Bürgergeld-Streit: „Wir brauchen Sanktionen wie Strafzettel: schnell und konsequent“
Das Bürgergeld wird so hoch, da lohnt es sich gar nicht mehr, arbeiten zu gehen – so die Kritik nicht nur von CDU-Chef Friedrich Merz. Ein Arbeitsvermittler der Agentur für Arbeit in Hamburg hält dagegen: „Wer beim Bürgergeld nur über die Höhe diskutiert, übersieht das Wichtigste.“ Die MOPO sprach mit dem Insider über schnelle und gerechte Sanktionen, unerreichbare Jugendliche, leere Kühlschränke, unsinnige Maßnahmen – und wie es deutlich besser gehen könnte.
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Das Bürgergeld wird so hoch, da lohnt es sich gar nicht mehr, arbeiten zu gehen – so die Kritik nicht nur von CDU-Chef Friedrich Merz. Ein Arbeitsvermittler der Agentur für Arbeit in Hamburg hält dagegen: „Wer beim Bürgergeld nur über die Höhe diskutiert, übersieht das Wichtigste.“ Die MOPO sprach mit dem Insider über schnelle und gerechte Sanktionen, unerreichbare Jugendliche, leere Kühlschränke, unsinnige Maßnahmen – und wie es deutlich besser gehen könnte.
Seit vielen Jahren arbeitet der Gesprächspartner bei der Jugendberufsagentur Hamburg, vermittelt junge Menschen unter 25 Jahren in Jobs und Ausbildungsmaßnahmen – wenn sie denn ihre Termine wahrnehmen. Er bittet um Anonymität, weil er grundsätzliche Kritik an den Vorschriften für Job-Vermittler übt: „Das Bürgergeld ist nur ein anderer Stempel auf dem selben System.“ Das Bürgergeld soll 502 Euro für Einzelpersonen betragen, die ersten zwei Jahre sollen Mietkosten in unbegrenzter Höhe übernommen werden, ebenso lange bleiben Vermögen bis zu 60.000 Euro unangetastet. Sechs Monate lang soll es keine Sanktionen geben. Der Hamburger Arbeitsvermittler nennt fünf Punkte, die aus seiner Sicht bei der Reform dringend hätten geändert werden müssten.
1. Schnelle und gerechte Sanktionen
„Jetzt ist es so: Jemand erscheint nicht zum Termin bei mir, ich schreibe einen Brief und die Person hat drei Wochen Zeit zu antworten, ob es einen wichtigen Grund gab, oder ob die Sanktionen eine besondere Härte wären. Dann antwortet der nicht, die Sache geht zur Leistungsabteilung und die machen dann einen Sanktionsbescheid. Zwei Monate nach dem Fehlverhalten ist dann weniger Geld auf dem Konto. Mein Wunsch wäre es, wir könnten sofort einen Zahlungsbeleg ausdrucken, wie beim Falschparken: Zum Beispiel 40 Euro fürs Nichterscheinen, 100 Euro fürs Nicht-Bewerben oder den eigenmächtigen Abbruch einer Maßnahme. Eine schnelle Konsequenz, die zwei Tage später im Briefkasten liegt. Das ist besonders bei jungen Menschen wichtig. Und: Diese Sanktionen müssen für alle Leistungsempfänger gelten, auch die, die nur Mietzuschüsse bekommen. Wenn ein junger Mensch in Bedarfsgemeinschaft mit seinen Eltern wohnt und nur Mietzuschuss bekommt, wird er gar nicht sanktioniert, auch wenn er null Mitwirkung zeigt. Das ist doch nicht gerecht. Wir haben gute Maßnahmen im Angebot, aber wir können unsere Arbeit nur machen, wenn die Leute ihre Termine wahrnehmen.“
2. Schluss mit der Bedarfsgemeinschaft mit den Eltern
„Bis zum 25. Lebensjahr müssen junge Menschen ohne eigenes Einkommen in der Bedarfsgemeinschaft der Eltern mitgeführt werden. Nun sind viele dieser Familie aber extrem konfliktbeladen, die Wohnverhältnisse beengt. Die Folge: Die jungen Menschen entziehen sich, werden Cochsurfer, schlafen bei wechselnden Kumpels, bekommen unsere Post nicht, werden sanktioniert, was sie wieder nicht mitbekommen. Die sind nicht mehr greifbar für uns. Und viele der jungen Menschen, die bei mir sitzen, wissen gar nicht, was sie bekommen, weil das Geld für die Bedarfsgemeinschaft auf das Konto der Eltern geht. Besser für die Selbstständigkeit wäre es, wenn die Bedarfsgemeinschaft mit den Eltern eine Kann-Regel würde.“
3. Einfache Schnellverfahren für Soforthilfe
„Wenn Bauch und Kühlschrank leer sind, sollte eine vorläufige Sofortbewilligung für erstmal einen Monat erfolgen können. Dann können weitere Prüfungen erfolgen. So hätten die Leute erstmal Ruhe, um sich um alles andere zu kümmern. Derzeit sind die Kollegen in der Leistungsabteilung aber so belastet, dass Anträge auch mal vier bis sechs Wochen dort liegen. In dieser Zeit können wir von der Arbeitsvermittlung mit den Leuten kaum etwas anfangen, weil die gar keinen Kopf dafür haben. Die wissen ja oft nicht einmal, wie sie das Ticket bezahlen sollen, um ihren Termin bei uns wahrzunehmen. Das war mit dem 9-Euro-Ticket übrigens spürbar seltener der Fall.“
4. Unterstützung auch im ersten Monat im Job
„Wer etwa ab dem 1. Januar einen Job hat, bekommt im Dezember das letzte Geld vom Jobcenter. Das erste Gehalt kommt aber erst Ende Januar, das ist für Menschen ohne Rücklagen ein echtes Problem. Die können zwar ein Darlehen beantragen, das machen viele aber nicht, gerade junge Menschen sind von erstem Job plus solchen Anträgen überfordert. Es wäre einfacher, wenn das automatisch ginge und diese Zahlung dann monatsweise zurückgezahlt würde.“
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5. Mehr echte Jobs statt immer mehr Maßnahmen
„Statt dass wir vom Jobcenter einer 18-Jährigen eine achtmonatige Maßnahme im Bereich Kosmetik finanzieren, wäre es ja viel sinnvoller, die Berufsberater in der Agentur für Arbeit würden sie in eine dreijährige Berufsausbildung zur Kosmetikerin vermitteln. Sich einem Bewerbungsprozess auszusetzen, das ist für viele unserer jungen Kunden aber schon eine riesige Hürde, die wollen lieber in eine Maßnahme, was auch oft sinnvoll ist. Viele der jungen Menschen müssen tatsächlich erst einmal an ein regelmäßiges Leben herangeführt werden. Da gibt es auch Ängste, Frust und Sprachhürden. Und die Bildungsträger haben natürlich auch Interesse daran, ihre Qualifizierungsmaßnahmen voll zu kriegen. Das grundsätzliche Problem ist aber ein anderes: Es fehlen die Arbeitgeber, die überhaupt bereit sind, junge Menschen mit schwierigen Lebensläufen einzustellen.“