In dieser Villa residierte Hamburgs schlimmster Massenmörder
Er selbst hat wohl nie einen Schuss auf einen anderen Menschen abgegeben. Und doch dürfte Georg Henning Graf von Bassewitz-Behr, der von seinen Untergebenen kurz „BB“ genannt wurde, zu den schlimmsten Massenmördern gehören, die Hamburg hervorgebracht hat. Der Adlige aus Mecklenburg war ein fanatischer Nationalsozialist, ein rücksichtsloser Schreibtischtäter – und verantwortlich für den Mord an mindestens 45.000 Menschen.
Er selbst hat wohl nie einen Schuss auf einen anderen Menschen abgegeben. Und doch dürfte Georg Henning Graf von Bassewitz-Behr, der von seinen Untergebenen kurz „BB“ genannt wurde, zu den schlimmsten Massenmördern gehören, die Hamburg hervorgebracht hat. Der Adlige aus Mecklenburg war ein fanatischer Nationalsozialist, ein rücksichtsloser Schreibtischtäter – und verantwortlich für den Mord an mindestens 45.000 Menschen.
Auf dem Höhepunkt seiner NS-Karriere fungierte Bassewitz-Behr als verlängerter Arm Heinrich Himmlers in Norddeutschland. Höherer SS- und Polizeiführer (HSSPF) Nordsee, so lautete sein offizieller Titel. Damit war er der ranghöchste SS-Repräsentant in der Stadt. Das Haus, in dem der blutrünstige Graf ab 1943 gemeinsam mit seiner Frau, seinen drei Kindern, einem Adjutanten und einigen Hausangestellten wohnte, steht noch: eine große Backsteinvilla in Alsterdorf. Adolf-Hitler-Straße 80 – so lautete die Anschrift damals. Heute: Bebelallee 80.

Als Spross eines uralten mecklenburgischen Adelsgeschlechts kommt Bassewitz-Behr am 21. März 1900 auf dem familieneigenen Gut Lützow auf die Welt. Nachhaltig prägend für die Persönlichkeit des Grafen ist Deutschlands Niederlage im Ersten Weltkrieg. Er hat sich nach dem Abitur im Frühjahr 1918 noch freiwillig zum Militärdienst gemeldet, aber zum ersehnten Fronteinsatz kommt es nicht mehr. Riesig die Enttäuschung. Der Drang, sich auf militärischem Gebiet doch noch beweisen zu können, prägt sein restliches Leben.
Das Ende des Kaiserreichs und die Revolutionswirren 1918/19 sind für Bassewitz-Behr ein Trauma. Er muss mitansehen, wie sich seine Adelsprivilegien in nichts auflösen. „Die Agrarkrise, der politische Extremismus der Weimarer Republik und die ,Gefahr des Kommunismus‘ führten bei Bassewitz-Behr zu persönlicher Krisenerfahrung und einem Gefühl der Bedrohung“, so Historiker und Biograf Tino Jacobs.
Erst wandert er nach Südwestafrika aus, aus Verehrung für Hitler kehrt er zurück
„BB“ entschließt sich, Deutschland den Rücken zu kehren, und wandert in die ehemalige Kolonie Südwestafrika aus, wo er als Farmer neu anfangen will. Aber schon nach wenigen Monaten kehrt er zurück. Plötzlich hat er – offenbar angestoßen durch die Lektüre von Hitlers „Mein Kampf “ – eine neue politische Heimat gefunden: die NS-Bewegung. Später, bei den Verhören durch britische Militärs, wird Bassewitz-Behr nicht ohne Stolz bekennen: „Ich glaube, dass ich der erste Adlige Mecklenburgs war, der der Partei beitrat.“

1931 wird er Mitglied der NSDAP und tritt kurz darauf auch in die SS ein – Heinrich Himmlers neuen „Adel“. Bassewitz-Behr wird einmal sagen: „Da meine Vorväter von jeher in der Garde gedient hatten, war es für mich eine selbstverständliche Pflicht, dieser Formation beizutreten.“

Nach Hitlers Überfall auf die Sowjetunion 1941 verwandelt sich der gottesfürchtige Mann innerhalb weniger Monate in einen eiskalten Massenmörder. Als SS- und Polizeiführer im sogenannten Generalkommissariat Dnjepropetrowsk in der Ukraine lässt er Wehrmachts-, SS- und Polizeieinheiten unter dem Deckmantel des „Partisanenkampfes“ Zigtausende Zivilisten massakrieren und organisiert außerdem den Mord an unzähligen sowjetischen Juden.
Heinrich Himmler ist mit Bassewitz-Behr so zufrieden, dass er ihn 1942 zum Stab des für seine Brutalität berüchtigten Höheren SS- und Polizeiführers Russland-Mitte, Erich von dem Bach, ins weißrussische Mogilew versetzt. In dessen Auftrag organisiert Bassewitz-Behr mehrere sogenannte „Operationen“, bei denen rund 13.000 Zivilisten sterben: Partisanen, Bauern und sowjetische Juden, die entweder an Ort und Stelle erschossen oder in Wälder getrieben werden, wo sie ihr eigenes Massengrab ausheben müssen.

