Hamburger Professor: „Die Queen hat massiv vom Kolonialismus profitiert“
Jürgen Zimmerer ist Professor für Globalgeschichte an der Uni Hamburg, Leiter der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ – und blickt inmitten der globalen Trauer um die Queen mit kritischem Blick auf deren Rolle im Kolonialismus. Die MOPO sprach mit dem Wissenschaftler über Rassismus im englischen Königshaus, Karrierechancen nicht-weißer Menschen im Buckingham-Palast und Kronjuwelen, die eigentlich den Indern gehören.
Jürgen Zimmerer ist Professor für Globalgeschichte an der Uni Hamburg, Leiter der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ – und blickt inmitten der globalen Trauer um die Queen mit kritischem Blick auf deren Rolle im Kolonialismus. Die MOPO sprach mit dem Wissenschaftler über Karrierechancen nicht-weißer Menschen im Buckingham-Palast, Kronjuwelen, die eigentlich den Indern gehören, und darüber, was König Charles tun müsste, um in die Geschichte einzugehen.
MOPO: Professor Zimmerer, sind die Menschen, die weltweit um die Queen trauern, blind und naiv?
Jürgen Zimmerer: Nein, wer einen Verlust spürt, der soll trauern. Es gibt aber auch Würdigungen ihres Lebens, und darin fehlt etwas ganz Zentrales, sozusagen der „defining moment“ ihrer Regentschaft: der Kolonialismus, wenn auch im Niedergang. Er wird ausgeblendet, weil es diesen Heiligenschein stören würde. Ohne das Empire kann man diese Frau aber gar nicht verstehen. Ihre Namensvetterin, Elizabeth I., hat das Empire aufgebaut, Victoria, die zweite große Frauengestalt in der britischen Geschichte, wurde auf dem Höhepunkt des Kolonialismus zur Kaiserin von Indien gekrönt, und Elizabeth II. thronte über dem Niedergang. Schon in ihrer ersten Rede als ganz junge Frau, bei einem Besuch mit ihrem Vater in Südafrika, sprach sie ja von „our imperial family“.
Wobei „imperial family“ ja sehr verniedlichend ist. Als wären alle auf Augenhöhe.
Ja, das ist eine Beschönigung, da war nichts mit Augenhöhe. Zum Zeitpunkt ihrer Thronbesteigung waren Indien, Pakistan und Bangladesch ja schon unabhängig, es begannen die großen Unabhängigkeitsbewegungen und Großbritannien leistete erbitterten Widerstand. In Malaysia und in Kenia kam es zu brutalen Niederschlagungen der Widerstandsbewegungen. Die Anhänger der Mau-Mau-Bewegung in Kenia wurden in Lager gesperrt und gefoltert – zu dieser Zeit war Elizabeth bereits Königin. Britische Gerichte haben das vor einigen Jahren sogar offiziell als Menschenrechtsverletzungen anerkannt, die Queen äußerte sich aber nie dazu. Sie hatte über 70 Jahre eine wichtige Rolle inne und sie hat sie nicht genutzt.

Hätte sie das in ihrer Rolle als komplett meinungsloses Staatsoberhaupt denn überhaupt gedurft?
Sie war nicht meinungslos. Jeder wusste, dass man mit einer dunkleren Hautfarbe im Buckingham Palace nicht arbeiten durfte. Sie hat es nur zur hohen Kunst erhoben, niemandem auf die Zehen zu treten, deshalb war sie ja auch so beliebt. Wissenschaftlich gesagt sind wir auf dem Weg von der kolonialen in die postkoloniale Globalisierung und eine innovativere Figur als die Queen hätte diesen Übergang moderieren können.
War die Queen eine Rassistin?
Die Queen, oder ihre Familie, was ja auch Meghan und Harry andeuteten, oder zumindest das unmittelbare Umfeld, ja!
Was hätte sie konkret machen können?
Sie war ja eine enorm reiche Frau und ihr Vermögen stammt zu großen Teilen aus dem Kolonialismus, gar aus dem Sklavenhandel…
…den Großbritannien ja bereits 1807 abgeschafft hat, wie gerne betont wird.
Ja, und die Sklaverei selbst wurde dann 1833 in den britischen Kolonien verboten. Den Sklavenhaltern wurden derart massive Entschädigungen gezahlt, dass die Tilgung dieser riesigen Summe bis vor wenigen Jahren andauerte. Die Sklaven und ihre Nachkommen bekamen nichts. Die wurden in die Mittellosigkeit entlassen und hatten keine Wahl, als weiterhin für einen Hungerlohn zu arbeiten.
Die Königin hat also ganz persönlich vom Kolonialismus profitiert?
Die königliche Familie hat von der Unterdrückung massiv profitiert. Es hätte keiner die Queen daran hindern können, die Hälfte ihres privaten Vermögens abzugeben an die, denen sie es zu verdanken hat. Es haben ja alle profitiert, etwa auch die Universitäten, aber dort beginnt gerade ein Umdenken. Einige Institutionen wollen Abbitte leisten, etwa mit millionenschweren Stipendienprogrammen. Dazu hätte die Queen sich ja auch mal äußern können, die königliche Familie war ja in vielen Gremien vertreten.

Sollte König Charles die Kronjuwelen an Indien zurückgeben?
Charles ist der erste König seit Elizabeth I., der kein Empire übernimmt, wenn man von einigen kleineren Overseas Territories absieht. Und wenn er einen Fußabdruck in der Geschichte hinterlassen will, dann müsste er die Aufarbeitung des kolonialen Erbes jetzt anschieben, etwa mit der Rückgabe der Kronjuwelen.
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Glauben Sie, das wird passieren?
Großbritannien tritt bei allem, was mit der Rückgabe von Raubobjekten zu tun hat, auf die Bremse, auch, weil viele Briten einer imperialen Nostalgie nachhängen. Und im britischen Königshaus gibt es durchaus eine Haltung, nach der es einem zusteht, anders behandelt zu werden, Privilegien zu besitzen auf Grund der Herkunft. Das passt natürlich auch zu der Haltung, nach der es den Europäern zusteht, über andere Teile der Welt zu herrschen.