Hamburger Islamisten fordern Sturz der „Wertediktatur“ – Ministerin Faeser reagiert
Der Steindamm in St. Georg wird von vielen „Klein-Istanbul“ genannt – wegen der vielen türkischen Geschäfte und türkischen Restaurants. Doch an diesem Samstagnachmittag fühlen sich die Passanten, als hätten sie sich in eine Taliban-Kundgebung mitten in Kabul verirrt oder als wären sie auf eine antiwestliche Demonstration in Teheran oder anderswo im Nahen Osten gebeamt worden. Wir sehen voll verschleierte Frauen. Und Männer mit Bärten, die mit hasserfüllten Gesichtern Parolen brüllen, so laut, dass einem Angst und Bange wird.
- Deutsch (Deutschland)
MOPO+ Abo
für 1,00 €Jetzt sichern!Neukunden lesen die ersten 4 Wochen für nur 1 €!Zugriff auf alle M+-ArtikelWeniger Werbung
Danach nur 7,90 € alle 4 Wochen //
online kündbarMOPO+ Jahresabo
für 79,00 €Jetzt sichern!Spare 23 Prozent!Zugriff auf alle M+-ArtikelWeniger Werbung
Danach zum gleichen Preis lesen //
online kündbar
Wenn Sie E-Paper Kunde sind, betrifft diese Änderung Sie nicht.
Der Steindamm in St. Georg wird von vielen liebevoll „Klein-Istanbul“ genannt – wegen der vielen türkischen Geschäfte und orientalischen Restaurants dort. Doch an diesem Samstagnachmittag fühlen sich die Passanten, als hätten sie sich in eine Taliban-Kundgebung mitten in Kabul verirrt oder als wären sie auf eine antiwestliche Demonstration in Teheran oder anderswo im Nahen Osten gebeamt worden. Überall verschleierte Frauen. Und Männer mit Bärten, die mit hasserfüllten Gesichtern Parolen brüllen, so laut, dass einem angst und bange wird.
Deutschland ist eine liberale Demokratie. Dazu gehört Glaubensfreiheit. Jeder darf bei uns glauben, was er will, selbst den größten Unsinn. In einer Diktatur säßen die Anhänger und Drahtzieher von „Muslim Interaktiv“ (MI) im Knast oder würden sofort festgenommen, sobald sie es wagen, auf die Straße zu gehen, um ihre Propaganda zu verbreiten. In Deutschland aber sorgt die Polizei für Sicherheit und passt auf, dass die Anhänger von „Muslim Interaktiv“ ungestört ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen können – obwohl sie vom Verfassungsschutz beobachtet und als gesichert extremistisch eingestuft werden. So weit geht die Freiheit hierzulande.
Die Teilnehmer der Islamisten-Demo sind überwiegend junge Männer
Das nutzen die Islamisten geschickt aus. Am Samstag gellen pausenlos „Allahu akbar“-Rufe durch St. Georg. Weiße und schwarze Fahnen mit dem islamischen Glaubensbekenntnis wehen im Wind. Die Gruppierung „Muslim Interaktiv“, die 2020 in Hamburg gegründet wurde, kann an diesem Samstag 1100 Männer mobilisieren – außerdem noch 80 Frauen, die voll verschleiert im Abstand von zehn, 15 Metern daneben stehen. So gehört es sich wohl bei Islamisten: Der Platz der Frauen ist ganz am Ende.
Was besonders erschreckend ist: Bei den Teilnehmern handelt sich nicht etwa um Geflüchtete aus Syrien oder Nordafrika. Nicht um Menschen, die sich erst seit kurzem in Deutschland aufhalten und noch in ihrer Heimat verwurzelt sind. Nein, die Leute, die da protestieren, sind zumeist hier geboren, sie sprechen fließend Deutsch. Viele werden sogar einen deutschen Pass haben.
Es handelt sich um Angehörige der dritten Einwanderergeneration, um junge Leute von 15, 18, 20, 25 Jahren, die sich von selbsternannten Internet-Predigern wie Raheem Boateng haben einfangen, einlullen und radikalisieren lassen. Der erzählt ihnen auf TikTok, dass in Deutschland alle Muslime verfolgt würden, sie sich zusammenschließen und sich wehren müssten.
Raheem Boateng – 25 Jahre alt, deutsche Mutter, ghanaischer Vater, Staatsangehörigkeit Deutsch – ist Anmelder dieser Demo. Klar, dass er es sich nicht nehmen lässt, auch höchstpersönlich ans Mikrofon zu treten. Ein gutaussehender, durchtrainierter Typ mit T-Shirt, Jeans, gepflegtem Vollbart und Sneaker. Er ruft seinen Anhängern zu: „Aschhadu an la ilaha illa-lah wa aschhadu anna muhammadan rasulu-lah.“ Was so viel bedeutet wie: „Ich bezeuge, es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Gesandter.“
Islamisten-Anführer hetzt gegen Medien in Hamburg
Nach dieser frommen Einleitung legt er los: Dass die deutschen Politiker und die deutschen Journalisten allesamt Lügner sind. „Glaubt nicht die Lügen der Medien und Politiker!“ ruft er. „Sie reden von Integration, meinen aber Assimilation.“ Boateng wirft der Bundesrepublik vor, den Moslems die Identität rauben zu wollen. „Wir fordern das Recht auf eine eigene muslimische Lebensweise!“
In diesem Moment gibt ein Einpeitscher von hinten die Parole aus: „Stürzt die Wertediktatur!“ Sofort wiederholen 1100 Kehlen die Worte so laut, dass einem die Ohren wegfliegen. Während sie brüllen, zeigen die jungen Männer mit dem Zeigefinger der rechten Hand in die Luft – unter Moslems das Symbol der Einheit und Einzigartigkeit Gottes.
