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  • Foto: Olaf Wunder

Hamburgs Hölle auf Erden: Unser Vater war im KZ

Das KZ Neuengamme – die Hölle auf Erden vor den Toren der Stadt. Was den 105 000 Gefangenen dort angetan wurde, darüber gibt es etliche Aufsätze und Bücher. Aber was mit den Angehörigen ist, wie sie gelitten haben und weiter leiden, was es bedeutet, Nachfahre eines KZ-Insassen zu sein – das war lange ein wenig beachtetes Thema. Doch nun ändert sich das.

Der „Ort der Verbundenheit“ heißt ein Platz in der Nähe des alten Klinkerwerks auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte in Neuengamme, der soeben eingeweiht wurde und nun ganz den Söhnen und Töchtern, den Enkeln und Urenkeln gewidmet ist. Fünf Jahre lang hat eine Gruppe Angehöriger von ehemaligen Häftlingen an diesem Gedenkort gearbeitet. Von einem „sich stetig weiterentwickelnden Ort lebendigen Erinnerns“, spricht Dr. Oliver von Wrochem, der Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Und Kultursenator Carsten Brosda sagt, dies sei ein „in dieser Form einzigartiges Projekt!“

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Bernhard Esser (76). Er entstammt einer kommunistischen Familie. Viele seiner Verwandte waren in Haft: Sein Opa Fritz, ein KPD-Abgeordneter, saß in Haft. Auch sein Vater Rudolf Esser und sein Onkel Alwin wurden von den Nazis eingesperrt, Alwin später im KZ Fuhlsbüttel erschlagen. Vater Rudolf Esser kam 1944 erneut in Haft und wurde ins KZ Neuengamme gesperrt. Er überlebte die Haftzeit und starb 1996 in Hamburg.

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Der „Ort der Verbundenheit“: eine Stätte lebendigen Erinnerns

Der „Ort der Verbundenheit“ ist zunächst einmal nichts anderes als eine Reihe von Tafeln, die in der Nähe des alten Klinkerwerks im Freien aufgestellt sind. Nun können Angehörige aus der ganzen Welt diese Fläche nutzen und mit Leben erfüllen. Jeder kann ein Plakat entwerfen, es auf eine der Tafeln kleben und so die Erinnerung an das verfolgte Familienmitglied wachhalten. Alles ist dabei möglich: zu zeichnen, zu malen, Texte zu schreiben oder die Fläche mit Fotos zu gestalten.

Der „Ort der Verbundenheit“ ist entstanden, weil der Wunsch der Angehörigen groß war, ihre Verbundenheit mit ihrem Familienmitglied zum Ausdruck zu bringen, und zwar nicht irgendwo, sondern dort, wo es gelitten hat. Für viele ist die Verfolgung ihres Angehörigen ein so zentrales Thema, dass es auch ihr Leben entscheidend geprägt hat. Denn entweder mussten die Angehörigen ohne Ehemann, Vater oder Opa weiterleben und zusehen, wie sie diesen Verlust verkraften. Oder der Angehörige überlebte, dann belasteten die furchtbaren Erzählungen von den erlittenen Qualen die Familie. Schwieg er, weil er kein Wort herausbekam, dann musste die Familie mit dem bedrückenden Schweigen klarkommen, was mindestens genauso belastend war.

Angehörige können Plakate mit Infos und Fotos ihrer Verwandten aufhängen

Die Angehörigen sind froh, nun diesen „Ort der Verbundenheit“ zu haben. Die ersten Plakate  kleben bereits. Eins hat der 76-jährige Hamburger Bernhard Esser gestaltet, dessen ganze Familie von den Nazis verfolgt wurde. Darauf ist ein Foto zu sehen, das Bernhard als kleinen Jungen gemeinsam mit seinem Vater Rudolf zeigt. Daneben heißt es: „Lieber Papa. Die absolute Willkür, die ständige Angst, der Hunger und die Brutalität, die Du hier im KZ Neuengamme erlebt hast, waren für Dich die Hölle.“

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KZ-Gedenkstätte Neuengamme. „Ort der Verbundenheit“. Hier haben Angehöriger von KZ-Insassen die Möglichkeiten, Plakat mit Fotos und Lebensläufen ihrer verfolgten Familienmitglieder aufzuhängen.

