Harte Schale, weicher Kern: Die Boxerin mit dem großen Herzen
Diese Frau bringt viele zum Zittern: Die Hamburger Profi-Boxerin Dilar Kisikyol ist Internationale Deutsche Meisterin im Superleichtgewicht. Wenn sie im Ring steht, ist ihr Blick hart und konzentriert. Die Schläge sitzen. Doch die 30-Jährige hat auch noch eine ganz andere Seite: Im Alltag kümmert sie sich um Kranke und Schwache.
Die Sonne scheint durch die Fenster der großen Halle des Hamburger Boxverbands in Winterhude. Acht Frauen stehen auf der blauen Matte des von rot-weißen Seilen eingezäunten Rings. Sie folgen den Anweisungen der Trainerin.
Hamburger Profi-Boxerin trainiert Parkinson-Patientinnen
- Deutsch (Deutschland)
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Diese Frau bringt viele zum Zittern: Die Hamburger Profi-Boxerin Dilar Kisikyol ist Internationale Deutsche Meisterin im Superleichtgewicht. Wenn sie im Ring steht, ist ihr Blick hart und konzentriert. Die Schläge sitzen. Doch die 30-Jährige hat auch noch eine ganz andere Seite: Im Alltag kümmert sie sich um Kranke und Schwache.
Die Sonne scheint durch die Fenster der großen Halle des Hamburger Boxverbands in Winterhude. Acht Frauen stehen auf der blauen Matte des von rot-weißen Seilen eingezäunten Rings. Sie folgen den Anweisungen der Trainerin.
Hamburger Profi-Boxerin trainiert Parkinson-Patientinnen
„Führhand, Führhand, Schlaghand“, kommandiert Dilar Kisikyol. „Etwas höher, Doris!“, „Die Hüfte eindrehen, Gisela!“, „Stellt euch einen Gegner vor!“ Die Frauen, die hier heute ihre Fäuste schwingen, sind keine Nachwuchssportlerinnen. Die meisten sind über 60 Jahre alt – und krank. Sie haben Parkinson. Das Box-Training ist für sie Therapie.
Boxen für Parkinson-Patienten – in den USA ist diese Behandlung sehr verbreitet. In Deutschland steckt sie noch in den Kinderschuhen. In Hamburg gab es bis vor kurzem kein Angebot dieser Art. Doch die acht Frauen, die hier im Ring stehen und einer Selbsthilfegruppe angehören, wollten das ändern.
Dilar Kisikyol ist eine Frau mit vielen Facetten – und einem großen Herzen
Weil Boxen dem Gehirn hilft, neue neuronale Verknüpfungen herzustellen, die durch die Krankheit kaputt gegangen sind und zu Bewegungsstörungen führen, wandten sie sich an den Hamburger Boxverband und baten um Hilfe. Genau die richtige Adresse, denn dort gibt es seit Oktober 2021 eine Frauen- und Inklusionsbeauftragte – Dilar Kisikyol.
Kisikyol ist ihr Job wie auf den Leib geschneidert. Sie ist eine geborene Vermittlerin. Ein Bindeglied zwischen vielen Welten. Profi-Boxerin und Sozialpädagogin. Hochschulabsolventin aus einem bildungsfernen Elternhaus. In Leverkusen geborene Deutsche mit kurdischem Migrationshintergrund. Eine lockere, lustige Person, die trotzdem klare und strenge Ansagen macht.
Als Drillingskind musste Dilar Kisikyol sich stets durchboxen
Das Kämpfen wurde Dilar Kisikyol in die Wiege gelegt: 1992 kam sie als Drillingskind zur Welt. Sie und ihre beiden Geschwister wogen gerade mal 1500 Gramm. Sie mussten sich durchboxen – auch um jeder seinen eigenen Weg zu gehen.
„Als ich 16 war, hab ich durch einen Nachbarn das Boxen für mich entdeckt. Aber meine Mutter meinte, das sei nichts für Mädchen“, erinnert sich Kisikyol. Zum Glück lag den aus der Türkei eingewanderten Eltern – sie Bäckerei-Angestellte, er Gärtner – nicht nur die Bildung ihrer Kinder am Herzen, sondern auch ihre Freiheit.
Boxen stärkt das Selbstbewusstsein – neues Projekt für Schulen
„Meine Eltern haben mir wichtige Werte beigebracht. Respekt, Höflichkeit, Fairness und eben Freiheit“, sagt Dilar Kisikyol. „Dafür bin ich ihnen für immer dankbar.“ Es sind diese Werte, die Kisikyol auch im Boxport wiederfindet. „Beim Boxen ist ein Mensch einfach ein Mensch. Herkunft oder Religion spielen keine Rolle.“
Weil Boxen nicht nur den Körper stärkt, sondern auch das Selbstbewusstsein, ist Kisikyol neben der Arbeit mit den Parkinson-Frauen auch besonders als Trainerin für behinderte sowie für benachteiligte Kinder und Jugendliche gefragt. Ihr Migrationshintergrund hilft dabei oft, die Väter oder Ehemänner von Box-Interessentinnen zu überzeugen.
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Das Boxen ist für Dilar Kisikyol viel mehr als nur ein Beruf. „Der Sport hat mir so viel gegeben, dass ich es an andere weitergeben möchte“, sagt sie. Vor kurzem hat sie das Projekt „Du kämpfst“ gegründet, mit dem sie an Schulen gehen will, um zum Beispiel in der Nachmittagsbetreuung über das Boxtraining Sozialkompetenzen zu vermitteln, die bei der Persönlichkeitsentwicklung helfen. Nur die Finanzierung steht noch nicht. Kiskyol: „Vielleicht findet sich ja eine Stiftung, die das Projekt unterstützt.“ Eine mit einem genauso großen Herzen wie die Boxerin mit dem großen Herzen.