriebswirtschaft, hat ihren freiwilligen Wehrdienst bei der Bundeswehr abgeleistet und ist mit der Heimatschutzkompanie bei der Reserve geblieben.
Jana ist 38 Jahre jünger als Uwe, aber dafür bierernst. Warum ist sie bei der Heimatschutzkompanie? „Ich bin in einer sehr ruhigen, friedlichen Zeit aufgewachsen. Ich bin hier, damit das so bleibt. Dafür braucht es Freiwillige. Nicht alle können immer nur nehmen.“
Jan will seine Familie schützen
Jan dagegen feixt gerne. Der 44-Jährige ist seit vergangenem Jahr in der Heimatschutzkompanie. Sonst ist er Grafikdesigner, hatte den Wehrdienst verweigert. Nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine meldete er sich bei freiwillig.
Er wolle – wie die meisten hier – seine Familie, seine Freunde, seine Stadt schützen. Das hat ihn zur Kompanie gebracht. Gehalten hat ihn, so sagt er, die Kameradschaft.
Absolute Stille. Außer der Schuss der Pistole
Jan steht mit gezogener Pistole vor einer Zielscheibe. Zehn Meter Entfernung. Auf dem Schießstand tragen alle starken Gehörschutz. Kein Geräusch kommt da durch. Absolute Stille. Außer der Schuss der Pistole. Plopp. Plopp. Plopp.
Achtmal drückt er ab. Er schießt der Zielscheibe in grober Form eines menschlichen Oberkörpers ins Herz und in den Bauch. Jan übt, zu schießen und zu töten.
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Im Ernstfall müssten Jan, Uwe und Jana wirklich schießen, um zu töten. Keiner der Soldaten und Soldatinnen will das. Aber: Jeder von ihnen will darauf vorbereitet sein. Um Familie, Freunde und Hamburg zu schützen.