Erich von dem Bach lobt seinen „Schüler“ in den höchsten Tönen: „Ich habe bisher noch nie einen Mitarbeiter gehabt, der eine solch schnelle Auffassungsgabe besitzt.“ Im Gegenzug bedankt sich der Graf bei seinem Lehrmeister für „sechs Monate, die ich unter Dir kämpfen und arbeiten durfte“. Es seien die schönsten Monate innerhalb seiner zwölfjährigen Zugehörigkeit bei der SS gewesen.
„BB“ empfiehlt sich für höhere Aufgaben
Mit seiner Skrupellosigkeit empfiehlt sich Bassewitz-Behr für höhere Aufgaben: Heinrich Himmler ernennt „BB“ Anfang 1943 zum Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF) Nordsee. Sein Dienstsitz ist die ehemalige „Villa Laeisz“, Harvestehuder Weg 8a. Privat bezieht er mit seiner Familie das Anwesen Adolf-Hitler-Straße 80 in Alsterdorf, das der Stadt Hamburg gehört und in dem schon sein Vorgänger Rudolf Querner gewohnt hat. Der Graf sorgt für standesgemäße Ausstattung und lässt dafür ungeniert seinen Einfluss als Parteibonze spielen: Zwölf Teppiche, einen Sessel, eine Standuhr, Geschirr und einen Steinway-Flügel stellt das Hotel „Vier Jahreszeiten“ zur Verfügung. Die Wände schmückt der Graf mit Bildern, die er sich aus der Hamburger Kunsthalle kommen lässt. Wer würde einem so mächtigen Mann schon einen Wunsch abschlagen?

Dem Grafen fehlt es an nichts. Dank seines stattlichen Vermögens, das aus mehreren Gütern in Mecklenburg, Wertpapierdepots in Höhe von 500.000 Reichsmark und großen Ersparnissen besteht, hält er bis zum Schluss an seinem aristokratischen Lebensstil fest. Wenn Bassewitz-Behr nicht gerade seiner Jagdleidenschaft frönt oder Partys im „Vier Jahreszeiten“ feiert, gesellt er sich mit seiner Frau Ilse (1900–1987), einer geborenen Gräfin von Pfeil und Klein-Ellguth, zum hanseatischen Bildungsbürgertum in die Staatsoper und ins Schauspielhaus, für die das Paar Dauerkarten besitzt.

Einiges spricht dafür, dass Bassewitz-Behrs Ansehen in Hamburg nicht das beste ist, auch nicht in Kreisen der Nazi-Nomenklatura. Ernst O. Ebeling, Generalstabschef im Wehrkreis X, nennt „BB“ in seinem Tagebuch den „größten Tropf und Nichtskönner“ und einen „degenerierten Adligen“. Bassewitz-Behr wird von vielen wohl dafür verachtet, dass er stets die Rolle des 150-prozentigen Nazis spielt. Keinen Hauch von Menschlichkeit oder von Schwäche zeigt er. Nicht einmal, als im Winter 1943/44 innerhalb von nur drei Monaten beide Söhne an der Ostfront fallen – der eine 18, der andere 19 Jahre alt. „Als alter Marschierer der Bewegung“, schreibt er in einem Brief, „gehe ich auch jetzt meinen Weg weiter und kämpfe für den Sieg, damit das Opfer meiner Söhne nicht umsonst gegeben ist“.
Bassewitz-Behr ist Heinrich Himmlers Mann in Hamburg
Die Befehle, die Bassewitz-Behr in seiner Zeit in Hamburg erteilt, kosten Tausende Menschen das Leben: Nach den schweren Bombenangriffen der „Operation Gomorrha“ im Sommer 1943 ordnet er an, dass für die besonders gefährlichen Aufräumarbeiten KZ-Insassen aus Neuengamme eingesetzt werden. Viele Häftlinge werden durch Trümmer erschlagen oder stürzen zu Tode.

