Hamburger Historiker kritisiert MSC-Deal: „Das ist Monopolbildung mit Staatshilfe“
Am Donnerstag läuft die letzte Frist zum Verkauf der HHLA-Aktien aus Streubesitz aus. Dann erst ist klar, ob der umstrittene Teilverkauf des Hamburger Hafens an die Schweizer Reederei MSC geklappt hat. Der Historiker Dr. Jürgen Bönig gehört zu den schärfsten Kritikern des Deals. Der ehemalige Kurator am Museum der Arbeit weiß, nach welchen Grundprinzipien die Hamburger Pfeffersäcke seit Jahrhunderten handelten – und warum der Deal deshalb aus seiner Sicht ein „abenteuerlicher“ Bruch mit Hamburger Traditionen ist.
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Am Donnerstag läuft die letzte Frist zum Verkauf der HHLA-Aktien aus Streubesitz aus. Dann erst ist klar, ob der umstrittene Teilverkauf des Hamburger Hafens an die Schweizer Reederei MSC geklappt hat. Der Historiker Dr. Jürgen Bönig gehört zu den schärfsten Kritikern des Deals. Der ehemalige Kurator am Museum der Arbeit weiß, nach welchen Grundprinzipien die Hamburger Pfeffersäcke seit Jahrhunderten handelten – und warum der Deal deshalb aus seiner Sicht ein „abenteuerlicher“ Bruch mit Hamburger Traditionen ist.
Herr Bönig, in welcher Weise verletzen die Pläne zum Teilverkauf der Hamburger Hafen und Logistik AG die lokale Wirtschaftstraditionen?
Als die Speicherstadt gebaut wurde, wussten die Kaufleute, dass sie sich gegenseitig nicht trauen durften. Es war ihnen klar, dass die Kontrolle über die Hafenanlagen zu Kämpfen führen würde. Dass sie sich gegenseitig Konkurrenz machen würden und jeder versuchen würde, den anderen auszustechen. Deshalb haben sie beschlossen, dass eine Gleichbehandlung nur stattfinden kann, wenn der Grund und Boden im Hafen der Stadt gehört. Seitdem galt: Die Stadt gestaltet, die Stadt baut. Alle werden gleichmäßig bedient. Das war eine weise Entscheidung.
Aber nun kommt nicht mehr genug Ladung nach Hamburg. Und MSC garantiert den Umschlag von einer Million Standardcontainern pro Jahr in Hamburg.
MSC hat kein Interesse an einer Vielfalt im Hamburger Hafen. Dieses Schweizer Unternehmen ist kein gutmütiger alter Mann, sondern ein hungriger Dinosaurier mit knallhartem Konkurrenzdenken. Über die Familie Aponte weiß man weniger als über René Benko, und trotzdem will die Stadt ihr den Hafen anvertrauen.
Worin besteht die Gefahr?
Die Übergabe des Hafens an eine einzige Reederei stellt eine Monopolbildung mit Staatshilfe dar. Das ist im Hinblick auf den Wettbewerb abenteuerlich! MSC wird die Konkurrenten vertreiben. Die Reedereien, die hier zu Hause sind oder schon lange ihren Sitz haben, fühlen sich durch diesen Deal vor den Kopf gestoßen. Ihnen wurde bedeutet: Ihr seid hier nicht erwünscht. Sie werden künftig in anderen Häfen anlegen und den Umschlag in Hamburg weiter reduzieren. Es ist absehbar, dass der Containerumschlag noch weiter sinken wird.
Die Stadt behält doch die Mehrheit, wenn auch nur minimal. Warum fürchten Sie die Allmacht von MSC?
