Hamburgerin erzählt: Ich habe meine Essstörung besiegt – und helfe jetzt anderen
Menschen mit Essstörungen leiden besonders unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie. Bei den einen haben Lockdowns und die Beschränkung von sozialen Kontakten die Krankheit erst ausgelöst, bei anderen, eigentlich Gesundgeglaubten, fing es wieder an. Bei der Hamburgerin Oona Mathys ist das nicht passiert. Sie hat Magersucht, Bulimie und Sportsucht nach einem jahrelangen Heilungsprozess vor vier Jahren vollständig überwunden und möchte Betroffenen mit ihrer Geschichte zeigen: „Heilung ist möglich!“
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Menschen mit Essstörungen leiden besonders unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie. Bei den einen haben Lockdowns und die Beschränkung von sozialen Kontakten die Krankheit erst ausgelöst, bei anderen, eigentlich Gesundgeglaubten, fing es wieder an. Bei der Hamburgerin Oona Mathys ist das nicht passiert. Sie hat Magersucht, Bulimie und Sportsucht nach einem jahrelangen Heilungsprozess vor vier Jahren vollständig überwunden und möchte Betroffenen mit ihrer Geschichte zeigen: „Heilung ist möglich!“
Die MOPO erreicht Oona in Südafrika. Die 28-jährige Vertriebsmitarbeiterin ist für einige Zeit in das warme Land gegangen, um von dort aus zu arbeiten – Homeoffice macht’s möglich. Oona ist braungebrannt, um ihren Hals trägt sie eine Muschelkette, und sie strahlt mit der südafrikanischen Sonne um die Wette.
Dunkle Zeiten: Von der Anorexie direkt in die Bulimie
Doch Oona war nicht immer so glücklich. Die dunkelste Zeit ihres Lebens begann im Alter von 17 Jahren. Nach einem Auslandsjahr in Mexiko rutschte sie langsam in die Magersucht. „Ich war in einer Sinnkrise: Ich hatte Schwierigkeiten in der Schule und bei der Wiedereingliederung in den Freundeskreis. Außerdem hatte ich in dem Jahr 15 Kilogramm zugenommen und furchtbare Angst vor den Reaktionen.“ Sie begann, weniger zu essen und sah schnell erste Abnehmerfolge. Nach und nach schlichen sich gefährliche Verhaltensweisen ein. „Ich habe innerhalb kürzester Zeit stark abgenommen und es ging mir sehr schlecht.“
Schließlich forderte Oonas völlig unterernährter Körper die fehlenden Kalorien ein. Sie bekam Essattacken – der Beginn der Ess-Brech-Sucht. „Die Bulimie hat meinen kompletten Alltag bestimmt. Ich habe während der Abiturzeit die Schule geschwänzt, um massenweise Lebensmittel einzukaufen, zu essen und anschließend wieder zu erbrechen. Das war mein Weg, mit Druck und Stress umzugehen.“
Zu der Bulimie gesellte sich die Sportsucht. Erst eine Verletzung am Sprunggelenk holte Oona aus ihrem Teufelskreis. Die junge Frau krempelte ihr Leben um: Sie fand zum Yoga als alternative, sanfte Bewegungsform und reiste für drei Wochen zu ihrer Gastfamilie nach Mexiko, wo alles begonnen hatte.
In Kombination mit einem Intensivcoaching war das für Oona der beste Weg, die Ursachen ihrer psychischen Erkrankung aufzuarbeiten und ihre gefährlichen Verhaltensweisen endlich loszulassen. „Bei einer Essstörung geht es nie primär um den Körper. Die Gewichtsveränderungen sind lediglich Symptom für tieferliegende Probleme. Die Krankheit gibt Betroffenen in Phasen des Kontrollverlusts ein Gefühl von Macht“, sagt die 28-Jährige. „Deshalb rutschen auch in Corona-Zeiten so viele Menschen da rein.“
Essstörungen in Corona-Zeiten: Das rät Oona Betroffenen
Trotz persönlicher Turbulenzen mitten im Lockdown führte die Pandemie bei Oona nicht zu einer Rückkehr der Essstörung. „Das ist für mich der Beweis, dass ich es vollständig da raus geschafft habe.“
Trotzdem beschäftigt sich die junge Frau weiter mit dem Thema. „Ich hätte mir damals gewünscht, dass jemand mir zeigt, dass Heilung möglich ist. Dieser Mensch möchte ich jetzt für andere sein“. Im Podcast „oonamaste“ und auf ihrem gleichnamigen Instagram-Profil gibt Oona Betroffenen Tipps für die Heilung. Zudem arbeitet sie mit der Hamburger Beratungsstelle „Waage e.V.“ zusammen, war Teil eines Filmprojekts mit dem Titel „Ich hab’s geschafft“ und hat vor der Pandemie auch Gruppentherapien besucht. Manchmal wird sie sogar auf den Hamburger Straßen angesprochen. „Ich funktioniere als Bindeglied zwischen Betroffenen, Kliniken und Beratungsstellen.“
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Diese sind laut Oona der beste Anlaufpunkt für Menschen, die gesund werden wollen. „Man muss nicht anrufen oder hingehen. Oft kann man auch per Mail oder im Online-Chat Kontakt aufnehmen.“ Anlaufstellen sind „Waage e.V.“ mit Sitz in Eimsbüttel sowie das Therapienetz Essstörung, die Telefonseelsorge oder „ANAD e.V.“ „Diese Zentren unterliegen der Schweigepflicht. Betroffene brauchen also keine Angst davor zu haben, dass ihre Eltern angerufen oder sie gezwungen werden, wiederzukommen.“
Oona könne heute wieder ganz normal essen. „Das heißt, dass ich sowohl auf meinen seelischen als auch auf meinen körperlichen Hunger höre und immer versuche, die Balance zu halten.“
Was sie an ihrem heutigen Leben so liebt? „Das Leben mit Essstörung ist nur ein Überleben. Danach warten Farben, Licht, Freude, neue Menschen und Ideen. Ich kann reisen, mich um meinen Hund kümmern, Freundschaften knüpfen, Beziehungen führen. Es lohnt sich.“