Zwei Tote, viele Verletzte – und niemand will was falsch gemacht haben
Seit Ibrahim A. im Regionalzug nach Hamburg zwei Menschen umbrachte und fünf weitere verletzte, steht ein Vorwurf im Raum: Behördenversagen. A. war seit seiner Einreise in Deutschland 2014 mehrfach straffällig geworden, saß kurz vor der Tat in Hamburg in U-Haft. Hätte er abgeschoben werden können? Schleswig-Holstein und Hamburg schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu, Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) verteidigte sich am Donnerstag im Justizausschuss der Bürgerschaft. In der hitzigen Diskussion kamen weitere Details ans Licht: zur Arbeit der Behörden – und zu Ibrahim A.
Seit Ibrahim A. im Regionalzug nach Hamburg zwei Menschen umbrachte und fünf weitere verletzte, steht ein Vorwurf im Raum: Behördenversagen. A. war seit seiner Einreise in Deutschland 2014 mehrfach straffällig geworden, saß kurz vor der Tat in Hamburg in U-Haft. Hätte er abgeschoben werden können? Schleswig-Holstein und Hamburg schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu, Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) verteidigte sich am Donnerstag im Justizausschuss der Bürgerschaft. In der hitzigen Diskussion kamen weitere Details ans Licht: zur Arbeit der Behörden – und zu Ibrahim A.
Der Ausschuss befasste sich mit dem Messerangriff in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg am vergangenen Mittwoch, bei dem ein 17-Jähriger und eine 19-Jährige getötet und fünf weitere Menschen verletzt wurden. Der Täter, Ibrahim A. (33), war kurz zuvor in Hamburg aus der Untersuchungshaft freigekommen.
Fehler in Hamburger Behörden? Gallina windet sich
Justizsenatorin Gallina kam mit einer neunköpfigen Entourage zur Ausschusssitzung und verlas zu Beginn eine Faktensammlung. „Im Moment sind wir damit beschäftigt konkret zu schauen: Was ist bei uns vorgegeben, wie hat das funktioniert und was kann man anders machen?“, so die Justizsenatorin.
Ob in den Hamburger Behörden Fehler gemacht wurden, will der CDU-Abgeordnete Richard Seelmaecker wissen. Die Senatorin windet sich: „Auch bei uns arbeiten Menschen, das ist eine etwas zu pauschale Aussage.“ Man habe den Bedarf gesehen, noch einmal beim Thema „Mitteilungspflichten” zu sensibilisieren.

CDU spricht von „handfestem Skandal“
Die Grünen-Angeordnete Linda Zagst springt Gallina bei: „Bei mir entsteht der Eindruck, dass eigentlich richtig gehandelt wurde an allen Stellen.“ Das sieht der CDU-Mann Seelmaecker ganz anders: „Das ist ganz klar ein handfester Skandal“. Viele Fragen seien weiterhin ungeklärt, etwa warum Hamburg die Behörden in Kiel, wo Ibrahim A. gemeldet war, zunächst nicht erreichen konnte. Er will den Anwalt und den Arzt von Ibrahim A. zum Ausschuss vorladen.
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CDU, Linke und AfD plädieren dafür, die Aufarbeitung im nächsten Justizausschuss fortzusetzen. SPD und Grüne zeigen sich aufgeschlossen: „Wir sollten nichts tun, was einer Aufklärung entgegensteht“, formuliert SPD-Mann Urs Tabbert etwas umständlich. Diese Fragen waren außerdem Thema:
Wer ist Ibrahim A.?
Ibrahim A. (33) war Ende 2014 als staatenloser Palästinenser nach Deutschland gekommen und hat die ersten Jahre in Euskirchen (NRW) gelebt. Er erhält einen sogenannten „subsidiären Schutz“, das heißt er darf in Deutschland bleiben und arbeiten, weil ihm in seiner Heimat Folter und Tod drohen. Wenige Monate nach seiner Ankunft war Ibrahim A. straffällig geworden.
Welche Vorstrafen hatte Ibrahim A.?
Mindestens 20 Ermittlungsverfahren waren bereits gegen den 33-Jährigen eingeleitet worden, darunter wegen Körperverletzung, sexueller Nötigung, Bedrohung, Diebstahl und Drogendelikten. Viermal wurde er insgesamt verurteilt, zuletzt im vergangenen Jahr in Hamburg wegen eines Messerangriffs auf einen Obdachlosen. Ein Jahr und eine Woche bekam Ibrahim A. und ging in Berufung. Dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
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Währenddessen saß er in U-Haft in der JVA Billwerder. In Haft erhielt Ibrahim A. den Drogenersatzstoff Methadon und wurde von einem Psychiater betreut. Er soll Stimmen und Geräusche gehört haben. Zwei Mal sorgte er im Gefängnis für Ärger, einmal prügelte er sich mit einem Mitgefangenen, ein anderes Mal warf er eine Teetasse nach einem Mitarbeiter.
„Er war aber nicht über die Maße gewalttätig auffällig gewesen“, sagte Justiz-Staatsrat Holger Schatz im Ausschuss. Am 19. Januar 2023 kam er auf Anweisung des Landgerichts frei. Mutmaßlich ohne Plan, ohne Wohnung und abhängig von Methadon.
Warum kam Ibrahim A. aus der Haft frei?
Ibrahim A. hatte bereits annähernd die an ihm verhängte Strafe in der U-Haft abgesessen und es wurde bei ihm nach Angaben des Senats keine Selbst- oder Fremdgefährdung diagnostiziert.

Warum wurde Ibrahim A. nicht als Intensivtäter geführt?
„Offiziell war die Strafakte gar nicht so lang“, sagte Staatsrat Schatz. Entscheidend seien nämlich nur die Taten, die im Bundeszentralregister eingetragen werden. Dafür waren einige zu geringfügig.
Hätte Ibrahim A. besser auf die Entlassung vorbereitet werden müssen?
„Unmittelbar im Anschluss an seine Entlassung, nahm Ibrahim A. das Winternotprogramm in Anspruch“, sagte Gallina. Sie verwies auf die „angespannte Lage im Wohnungsmarkt“. Und schloss mit: „Da stoßen wir auf der Seite des Justizvollzugs an unsere Grenzen.“ Zudem habe er eine Perspektivberatung erhalten.
Warum lief die Kommunikation zwischen Hamburg und Kiel so schlecht?
Die schleswig-holsteinische Integrationsministerin Aminata Touré (Grüne) hatte am Mittwoch bemängelt, dass Informationen aus Hamburg nicht in Schleswig-Holstein angekommen seien. „Wir haben die wesentlichen Informationen, die in Kiel angeblich nicht angekommen sind, dorthin übermittelt“, verteidigt sich Gallina. Schon im Mai habe die JVA Billwerder die Unterlagen zu Ibrahim A. an die Kieler Ausländerbehörde gesandt, nachdem Hamburg zuvor mehrfach versucht hatte in Kiel anzurufen. Aber es gehe „nicht darum mit dem Finger auf andere zu zeigen“, betont die Senatorin.