Hamburgs Hafenarbeiter verdienen doch schon gut: Warum streikt ihr eigentlich?
44 Jahre ging es im Hafen ohne Streik ab. Arbeitgeber und Arbeitnehmer einigten sich immer friedlich. Diesmal sieht es anders aus. Auch die siebte Verhandlungsrunde ist gescheitert, daraufhin sind die Hafenarbeiter gestern früh erneut in den Ausstand getreten, diesmal sogar für 24 Stunden. Die MOPO hat mit zwei Hafenarbeitern über den Streik gesprochen: Jana Kamischke (42), Sprecherin der Verdi-Vertrauensleute, und Daniel Braatz (34), Hafenarbeiter beim Gesamthafenbetrieb. Er arbeitet seit 2008 als Van-Carrier-Fahrer auf den Containerterminals Tollerort und Burchardkai.
MOPO: Immer wieder ist doch davon die Rede, dass Hafenarbeiter so viel verdienen. 100.000 Euro brutto im Jahr, Gehälter wie sie sonst Mediziner bekommen. Warum streiken Sie dann?
44 Jahre ging es im Hafen ohne Streik ab. Arbeitgeber und Arbeitnehmer einigten sich immer friedlich. Diesmal sieht es anders aus. Auch die siebte Verhandlungsrunde ist gescheitert, daraufhin sind die Hafenarbeiter erneut in den Ausstand getreten. Die MOPO hat mit zwei Hafenarbeitern über den Streik gesprochen: Jana Kamischke (42), Sprecherin der Verdi-Vertrauensleute, und Daniel Braatz (34), Hafenarbeiter beim Gesamthafenbetrieb. Er arbeitet seit 2008 als Van-Carrier-Fahrer auf den Containerterminals Tollerort und Burchardkai.
MOPO: Immer wieder ist doch davon die Rede, dass Hafenarbeiter so viel verdienen. 100.000 Euro brutto im Jahr, Gehälter wie sie sonst Mediziner bekommen. Warum streiken Sie dann?
Daniel Braatz: Das sind Zahlen, mit denen die Arbeitgeberseite gerne operiert. Ja, es ist so, dass in den am besten bezahlten Lohngruppen die Leute – mit extrem vielen Überstunden und allen Zulagen – auf rund 90.000 Euro im Jahr kommen können. Aber das ist absolut nicht der Normalfall. Der durchschnittliche Hafenarbeiter freut sich, wenn er die Hälfte davon hat.

„90.000 Euro – das verdienen nur die wenigsten, und auch nur, wenn sie unendlich viele Überstunden kloppen“
MOPO: Auch nicht wenig…
Jana Kamischke: Niemand sagt, dass Hafenarbeiter wenig verdienen. Aber man muss sich mal anschauen, was wir dafür leisten. Inzwischen gibt es eine derartige Arbeitsverdichtung, dass wir nicht mehr hinterherkommen. Zehntausende von Überstunden werden in den Hafenbetrieben geleistet.
MOPO: Das hat mit der Pandemie und den gestörten Lieferketten zu tun, richtig?
Kamischke: Ja, aber das war auch vorher schon so. Die Hafenbetriebe stellen zu wenige Leute ein, bilden viel zu wenig selbst aus. Und das Personal, das noch da ist, kloppt Überstunden ohne Ende. Wir sind immer auf Abruf, legen hier noch eine Nachtschicht ein oder müssen kurzfristig am Wochenende ran. Das ist ganz schlecht für die Familien.

Braatz: Und diese Situation ist dann durch die Pandemie und die gestörten Lieferketten nochmal extremer geworden. Wir sind nicht am Limit, wir sind längst darüber hinaus. Ich mache so viele Überstunden, dass ich den Kollegen, der mich am Abend ablöst, am nächsten Morgen wiedersehe, wenn er mich ablöst. Wir arbeiten praktisch im Zwei-Schicht-System rund um die Uhr – und das teils in Betrieben, die in städtischer Hand sind.
„Die Vorstände verdienen Millionen – und uns wird vorgeworfen, wir sind gierig?“
Kamischke: Ich kann Ihnen sagen, wir sind echt gefrustet. Wir haben keinen Pandemie-Bonus bekommen wie der öffentliche Dienst oder unsere leitenden Angestellten. Und es ist ja nicht so, dass die Hafenbetriebe weniger Gewinn machen würden. Im Gegenteil. Die profitieren doch davon, dass die Standzeit der Container auf den Terminals aufgrund der gestörten Lieferketten deutlich länger ist. Jeder Tag bringt Geld. Wir wollen unseren gerechten Anteil am Gewinn, nicht mehr und nicht weniger.
Braatz: Es gibt einen städtischen Vergütungsbericht, in dem Jahr für Jahr verzeichnet ist, was die Manager der städtischen Unternehmen so verdienen. Gucken Sie sich den mal an! Die ersten vier Plätze im Ranking sind seit Jahren fest in der Hand der HHLA. Auf Platz eins Angela Titzrath, die Vorstandsvorsitzende. Die verdient mehr als eine Million Euro im Jahr. An die Vorstände werden solch absurde Summen ausgezahlt. Und wir Hafenarbeiter sind es, die angeblich gierig sind? Nein, wir sind diejenigen, die sich den Arsch aufreißen, um den Laden am Laufen zu halten.

Nun sagt der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe, der Warnstreik sei angesichts der gestörten Lieferketten und der vielen Schiffe, die in der Deutschen Bucht darauf warten, nach Hamburg einfahren und Ladung löschen zu können, unverantwortlich. Es gab sogar schon Stimmen, man müsse das Streikrecht angesichts der Notlage aussetzen. Was sagen Sie dazu?
Braatz: Wir streiken nicht, weil wir keinen Bock auf Arbeit haben. Wir wissen, um unsere Verantwortung. Und nur deswegen sind wir auch bereit, so viele Überstunden zu leisten. Aber wir wollen eine gerechte Entlohnung. Der Arbeitgeber hat uns zum wiederholten Male den Rücken zugewandt, gesagt: Das sei sein finales Angebot, mehr gibt es nicht. Nun, dann bleibt uns nichts anderes übrig als zu streiken. Ach ja, und zum Vorschlag das Streikrecht auszusetzen: Dieses Recht ist im Grundgesetz verankert. Zu fordern, dieses Recht auszusetzen, ist verfassungswidrig.
„Unser Ziel ist es ein Inflationsausgleich, und zwar für alle Kollegen“

Nun haben die Arbeitgeber in der letzten Verhandlungsrund 12,5 Prozent mehr auf den Tisch gelegt, reicht das nicht?
Braatz: Nein, weil das auch so nicht stimmt. Das ist erstens ein Angebot für 24 Monate. Tatsächlich sieht das Angebot für A-Betriebe, also Vollcontainerbetriebe, gar nicht schlecht aus. Aber für die B- und C-Betriebe – das sind nicht Containerterminals, sondern die kleinen Betriebe – ist das Angebot bei weitem nicht so hoch. Wir sind angetreten, um einen Inflationsausgleich für alle Kollegen zu erreichen. Das muss kommen. Im übrigen beharren wir auf 12 Monaten Laufzeit, damit wir noch handlungsfähig sind, wenn die Preissteigerungen noch stärker werden. Denn wir wissen doch gar nicht, wie es nächstes Jahr an der Inflationsfront aussieht.