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Ein durch das Erdbeben in der Türkei zerstörtes Haus, eingefügt das Foto von Cansu Özdemir
  • Die Trümmer waren einmal das Haus der Großeltern von Cansu Özdemir, Fraktionschefin der Linken in Hamburg.
  • Foto: Privat/Linksfraktion/MOPO-Collage

Hamburgs Linken-Chefin über Erdbeben: „Meine Tante liegt unter diesen Trümmern!“

Cansu Özdemir, Fraktionschefin der Linken in der Hamburger Bürgerschaft, bangt um ihre Familie im Erdbebengebiet: „Das Haus meiner Großeltern ist eingestürzt, eine Tante liegt unter den Trümmern.“ Staatliche Hilfe ist in den Gebieten, in denen viele Kurden leben, noch nicht eingetroffen, es fehlen sogar Schaufeln. Auf ihrem Handy landen via Twitter die Standorte von Verschütteten, ihre Angehörigen schicken dramatische Nachrichten. Die MOPO sprach mit der Kurdin über die Angst der Menschen zu erfrieren, ihre eigene Hilflosigkeit und welche Hilfe derzeit überhaupt möglich ist.

„Meiner Familie geht es sehr schlecht“, sagt Cansu Özdemir (34) zur MOPO. Eigentlich spricht sie nicht über ihr Privatleben, aber angesichts der Katastrophe in ihrer Heimat macht die Linken-Politikerin eine Ausnahme, schildert die Zustände in den Dörfern nahe der Stadt Malatya in Ostanatolien: „Nach dem ersten Beben sind fünf meiner Familienmitglieder aus der Stadt aufs Land geflohen. Sie leben in der Stadt in mehrstöckigen Häusern, hatten Angst, dass die einstürzen könnten.“ Tatsächlich geht derzeit ein Video um die Welt, das ein Hochhaus in Malatya zeigt, das während der Bergungsarbeiten einstürzt.

Cansu Özdemir, Fraktionsvorsitzende der Linken in der Hamburgischen Bürgerschaft Linksfraktion
Cansu Özdemir Linke
Cansu Özdemir, Fraktionsvorsitzende der Linken in der Hamburgischen Bürgerschaft

In dem Dorf, rund eine halbe Autostunde von Malatya entfernt, lebten Özdemirs Großeltern. Hier schlüpften die Städter unter, wollten nur abwarten, bis sie in ihre Wohnungen zurückkehren konnten – doch während des zweiten starken Bebens kam es zur Katastrophe: „Das Haus meiner Großeltern war durch das erste Beben offenbar schon instabil und stürzte bei dem zweiten Beben ein, als alle beim Frühstück saßen. Eine Cousine meiner Mutter wurde tot geborgen, eine weitere Tante liegt noch unter den Trümmern, vermutlich ebenfalls tot.“

Während des Frühstücks: Haus stürzt durch das Beben ein

Fotos von früher zeigen ein schlichtes gelbes Haus mit einem Balkon – das nun nur noch ein schneebedeckter Trümmerhaufen ist. 1994, als Sechsjährige, hat Cansu Özdemir selbst ein weniger starkes Beben in diesem Haus miterlebt, damals hielt das Betongebäude stand. Der Katastrophe fast 30 Jahre später nicht mehr.

Das Haus von Cansu Özdemirs Großeltern vor der Zerstörung. Privat.
Haus vor dem Erdbeben
Das Haus von Cansu Özdemirs Großeltern vor der Zerstörung.

„Die Menschen sind seit 24 Stunden in der Kälte, viele sind in Pyjamas rausgerannt, in manchen Dörfern in den Bergen steht kein Haus mehr“, sagt Özdemir: „Die Bewohner können ihre Handys nicht mehr laden, die sind nicht mehr erreichbar.“ Die türkische Regierung lasse die Menschen dort, zumeist Kurden, im Stich, so ihr Vorwurf: „Da, wo Erdogans Wählerpotenzial ist, kommt Hilfe sehr schnell an, da wo der Staat wenig Potenzial sieht, ist noch gar nichts passiert. Da findet eine politische Prioritätensetzung statt.“

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In dem Dorf ihrer Großeltern fehle es sogar an Schaufeln. Um die Akkus zu schonen, werden die Nachrichten weniger, aber die Dramatik steigt: „Sie schreiben, wir haben das Erdbeben überlebt, aber jetzt werden wir erfrieren, wenn nicht schnell Hilfe kommt.“

Viele Angehörige aus den Städten versuchen nun, sich irgendwie über die verschneiten Straßen in die Dörfer in der Katastrophenregionen vorzukämpfen, wenn schon keine Soldaten kommen, um Schaufeln, Lebensmittel und Decken zu bringen. „Keiner hat mit so einem Beben gerechnet“, sagt die Politikerin: „Alle dachten, sie warten das Beben ab und machen mit ihrem Alltag weiter.“

Cansu Özdemir darf nicht in die Türkei reisen

Cansu Özdemir darf wegen ihrer politischen Aktivitäten seit Jahren nicht mehr in die Türkei reisen: „Es ist eine große Ohnmacht, die man spürt“, sagt sie, „das geht aber vielen Angehörigen in Deutschland so. Alle sitzen vor dem Fernseher.“

Özdemir versucht nun von Hamburg aus zu helfen: „Ich habe Helfer vor Ort und auch internationale Hilfsorganisationen kontaktiert und gebe Koordinaten durch. Was ich bisher mitbekommen habe, ist, dass es nahezu keine Koordination der Helfer gibt. Die werden irgendwo hingeschickt, dann gibt es keine Ausrüstung und sie werden wieder weggeschickt.“ Wer helfen will: Der Kurdische Rote Halbmond, das Gegenstück zum Deutschen Roten Kreuz, sammelt Spenden.

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