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„Mein Plakat ist ein Brief an meinen Vater“, sagt Esser. „Ich verspreche ihm darin, wachsam zu bleiben und einzugreifen. Die nationalsozialistischen Verbrechen werden heute wieder verleugnet, verdreht und verharmlost. Für mich heißt Gedenken daher auch: handeln. Der ,Ort der Verbundenheit‘ will dazu anregen, aktiv zu werden. Das finde ich heute wichtiger denn je.“

Ein Beispiel, wie Hafterlebnisse im KZ auch noch über Generationen hinweg belasten können, ist die Familie der Hamburgerin Uta Kühl (57). Ihr Vater Hermann Kühl, ein  Seemann und Widerstandskämpfer, überlebte die Konzentrationslager  Sachsenhausen, Dachau, Mauthausen, Gusen und Neuengamme. Er starb 1983.

Uta Kühl: Bei der Tochter kamen Fragen nach der eigenen Identität

Uta Kühl erzählt, wie belastend es für die ganze Familie gewesen sei, dass ihr Vater nach dem Krieg um alles habe kämpfen müssen: um Anerkennung als Verfolgter, um eine Entschädigung, um ein würdiges Gedenken. Die Stadt, die auf dem KZ-Gelände zwei Justizvollzugsanstalten unterhielt, weigerte sich jahrzehntelang, dort eine Gedenkstätte zu schaffen. Dies sei eine furchtbare Zeit gewesen.

„Als meine Tochter mit zwölf Jahren von der Internierungsgeschichte ihres Großvaters erfuhr“, so Uta Kühl, „warf dies Fragen über die eigene Identität auf. „Hätten sie Opa nicht wieder rausgelassen, wärst du dann nicht meine Mama geworden? Was haben sie Opa angetan?“ Uta Kühl berichtet, dass ihre Tochter beim Besuch der Gedenkstätte den Namen ihres Großvaters gesucht habe, aber nicht fand. „Sie sagte, wenn man nur wollte, könnte man hier sehr wohl an jeden einzelnen ehemaligen Häftling erinnern.“

Uta Kühl: Ihr Vater Hermann Kühl war im KZ Neuengamme inhaftiert.

Uta Kühl (57). Ihr Vater Hermann Kühl (1909-1983) war ein Hamburger Seemann und antifaschistischer Widerstandskämpfer. Er erlebte Hunger, Kälte, Folter und Qual in etlichen Nazi-Konzentrationslagern. Er saß im KZ Fuhlsbüttel, im KZ Sachsenhausen, im KZ Dachau, im KZ Mauthausen in den KZ Gusen I und II sowie im KZ Neuengamme.

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2015 gründete sich dann die Arbeitsgruppe von Angehörigen, die sich das Ziel setzte, den „Ort der Verbundenheit“ zu schaffen. Design-Studenten der Hochschule für bildende Kunst stießen dazu und erarbeiteten ab 2018 gemeinsam mit der Arbeitsgruppe das Konzept des neuen Gedenkortes.

„Die anderen Angehörigen gaben mir Kraft, Zuversicht, Entschlossenheit“

„Sehr, sehr lange fühlte ich mich allein. Allein mit meiner Wut. Allein mit meiner Trauer“, so Uta Kühl. „Jetzt andere Angehörige zu kennen, mich austauschen zu können, gemeinsam die Erinnerung wachzuhalten, wachsam zu sein und für ein ,Niemals wieder‘ zu kämpfen, das gibt mir Kraft, Zuversicht und Entschlossenheit.“

Begeistert vom neuen „Ort der Verbundenheit“ ist der Belgier Kristof van Mierop, dessen Großvater Roger Vyvey im September 1944 in das Bremer Außenlager des KZ Neuengamme kam, die Todesmärsche kurz vor Kriegsende und sogar den Untergang des KZ-Schiffs „Cap Arcona“ in der Neustädter Bucht am 3. Mai 1945 überlebte.

