„Ich wohne plötzlich in einer guten Gegend – und weiß nicht, warum“
Uwe Harich versteht die Welt nicht mehr. Der 69-Jährige lebt laut des Hamburger Wohnlagenverzeichnisses plötzlich in einer „guten“ Gegend. Die Straßenseite gegenüber seiner Wohnung wird weiter als „normal“ bewertet. Baulich hat sich in der gesamten Straße seit Jahren nichts verändert. Die MOPO hat nachgeforscht, wieso eine Straße plötzlich zweigeteilt wird und was das für Mieter:innen bedeutet.
„Warum es diese neue Einstufung je Straßenseite gibt, verstehe ich einfach nicht. In den letzten 40 Jahren hat sich im Straßenbild nichts geändert, es gibt weder neue Grünanalagen noch eine neue Fahrradstraße“, sagt Harich zur MOPO. Die Wohnlage sei nach wie vor beliebt, auch bei jungen Familien, denn es gebe viele große Altbauwohnungen.
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Uwe Harich aus der Mansteinstraße in Hoheluft-West versteht die Welt nicht mehr. Der 69-Jährige lebt laut des Hamburger Wohnlagenverzeichnisses plötzlich in einer „guten“ Gegend. Die Straßenseite gegenüber seiner Wohnung wird weiter als „normal“ bewertet. Baulich hat sich in der gesamten Straße seit Jahren nichts verändert. Die MOPO hat nachgeforscht, wieso eine Straße plötzlich zweigeteilt wird und was das für Mieter:innen bedeutet.
„Warum es diese neue Einstufung je Straßenseite gibt, verstehe ich einfach nicht. In den letzten 40 Jahren hat sich im Straßenbild nichts geändert, es gibt weder neue Grünanalagen noch eine neue Fahrradstraße“, sagt Harich zur MOPO. Die Wohnlage sei nach wie vor beliebt, auch bei jungen Familien, denn es gebe viele große Altbauwohnungen.
Was ist das Hamburger Wohnlagenverzeichnis?
Aufgefallen ist Uwe Harich die neue Einstufung aufgrund einer Mieterhöhung und dem beigefügten Hamburger Mietenspiegel. Als Grundlage für den Mietenspiegel dient das Wohnlagenverzeichnis. Im Verzeichnis werden alle Straßenabschnitte, sogenannte Blockseiten, anhand eines Kennwerts in die Kategorien „gut“ oder „normal“ eingeteilt.
„Dass eine Straße zweiteilig bewertet wird, kommt in Hamburg öfter vor“, erklärt Sylvia Sonnemann vom Verein „Mieter helfen Mietern“. „Der Grenzwert, ab dem eine Blockseite als „gut“ eingestuft wird, liegt bei der Kennzahl 541,04“, so Sonnemann. Dieser Wert werde nach einer komplexen Formel berechnet, bei der vor allem der Bodenrichtwert und der Sozialindikator ausschlaggebend seien. „Weitere Faktoren sind neben Lärmeinwirkungen etwa die Anbindung zum Nahverkehr oder zu Grünflächen“, sagt Sonnemann.
Hamburger Wohnlagen: So unterschiedlich sind die Bewertungen
Tatsächlich liegen in der Mansteinstraße beide Straßenseiten in „unmittelbarer Nähe zum Grenzwert“, das geht aus der Antwort der Stadtentwicklungsbehörde auf MOPO-Nachfrage hervor. Auf der Straßenseite Mansteinstraße 1-45 liegt der Kennwert bei 540,77 und auf der anderen Seite bei 544,66.
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Der Unterschied begründe sich im Wesentlichen auf einen höheren Lärmwert der Mansteinstraße auf der Seite mit den ungeraden Ziffern. Außerdem kommen „geringfügig höhere Entfernungsparameter“ hinzu. „Die qualitativen Unterschiede waren 2019 gleich“, bestätigt die Behörde.
Anteil von „guten“ Wohnlagen steigt – Mieter müssen zahlen
Im Hamburger Wohnlagenverzeichnis 2021 gab es im Verhältnis zum Jahr 2019 etwa für sechs Prozent aller Einstufungen eine Änderung. Obwohl das Verhältnis der vorhandenen Wohnlagen insgesamt weiter bei etwa zwei Drittel „normalen“ und einem Drittel „guten“ Wohnlagen liegt, steigt der Anteil von Wohnungen, die als „gut“ eingestuft werden.
Denn etwa zwei Prozent der Straßenabschnitte wurden von „gut“ zu „normal“ runtergestuft und vier Prozent von „normal“ auf „gut“ hochgestuft. „Für die Mieter:innen könne eine Neubewertung als ‚gute‘ Wohnlage gravierende Auswirkungen haben – hier steigen die Mieten „zum Teil deutlich“, sagt Sylvia Sonnemann vom Mieterverein.
Wohnlagenkennwert: Wie können Mieter ihn nachvollziehen?
Der Wohnlagenkennwert soll laut Stadtentwicklungsbehörde der „Transparenz“ dienen, ist für Mieter:innen aber oft schwer nachvollziehbar. Die Berechnungsmethode zum aktuellen Wohnlagenverzeichnis wird laut Stadtentwicklungsbehörde erst im Methodenbericht bis voraussichtlich Ende März zur Verfügung stehen. Mieter- oder Vermieter:innen, die mit der Einstufung im Wohnlagenverzeichnis unzufrieden sind, können sich von Mietervereinen oder einem Rechtsbeistand beraten lassen.
Für die Berechnungsgrundlage der Wohnlagen gibt es auch aus der Opposition in der Hamburgischen Bürgerschaft Kritik. „Die Wohnlagenberechnung gaukelt Objektivität vor, macht aber die Indikatoren Bodenpreis und Statusindex mit fast 40 Prozent zum ausschlaggebenden Faktor“, sagt Heike Sudmann, Sprecherin für Stadtentwicklung der Linksfraktion.
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„Werden in der Nachbarschaft Eigentumswohnungen gebaut oder ziehen Menschen mit viel Einkommen in die teurer gewordenen Wohnungen ein, steigt der Bodenpreis“, so Sudmann weiter. Da hätten Mieter:innen „Pech“ und würden plötzlich in einer „guten“ Wohnlage leben, ohne eine verbesserte Mietwohnung, ohne einen neuen Baum, oder mehr Nähe zur Busstation. Die gute Wohnlage zahle sich nur für die Vermieter:innen und Eigentümer:innen aus.