Hamburger in Russland gestrandet: Protest, Propaganda und Putins Wahnsinn
Alexander M. (50) ist Russe, lebt seit 27 Jahren in Hamburg und ist buchstäblich am Vorabend des Krieges zum Familienbesuch in seine Heimatstadt St. Petersburg geflogen. Am Telefon schildert er der MOPO, wie er und seine Freunde seit Putins Überfall auf die Ukraine unter Schock stehen, wer die mutigen Menschen auf den verbotenen Demonstrationen sind und was die Fluggesellschaft ihm geschrieben hat.
Hörbar angespannt klingt M., als wir ihn erreichen: „Ich bin am 23. Februar von Hamburg nach St. Petersburg geflogen, weil mein Vater ins Krankenhaus muss. Am Morgen des 24. bekam ich eine WhatsApp von einem Freund, dass Krieg ist. Ich konnte es erst gar nicht fassen. Ich war bis zuletzt sicher, dass Putin blufft.“
Russen fragen sich: „Ist Putin geisteskrank?“
Seit jenem Morgen, sagt er, komme er sich vor „wie auf der Titanic“: „Meine Familie, meine Freunde und ich sind am Boden zerstört. Wir sehen, wie Russland untergeht und können nichts machen.“ Das, so betont er, sei aber die Sichtweise der „kleinen Blase von Regimegegnern“, in der er sich bewege: „Es gibt viele Russen, die sich ernsthaft fragen, ob Putin geisteskrank ist. Aber die sind eine Minderheit. Die große Mehrheit glaubt, Putin hatte keine andere Wahl.“
- Deutsch (Deutschland)
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Alexander M. (50) ist Russe, lebt seit 27 Jahren in Hamburg und ist buchstäblich am Vorabend des Krieges zum Familienbesuch in seine Heimatstadt St. Petersburg geflogen. Am Telefon schildert er der MOPO, wie er und seine Freunde seit Putins Überfall auf die Ukraine unter Schock stehen, wer die mutigen Menschen auf den verbotenen Demonstrationen sind und was die Fluggesellschaft ihm geschrieben hat.
Hörbar angespannt klingt M., als wir ihn erreichen: „Ich bin am 23. Februar von Hamburg nach St. Petersburg geflogen, weil mein Vater ins Krankenhaus muss. Am Morgen des 24. bekam ich eine WhatsApp von einem Freund, dass Krieg ist. Ich konnte es erst gar nicht fassen. Ich war bis zuletzt sicher, dass Putin blufft.“
Russen fragen sich: „Ist Putin geisteskrank?“
Seit jenem Morgen, sagt er, komme er sich vor „wie auf der Titanic“: „Meine Familie, meine Freunde und ich sind am Boden zerstört. Wir sehen, wie Russland untergeht und können nichts machen.“ Das, so betont er, sei aber die Sichtweise der „kleinen Blase von Regimegegnern“, in der er sich bewege: „Es gibt viele Russen, die sich ernsthaft fragen, ob Putin geisteskrank ist. Aber die sind eine Minderheit. Die große Mehrheit glaubt, Putin hatte keine andere Wahl.“
Schuld daran sei jahrelange Propaganda der Staatsmedien: „Jede Oma auf der Straße wird Ihnen erklären, dass die Ukraine seit 2014 von Nazis beherrscht wird, dass unsere Armee nur militärische Ziele angreift und es keine zivilen Opfer gibt.“ Journalisten, die das Wort „Krieg“ verwenden, drohen neuerdings bis zu 15 Jahre Gefängnis wegen der Verbreitung von „Fake News“ und Hochverrat. Der Kreml erlaubt einzig den Ausdruck „militärische Operation“.
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Alexander M. arbeitet in Hamburg bei einer Firma, die Untertitel für Filme produziert. Vor der Pandemie war er 20 Jahre lang Teil des „Datscha-Projekts“, das in Hamburg legendäre Partys mit osteuropäischer Musik, Konzerte russischer Bands und Filmfestivals veranstaltete.
Hamburgs Partnerstadt: Proteste in St. Petersburg
Statt sich wie geplant eine Woche lang um seine Eltern zu kümmern und dann zurück zu fliegen, nimmt er nun an den täglichen Demonstrationen teil, die in Sankt Petersburg stattfinden – und die von der Polizei brutal zerschlagen werden.
„Die Teilnehmer informieren sich über sekündlich aktualisierte Telegram-Gruppen, wo die Sicherheitskräfte gerade befinden“, sagt er: „Mit Glück ziehen die Menschen dann mehrere Kilometer durch die Stadt.“ Was ihm auffalle: „Die Demonstranten sind sehr jung. Das sind Studenten. Meine Freunde und ich sind meistens die ältesten und ich frage mich, wo meine Generation ist.“
Demonstranten in St. Petersburg rufen: „Nein zum Krieg!“
Die Slogans der Protestler: „Finger weg von der Ukraine! Nein zum Krieg! Russland ist gegen den Krieg! Die Ukraine ist kein Feind!“ Die jungen Männer und Frauen beweisen Mut, es kommt. zu massenhaften Verhaftungen. In Hamburgs Partnerstadt wurden alleine am ersten Tag der Proteste rund 450 Menschen verhaftet, darunter auch Schüler: „Die Sicherheitskräfte schnappen sich einzelne Personen“, schildert Alexander M.: „Das sind nicht diejenigen, die etwa besonders laut gerufen haben, oder die vorne gehen. Es kann jeden treffen, dass er plötzlich aus der Menge gezogen wird.“
Er sei trotzdem hingegangen: „Wir riskieren, dass wir auf die Schnauze bekommen, oder 15 Tage ins Gefängnis müssen. Aber die Menschen in der Ukraine riskieren, getötet zu werden.“
Dann erklärt er den Unterschied zwischen Russland und dem Westen aus seiner Sicht: „In der russischen Gesellschaft hat ein Menschenleben nicht diese Bedeutung, die es im Westen hat. Soldaten sind Kanonenfutter und das gibt Tyrannen wie Putin einen Riesenvorteil, weil der Westen solche Opfer nicht bringen wird.“
Sein Rückflug wurde inzwischen gecancelt. Die Fluggesellschaft schrieb eine dünne E-Mail:„Ich soll mich selbst um meine Rückreise kümmern.“ Alexander M. versucht nun, mit dem Bus nach Helsinki zu gelangen und von dort nach Hamburg zu fliegen.