Was auffällt: Alles ist durchchoreographiert und bis ins letzte Detail generalstabsmäßig geplant. Raheem Boateng hat seine Leute im Griff. Alle machen genau das, was er will. Es ist kein Zufall, dass in der Menschenmenge immer wieder die gleichen Plakate in die Höhe gereckt werden. Vor Beginn der Demo haben Boatengs Handlanger sie an die Teilnehmer ausgegeben. 20, 25 Motive wiederholen sich ständig. Da ist zu lesen: „MOPO verbreitet Hass“ oder „Mut zur Wahrheit“ oder „Medienhetze führt zur Islam-Feindlichkeit“. Immer wieder sind Titelblätter von Hamburger Zeitungen abgebildet, besudelt mit roter Farbe oder beschmiert mit rotem Handabdruck.
Der Hintergrund dieser Medienschelte: Zuletzt hatte die Presse sehr kritisch über „Muslim Interaktiv“ berichtet. Und mit Kritik kann Boateng nicht so recht umgehen, in seiner Welt kommt sie Gotteslästerung gleich. Weil Angriff die beste Verteidigung ist, beschuldigt er in seiner Ansprache die Medien und die Politiker, geistige Brandstifter zu sein. Eine völlige Umkehrung der Wirklichkeit, aber Boateng erreicht damit die jungen Leute. Sie hängen regelrecht an seinen Lippen, er ist ihr Held, bekannt als islamistischer Influencer aus dem TikTok-Kanal.
Die ganze Demo am Samstag ist im Grunde nur ein Schauspiel. Erreicht werden sollen nicht die Passanten am Steindamm. Die Schmierenkomödie wird aufgeführt in erster Linie fürs Netz. Kameraleute von „Muslim Interaktiv“ haben modernstes Equipment, filmen alles und posten die Reden live via Social Media. Dort erreicht die Propaganda Tausende. Der eine oder andere wird sich vermutlich von Boatengs Ideologie anstecken lassen.
Ahmad Mansour, einer der besten Kenner der Islamisten-Szene in Deutschland, hält die „TikTok-Radikalisierung“ für eine große Gefahr. Eine ganz neue Generation von Islamisten sei fast ausschließlich in Sozialen Medien aktiv, warnt er. Der islamistische Influencer Raheem Boateng und „Muslim Interaktiv“ würden via Internet große Massen moslemischer Jugendlicher erreichen. „Und wir sind erst ganz am Anfang dieser Entwicklung“, sagt Mansour zur MOPO.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser: „Schwer erträglich, so etwas mitanzusehen“
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) reagiert auf die Islamisten-Demo von Samstag mit Empörung. „Eine solche Islamisten-Demonstration auf unseren Straßen zu sehen, ist schwer erträglich. Es ist gut, dass die Hamburger Polizei mit einem Großaufgebot Straftaten entgegengewirkt hat“, sagt sie dem „Tagesspiegel“. Die roten Linien seien klar: „Keine Terrorpropaganda für die Hamas, keine Hassparolen gegen Jüdinnen und Juden, keine Gewalt. Wenn es zu solchen Straftaten kommt, muss es ein sofortiges, hartes Einschreiten bei Demonstrationen geben.“
Faeser warnt, die Sicherheitsbehörden hätten die islamistische Szene genau im Visier. Nach dem Verbot der Terrororganisation Hamas und der Gruppierung Samidoun würden auch weitere Gruppen beobachtet. „Auch andere Gruppierungen, die emotionalisieren, radikalisieren und neue Islamisten heranziehen wollen, stehen im Fokus unserer Sicherheitsbehörden“, so die Ministerin. Das gelte auch für „Muslim Interaktiv“ aus Hamburg.
SPD-Politiker: „Unsere Werte werden mit Füßen getreten!“
Kazim Abaci, integrationspolitischer Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion, sagt zur MOPO, am Samstag hätten Islamisten in der Hamburger Innenstadt „unsere Grundwerte mit Füßen getreten“. Abaci weiter: „Es zeigt sich: Unsere Freiheit wird nicht nur von Rechtsextremisten, sondern auch von Islamisten angegriffen. Ich erwarte, dass die muslimischen Verbände wie Ditib und Schura sich kritisch äußern – aber leider kommt da nichts, und das irritiert mich.“
Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) fordert schon seit November das Verbot von „Muslim Interaktiv“ und vergleichbarer Gruppen wie „Realität Islam“ und „Generation Islam“. Nun findet auch SPD-Mann Abaci, dass ein solches Verbot ernsthaft geprüft werden müsse. Abaci gibt aber zu bedenken, dass Verbote keine Probleme lösen. „Gegen die Radikalisierung moslemischer Jugendlicher muss auch präventiv gearbeitet werden.“
Islamisten-Demo Thema auch im Bundestag: „Land so schnell wie möglich verlassen“
Auch im Bundestag war die Demo Thema. So sagte FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle der „Welt“: „Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Deutschland gefährdet, kann ausgewiesen werden.“ Wer bei einer Demonstration die Abschaffung von Grundrechten wie der Pressefreiheit fordere, erfülle diese Voraussetzung, sagte Kuhle weiter. Wenn möglich, müssten die zuständigen Behörden eine solche Ausweisung auf den Weg bringen.
Das könnte Sie auch interessieren: Islamismus: Wie gefährlich ist die „TikTok-Radikalisierung“ für Deutschland?
Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm (CDU), nannte die Demonstration eine „Schande“. Wer gegen Deutschland als angebliche „Wertediktatur“ hetze und nach einem Kalifat rufe, „der hat bei uns nichts zu suchen und muss das Land so schnell wie möglich verlassen“.