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​Bruno Neurath (72) aus Köln. Sein Vater Willi Neurath (1911-1961) wurde von den Nazis immer wieder verfolgt und eingesperrt. Er saß in den Zuchthäusern Vechte und Siegburg und in den Konzentrationslagern Buchenwald, Sachsenhausen und Neuengamme. Am 3. Mai 1945 versenkten britische Flugzeuge das KZ-Schiff Cap Arcona in der Neustädter Buch – Neurath war an Bord und ist einer der wenigen Überlebenden gewesen

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Was den „Ort der Verbundenheit“ so besonders macht? „Es ist das ganz persönliche Gedenken“ so Kristof von Mierop. „Da steht nicht nur ein Name. Angehörige können ein Plakat auf ihre ganz eigene Art und Weise gestalten. Mit Fotos oder geschichtlichen Fakten, mit persönlichen Botschaften, Gedichten, Zeichnungen, einfach allem, was ihnen aus dem Herzen spricht. Und dadurch ist auch jedes Plakat einzigartig, genau wie die Geschichte jedes einzelnen Häftlings.“

„Überleben war keine Frage der Stärke, sondern eine Frage des Glücks“

Kristof van Mierop hat ein Plakat für seinen Opa gestaltet, auf dem nur wenige Worte stehen. Es sind die Worte, die Roger Vyvey immer sagte, wenn er über seine Zeit im Konzentrationslager sprach: „Überleben war keine Frage der Fähigkeiten oder der Stärke, es war eine Frage des Glücks. Immer wieder.“

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Das Klinkerwerk auf dem Gelände des KZ-Neuengamme: Hier schufteten sich die Häftlinge zu Tode

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KZ Neuengamme: Gebaut für Hitlers Träume von der „Führerstadt“

Nach dem Willen von Diktator Adolf Hitler sollte Hamburg in eine „Führerstadt“ mit gigantischen Bauwerken verwandelt werden. Dafür mussten Steine her – deshalb wurde das KZ Neuengamme gegründet.

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Unterkunftsgebäude auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Im Lager und seinen 85 Außenlagern waren mehr als 100.000 Menschen inhaftiert. Die Hälfte überlebte die Torturen nicht.

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1938 erwarb das  SS-Unternehmen „Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH“  am Rande des Dorfes Neuengamme eine stillgelegte Ziegelei und weitere Grundstücke. Aus dem KZ Sachsenhausen bei Berlin trafen 100 Häftlinge ein, um die Ziegelei wieder betriebsbereit zu machen. Die Stadt Hamburg gewährte zum Bau eines größeren Klinkerwerks ein Darlehen in Millionenhöhe. Sie verpflichtete sich zur Herstellung eines Eisenbahnanschlusses, zur Regulierung der Dove Elbe und zum Bau eines Stichkanals mit Hafenbecken. Die SS sagte zu, „für diese Vorhaben Häftlinge als Arbeitskräfte und die dann erforderlichen Bewachungsmannschaften unentgeltlich zur Verfügung“ zu stellen.

Im Frühsommer 1940 wurde das KZ Neuengamme zu einem eigenständigen Konzentrationslager. Bis 1945 war es das zentrale Konzentrationslager Nordwestdeutschlands. Im Verlauf des Krieges deportierten die Gestapo und der Sicherheitsdienst der SS Zehntausende Menschen aus allen besetzten Ländern Europas als KZ-Häftlinge nach Neuengamme. Gründe für die Einweisung waren zumeist ihr Widerstand gegen die deutsche Besatzungsherrschaft, Auflehnung gegen Zwangsarbeit oder rassistisch motivierte Verfolgung.

Im KZ Neuengamme und in seinen über 85 Außenlagern, die für Bauvorhaben und bei Rüstungsfirmen in ganz Norddeutschland entstanden, mussten die Häftlinge Schwerstarbeit für die Kriegswirtschaft leisten. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen waren mörderisch. Insgesamt kamen mindestens 42.900 Menschen im Hauptlager Neuengamme, in den Außenlagern oder im Zuge der Lagerräumungen bei Todesmärschen und bei dem Bombardement von KZ-Schiffen ums Leben. Zusätzlich sind mehrere Tausend Häftlinge nach ihrem Abtransport aus dem KZ Neuengamme in anderen Konzentrationslagern oder nach Kriegsende an den Folgen der KZ-Haft gestorben. 

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