Hamburger Stahlriese: Hier entscheidet der Wind, ob gearbeitet wird
Er zieht so viel Strom wie ganz Kiel: Der Stahlriese ArcelorMittal ist der größte Energieverbraucher Hamburgs – und richtet seine Produktion wegen der explodierten Kosten jetzt nach dem Wind. Die MOPO hat den Hamburger-Chef Uwe Braun gefragt, wie das funktioniert, was es braucht, damit die Industrie hier überleben kann – und ob die Arbeitsplätze in Hamburg noch sicher sind.
Er zieht so viel Strom wie ganz Kiel: Der Stahlriese ArcelorMittal ist der größte Energieverbraucher Hamburgs – und richtet seine Produktion wegen der explodierten Kosten jetzt nach dem Wind. Die MOPO hat den Hamburger-Chef Uwe Braun gefragt, wie das funktioniert, was es braucht, damit die Industrie hier überleben kann – und ob die Arbeitsplätze in Hamburg noch sicher sind.
MOPO: Schreiben Sie diesen Winter rote Zahlen, Herr Braun?
Uwe Braun: Wir gehen davon aus, dass wir keine Verluste machen werden, aber das ist nur eine vorsichtige Prognose. Durch die Gas- und Strompreisbremse und die gute Wetterlage für Windenergie haben wir jetzt einen besseren Ausblick als im Herbst. Wir werden voraussichtlich keine Kurzarbeit machen. Aber es hängt viel davon ab, wie sich die Energiepreise entwickeln.
Sie mussten die Produktion runterfahren. Ist das die Deindustrialisierung?
Das denke ich nicht. Wir können die Reduktionsanlage sofort wieder anfahren, halten das Personal bei uns und sichern so das Know-how. Ob wir wieder hochfahren, hängt aber von den Gaspreisen ab. Vor der Krise machte Energie 20 Prozent unserer Betriebskosten aus, Mitte 2022 50 Prozent. Bei so einem krassen Anstieg hat man sofort ein Problem. Die Strom- und Gaspreisbremse hilft uns in der Krise, aber sie ist limitiert. Jetzt müssen darüber hinaus Rahmenbedingungen gesteckt werden, damit die Industrie bleibt.

Was braucht es?
Wir brauchen Alternativen für Erdgas. Wir werden das Preisniveau von vor der Krise nicht mehr erreichen. Jetzt muss der Ausbau der erneuerbaren Energien forciert werden: Für mehr grünen Strom, um über Wasserstoff und Elektrolyse Erdgas zu ersetzen.
Erneuerbare Energie ist aber nicht so verlässlich. Sie richten Ihre Produktion schon jetzt nach dem Wind. Wie funktioniert das?
Mit genug Wind können 30 bis 40 Prozent des Energiebedarfs in Deutschland abgedeckt werden. Weht er nicht, fehlt das. Bislang wurden diese Schwankungen mit Erdgas abgefangen. Heute entscheiden wir, ob wir produzieren oder nicht. Dafür haben wir sehr gute Simulationen für die nächsten zehn Tage. Es wird nicht nur der Wetterbericht simuliert, sondern die Versorgung aus erneuerbarer Energie insgesamt betrachtet und unser Bedarf dagegengestellt. Damit legen wir für den Folgetag fest, ob wir zu den jeweiligen Kosten produzieren oder nicht. Wir müssen sehr flexibel sein, auch unsere Mitarbeiter.
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Wird das die neue Normalität? Andere Industrien können ihre Werke nicht spontan an- oder abschalten.
Wir wünschen uns etwas mehr Stabilität, aber ich gehe davon aus, dass wir mit dem zunehmenden Anteil der erneuerbaren Energie auch mehr Flexibilität zeigen müssen – und aus meiner Sicht muss man als energieintensives Unternehmen die Technologie haben, um zu reagieren. Wir brauchen gute Alternativen wie Wasserstoff oder Ammoniak aus Ländern mit stabilerer Solarenergie. Und Möglichkeiten, Energie aus erneuerbaren Quellen zu speichern.

Bis das alles läuft, dauert es noch. ArcelorMittal muss auch bis dahin Gewinn machen, damit der Konzern in Deutschland bleibt.
Ich kann nur für Hamburg sprechen, aber wir haben einiges ab 2026 geplant: Ein Pilotprogramm, mit dem wir 100.000 Tonnen grünen Eisenschwamm mit Wasserstoff erzeugen können, und eine Elektrolyseanlage, um die Pilotanlage zu versorgen. In weiteren Schritten können wir die Mengen steigern. Wir sind auch am Wasserstoff-Hub in Moorburg beteiligt. Viel haben wir selbst in der Hand und in Hamburg eine gute Infrastruktur. Aber Elektrolyse ist sehr stromintensiv. Um wettbewerbsfähig zu sein, brauchen wir Subventionen bei den Kosten, zumindest vorübergehend. Das weiß auch Herr Habeck, und es ist in Arbeit.
Sie warten auch noch auf den Segen der EU zur Förderung ihres Pilotprogramms für grünen Eisenschwamm – seit eineinhalb Jahren, obwohl die Bundesregierung schon zugesagt hat. Denken Sie, es wäre woanders einfacher?
Ja, natürlich. Wir sehen, was in anderen Ländern wie Kanada möglich gemacht wird. Da beteiligt sich die Regierung zu 50 Prozent an den Investitionskosten. Das hat eine ganz andere Dynamik. Auf nationaler Ebene will ich bei unserer Förderung nicht viel kritisieren. Aber ArcelorMittal will in Hamburg investieren, die Bundesregierung unterstützt das – und dann warten wir eineinhalb Jahre auf die EU-Kommission, die hoffentlich mit dem Ergebnis kommt: Ja, wir dürfen. Das ist frustrierend. Es geht um sehr viel Geld und die Welt ist hochdynamisch. Das muss schneller gehen. Man muss sich vor Augen halten, dass wir in einem agilen und internationalen Konzern sind, der auch schnell eine Entscheidung trifft, um woanders präsent zu sein. Es dreht sich nicht alles um Deutschland und Europa.
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Sind die Arbeitsplätze in Hamburg sicher?
Wir gehen davon aus, mit unserem Weg zukunftsfähig zu sein. Wir haben eine hohe Flexibilität und Effizienz. Wenn wir die Unterstützung auf politischer Ebene bekommen und langfristige Weichen für die Zeit nach der Krise gestellt werden, dann sehe ich kein Problem. Aber das muss kommen.