Als sich Hamburgs Nazi-Führung Sorgen macht, dass im Chaos der zerbombten Stadt frei herumlaufende ausländische Zwangsarbeiter die öffentliche Sicherheit gefährden könnten, weist Bassewitz-Behr Polizei und Waffen-SS an, gegen Ausschreitungen „mit den schärfsten Maßnahmen“ vorzugehen. Zehn Tage nach Ende der Bombenangriffe meldet Bassewitz-Behr an Heinrich Himmler, dass „bis heute 16 ausländische Arbeiter kurzerhand erschossen“ worden seien.
Im Angesicht der drohenden Niederlage arbeitet der Graf kurz vor Kriegsende einen Evakuierungsplan aus, um sicherzustellen, dass keine politischen Häftlinge mehr in der Stadt sind, wenn die Alliierten Hamburg erreichen. Ende März 1945 werden rund 1000 Gefangene des Gestapo-Gefängnisses Fuhlsbüttel auf einen mörderischen Fußmarsch in ein „Arbeitserziehungslager“ in Kiel geschickt, während 71 angeblich besonders „gefährliche“ Personen – darunter die „Thalia-Theater“-Schauspielerin Hanne Mertens – ins KZ Neuengamme gebracht und ermordet werden.
Kurz vor Kriegsende lässt er 71 „gefährliche“ politische Gefangene ermorden

Im April 1945 lässt Bassewitz-Behr auch das KZ Neuengamme und seine Außenlager räumen. Die Gefangenen werden entweder in Auffanglager wie Bergen-Belsen und Sandbostel verfrachtet oder sie werden auf die Schiffe „Cap Arcona“ und „Thielbek“ in der Lübecker Bucht gebracht, die als mobile Ausweichlager dienen. Tausende sterben, als britische Jagdbomber-Piloten die Schiffe am 3. Mai 1945 angreifen, weil sie sie irrtümlich für deutsche Truppentransporter halten.

Als Koordinator des Alarmplans kann der Graf noch mal sein ganzes organisatorisches Geschick unter Beweis stellen. Der massenhafte Tod lässt ihn dabei völlig gleichgültig. „Rund 15.000 Häftlinge verloren in den letzten Kriegswochen auf Todesmärschen und Bahntransporten, durch Hunger oder Willkür der SS-Bewacher ihr Leben“, schätzt Tino Jacobs.
Bei Kriegsende taucht Bassewitz-Behr unter, geht aber im September 1945 das Risiko ein, sich anlässlich seines 25. Hochzeitstages mit seiner Frau in Bremen zu treffen. Er wird verraten und vom US-Militär festgenommen. Bassewitz-Behr hat nicht mal den Anstand, sich zu seinen Taten zu bekennen. Als ihm die Briten 1947 im Hamburger Curio-Haus den Prozess machen, versucht er sich rauszureden, stellt sich hin als jemand, der selbst überhaupt keine Befehlsgewalt gehabt habe. Dem Gericht gelingt es am Ende nicht, ihm seine Schuld nachzuweisen.
Bassewitz-Behr wird freigesprochen, dann aber an die Sowjetunion ausgeliefert
Im Prozess vorgeworfen wird Bassewitz-Behr unter anderem der Tod von acht russischen Zwangsarbeitern, die am 30. Juli 1943 hingerichtet wurden, weil sie im Krankenhaus St. Georg während eines Nachtangriffs aus Panik ihre Stationen verlassen hatten. Außerdem wird ihm die Liquidierung von fünf weiblichen sowjetischen Kriegsgefangenen im November 1943 zur Last gelegt, die in der Altonaer Noleiko-Fabrik als Zwangsarbeiterinnen eingesetzt waren. Sie wurden erschossen, weil sie es gewagt hatten, zu streiken. Keine Frage ist, dass „BB“ die Hinrichtungen befürwortete. Doch in beiden Fällen fehlt der klare Beweis, dass er sie tatsächlich selbst angeordnet hat.

Was den Mord an den 71 angeblich „gefährlichen“ Gefangenen im KZ Neuengamme angeht, so wird Bassewitz-Behr zwar durch den ehemaligen Lagerkommandanten Max Pauly schwer belastet: Der sagt aus, der Graf habe ausdrücklich die Exekution befohlen. Aber ein Schriftstück, das das belegt, fehlt auch in diesem Fall.
Der Graf stirbt 1949 in einem Arbeitslager in Ostsibirien
Viel Anlass, sich über seinen Freispruch zu freuen, hat der Graf allerdings nicht. Als die Briten ihn wissen lassen, dass man ihn an die sowjetische Justiz ausliefern werde, schluckt er in seiner Zelle Gift. Ärzte retten sein Leben – und so wird Bassewitz-Behrs Albtraum, in die Hände von Kommunisten zu fallen, wahr: Ein sowjetisches Gericht verurteilt ihn wegen tausendfachen Mordes im Raum Dnjepropetrowsk zu 25 Jahren Zwangsarbeit.
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Graf Bassewitz-Behr, SS-Obergruppenführer, Generalleutnant der Polizei und einer der größten Verbrecher Hamburgs, stirbt am 31. Januar 1949 in einem Arbeitslager in Ostsibirien.