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Kai-Uwe Helmers
  • Hausarzt Kai-Uwe Helmers geht hart mit der Stiko ins Gericht.
  • Foto: Florian Quandt

Hamburger Hausarzt fassungslos: „Stiko ist mit schuld an schlechter Impfquote“

Kai-Uwe Helmers ist Hausarzt in Ottensen, betreibt eine akademische Lehrpraxis und versorgt seine Patienten derzeit bereits mit Booster-Impfungen. Die MOPO sprach mit dem Mediziner über die Langsamkeit der Stiko, was Jens Spahn richtig gut gemacht hat und warum er und viele Kollegen derzeit so fassungslos auf die Impflage in Deutschland blicken.

Herr Helmers, die Ständige Impfkommission Stiko empfiehlt die Booster-Impfung derzeit nur für Menschen über 70 und Vorerkrankte. Wie sehen Sie das?

Die Stiko ist viel zu langsam. Noch mehr: Die Stiko ist mitverantwortlich für die schlechte Impfquote. Die haben einen schlechten Job gemacht. Deren Empfehlungen kommen immer zu spät, das kostet viele Menschen die Gesundheit. Bei den Schwangeren waren sie viel zu spät, ebenso bei den Kindern und jetzt beim Boostern. Die Stiko ist permanent dabei, die Menschen zu verunsichern und die Impfbereitschaft zu bremsen. Wenn man dann so eine phlemagtische Hausarzt-Praxis hat, die streng nach Stiko in der Woche zwanzig Leute impft und die nächsten freien Termine im Februar anbietet, dann muss man sich nicht wundern über die Quote. Wie Herr Drosten sagt: Die Pandemie ist jetzt, jetzt müssen wir die Menschen impfen.

Wie halten Sie das in Ihrer Praxis?

Wir orientieren uns nicht an der Stiko, sondern an den Empfehlungen der Gesundheitsminister und boostern alle Patienten, die wir vor sechs Monaten geimpft haben, unabhängig von Alter, Beruf, Vorerkrankungen. Allerdings nur, wenn sie Patienten unserer Praxis sind, damit sind wir vollkommen ausgelastet.

Hamburger Arzt: „Stiko mitverantwortlich für schlechte Impfquote“

Das kann jeder Hausarzt selbst entscheiden?

Das hat Jens Spahn der Ärzteschaft freigestellt. Der ist zwar zu Recht der unbeliebteste Politiker, aber dass er uns Ärzte unabhängig gemacht hat von der Stiko, das war gut. Es ging dabei vorrangig um Haftungsfragen, die der Staat übernommen hat. Ich habe auch Schwangere geimpft, sobald der Leiter der UKE-Intensivmedizin, Professor Kluge, dazu aufgerufen hat. Das war im Mai, als mehrere Schwangere ohne Vorerkrankungen im UKE auf Intensiv lagen, da haben wir mit unserer Praxis auch nicht auf die Stiko gewartet.


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Können die Hausärzte das Boostern denn wuppen, wenn die Stiko es einmal für alle freigibt?

Ich glaube nicht. Im Mai, Juni, Juli hatten wir in den Impfzentren teilweise eine Million Impfungen am Tag, das können die Hausarztpraxen nicht auffangen, diese Mengen an Patienten zu boostern. Dafür brauchen wir Impfzentren, und zwar dezentral in den Bezirken, sieben Tage pro Woche geöffnet, täglich zwölf Stunden, jeder kann ohne Termin zum Boostern hin. Das würde was bringen.

Gibt es genügend Impfstoff?

Was uns vermittelt wird ist: Es ist genügend Impfstoff da. Ist ja auch verständlich: Wir haben 15 Millionen Erwachsene, die sich nicht haben impfen lassen, das macht 30 Millionen Impfdosen, die eingeplant waren und nicht genutzt wurden.

Hamburger Hausarzt: „Booster-Impfung entscheidend, um vierte Welle zu brechen“

Es gibt ja Stimmen, die diese Dosen ärmeren Ländern zur Verfügung stellen wollen.

Das darf man nicht gegeneinander ausspielen. Die Booster-Impfung ist entscheidend, um die Welle zu brechen. Gleichzeitig müssten Patente freigegeben und die Technik exportiert werden.

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Kommen bei Ihnen noch Patienten für Erstimpfungen?

Selten, aber über die freuen wir uns am allermeisten.

Was sagen diese Menschen, warum sie erst jetzt kommen?

Das sind alle keine ideologisch verbohrten Impfgegner. Eine Patientin etwa hatte eine hohe Sprachbarriere, da fehlte ganz massiv die Aufklärung in ihrer Muttersprache. Ein anderer, ein junger Mann, dem war der Ernst der Lage nicht klar. Mit dem habe ich sehr ernst gesprochen und gefragt, ob er sich nicht einen anderen Hausarzt suchen will. Und plötzlich hat er sich doch impfen lassen. Eine dritte kam, weil sie die Tests nicht selber bezahlen wollte.

Hamburger Arzt über Ungeimpfte: „Es macht mich fassungslos“

Haben Sie Hoffnung, dass viele Ungeimpften sich noch umstimmen lassen?

Wenn ich lese, dass 66 Prozent der Ungeimpften AfD und „Die Basis“ wählen, dann sage ich: Die sind verloren. Ich halte eine Impfpflicht für angemessen, als Pilotprojekt könnte man sie sofort in pflegerischen und pädagogischen Berufen einführen.

All die Appelle, Anreize und Strafen und trotzdem lassen sich Millionen Deutsche nicht impfen. Verzweifelt man als Arzt da nicht allmählich?

Ja, schon. Es macht mich und viele Kollegen und Kolleginnen fassungslos. Für diese Minderheit so ein Bohei zu machen, das ist ein Wahnsinn. Fassungslos macht mich aber auch, dass wir eine vierte Welle erleben und die zukünftige Bundesregierung will die epidemiologische Notlage aufheben. Diese Welle wäre politisch zu verhindern gewesen, aber wegen der Bundestagswahl haben die Politiker ihre Verantwortung nicht wahrgenommen.

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