Das primäre Interesse von MSC sind doch gar nicht Hafenanlagen, sondern das Hinterlandgeschäft. Die Bahngesellschaft Metrans ist Teil des Deals. MSC gewinnt damit die Kontrolle über einen Großteil der Warenströme in Europa – vom Hamburger Hafen bis nach Triest. Darüber hinaus legt künftig eine Reederei die Preise für den Umschlag fest. Sie wird die Preise sicherlich niedrig halten. Und wird dann von den niedrigen Preisen als Reederei profitieren, die anderen Reedereien fernhalten. Wenn die HHLA dabei Verluste macht, muss die Grundbesitzsparte mit den S-Aktien des Pakets für den Ausgleich sorgen – also die HHLA-Immobilien in der HafenCity. Und wenn selbst das nicht reicht, steht Hamburg gerade für alle Verluste der S-Sparte. Ich kann nicht erkennen, was daran gut für Hamburg sein soll.
Der Senat betont immer, dass der Teilverkauf auch der Sicherung von Arbeitsplätzen diene.
Ich kann ja verstehen, wenn man sich verschiedene Geldgeber sucht. Aber nicht, dass man sich an an eine Familie bindet, von der man nicht einmal weiß, woher ihr Geld stammt und deren Hintergründe unklar bis dubios sind. Warum sollte man Leuten vertrauen, die Steuern hinterziehen? Das ist unmoralisch!
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Im Vorvertrag zum HHLA-Teilverkauf steht, man ,beabsichtige, die Rechte der Arbeitnehmer zu respektieren‘. Das ist absichtlich so unverbindlich formuliert. Warum steht da nicht konkret drin, dass man die Tarifverträge schützt? Warum wird bei den Arbeitnehmerrechten von einem Zeithorizont von nur fünf Jahren gesprochen? Klar ist: Der Containerumschlag ist ein Prozess, in dem die Automatisierung voranschreitet. Hier wird also nicht für Beschäftigung in Hamburg gesorgt, sondern für das Gegenteil: Der Stadt wird ein wirtschaftlicher Schaden zugefügt.
Die Automatisierung findet aber auch ohne MSC statt.
Das Problem ist, dass Hamburg mit MSC eine Partnerschaft für 40 Jahre eingehen will. Das ist so, als hätte man 1983 einen bindenden Vertrag mit einer Firma für elektrische Schreibmaschinen für die Hamburger Verwaltung abgeschlossen. Es ist völlig unklar, wie sich die Transportwege in Zukunft entwickeln werden und welche Entwicklungen die Schifffahrt nehmen wird. Hamburg hat eine Neigung, Abkommen mit Bankrotteuren zu schließen. Der Senat sollte aus dem Benko-Fiasko lernen, statt den nächsten Fehler zu begehen.
In ihrer Rede bei der Demo der Hafenarbeiter auf dem Rathausmarkt haben Sie auch das Zustandekommen des geplanten Teilverkaufs, in den nicht einmal der HHLA-Vorstand eingeweiht war, kritisiert. Worin sehen Sie die Schwierigkeit?
Mir ist völlig unerfindlich, wie dieser in wochenlangen Geheimverhandlungen ausgetüftelte Teilverkauf kartellrechtlich funktionieren soll. Die Frage ist doch, was das überhaupt für ein Vergabeverfahren war. Jede Würstchenbude erfordert ein europäisches Ausschreibungsverfahren. Keine andere Reederei hatte eine Chance. Und wie schon beim Einstieg der Chinesen am Terminal Tollerort wurde die Bundesregierung nicht einbezogen. Dabei geht es hier genauso um nationalstaatlich kritische Infrastruktur.
Was wäre aus Ihrer Sicht die bessere Alternative?
Die letzte Elbvertiefung hat sich längst als politische Dummheit herausgestellt. Jetzt mussten die Arbeiten auch noch wegen der Munitionsaltbestände gestoppt werden. Sinnvoll wäre eine nationale Hafenstrategie, welche ein Konzept für die norddeutschen Häfen zusammen entwickelt und die Großschiffe beispielsweise im Tiefseehafen Wilhelmshaven anlegen lässt. Experten raten schon lange dazu. Doch das provinzielle Denken scheint immer noch stärker. Selbst in einer Stadt, die sich das Tor zur Welt nennt.