AfD-Gast im Rathaus nennt Journalisten „infame Mistvögel“ – sein Publikum klatscht
Mit einem Großaufgebot hat die Polizei am Donnerstagabend das Hamburger Rathaus abgeriegelt. Anhänger der linken Szene demonstrierten lautstark auf dem Jungfernstieg, zwischenzeitlich durchbrach ein Mann die Absperrung. Der Grund: Im Rathaus versuchte die Hamburger AfD, die Enthüllungen des Medienhauses „Correctiv“ über das Treffen von Rechtsextremen in Potsdam zu diskreditieren. Teilnehmer und CDU-Mann Ulrich Vosgerau berichtete, was seiner Meinung nach „wirklich“ passiert ist. Das Interesse war groß. Was dann folgte, war eine skurrile Rechtfertigungsshow von Vosgerau.
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Mit einem Großaufgebot hat die Polizei am Donnerstagabend das Hamburger Rathaus abgeriegelt. Anhänger der linken Szene demonstrierten lautstark auf dem Jungfernstieg, zwischenzeitlich durchbrach ein Mann die Absperrung. Der Grund: Im Rathaus versuchte die Hamburger AfD, die Enthüllungen des Medienhauses „Correctiv“ über das Treffen von Rechtsextremen in Potsdam zu diskreditieren. Teilnehmer und CDU-Mann Ulrich Vosgerau berichtete, was seiner Meinung nach „wirklich“ passiert ist. Das Interesse war groß. Was dann folgte, war eine skurrile Rechtfertigungsshow von Vosgerau.
Etwa 500 Gäste, die meisten älteren Semesters, sind im großen Saal des Rathauses zusammengekommen. Auf dem AfD-Podium: Der stellvertretende AfD-Landeschef Krzystof Walczak, der stellvertretende Fraktionschef Alexander Wolf und Ulrich Vosgerau.
Vosgerau gibt sich unwissend
Dass der Jurist Vosgerau eigentlich CDU-Mitglied ist, stört offenbar niemanden. Im November hatte er am geheimen Potsdam-Treffen teilgenommen, bei dem unter anderem Martin Sellner, langjähriger Kopf der rechten „Identitären Bewegung“, sowie mehrere AfD-Politiker, zwei CDU-Mitglieder und Mitglieder der konservativen Werteunion anwesend waren.
„Ich war dabei“, sagt Rechtsanwalt Vosgerau eingangs. Und gibt sich naiv: Zwar habe er genau gewusst, wer Martin Sellner sei, sagt er über seine Zusammenkunft mit dem Rechtsextremen. Behauptet dann aber: „Ich wusste nicht genau, was diese Identitäre Bewegung ist.“
Das Treffen in Potsdam nennt er eine „private Unternehmensrunde, die einer Buchvorstellung zugehört hat“. An anderer Stelle vergleicht er das Treffen mit einer privaten Geburtstagsparty, wo man eben auch zufällig Leute treffe.
Potsdam-Treffen: Sellner spricht von „Remigration“
Was bei dem Treffen beraten wurde, ist alles andere als harmlos: Laut „Correctiv“ ging es darum, wie man Menschen aus rassistischen Gründen aus Deutschland vertreiben kann. Das Ganze unter dem Titel „Remigration“. „Correctiv“ war Undercover vor Ort, filmte verdeckt, beobachtete, wer an- und abreiste.
In der Tat habe Sellner über das gesprochen, was er „Remigration“ nennt, so Vosgerau. Da habe er aber nicht so genau gewusst, was darunter zu verstehen sei. „Vielleicht sagt man das mehr in Österreich“, so Vosgerau. Dabei ist das Wort längst als Kampfbegriff der rechten Szene bekannt.
Über seine eigenen Vortrag bei dem Treffen spricht Vosgerau an diesem Abend lieber weniger. Er fühle sich aber nicht korrekt wiedergegeben. Vor dem Amtsgericht Hamburg beantragte er daher eine einstweilige Verfügung gegen mehrere Passagen aus dem „Correctiv“-Bericht, in denen er zitiert wird. Das Gericht gab ihm am Ende in einem von drei Punkten recht.
Den Kern der „Correctiv“-Recherche konnte Vosgerau mit der Klage nicht angreifen. Der CDUler rechtfertig es am Abend damit, dass „Correctiv“ bewusst nur wenige Tatsachenbehauptungen aufgestellt habe, gegen die man juristisch nicht vorgehen könne.
Hamburgs AfD: Distanzierung sieht anders aus
Abschließend streut er noch ein paar Verschwörungstheorien ein: Womöglich sei „Correctiv“ von der Regierung gesteuert. Nennt die Journalisten an anderer Stelle „infame Mistvögel“. Und schießt gegen die sogenannten „Mainstream-Medien“. Lob bekommen von ihm vor allem Portale, die unter Rechten und Verschwörungstheoretikern beliebt sind: „Junge Freiheit“, „Nius“ und „Reitschuster“. Und sein Publikum? Ist überzeugt, dass die Enthüllungen über die rechten Fantasien nur eine aufgeblasene Masche der Regierung seien. Teilweise gibt es stehende Ovationen.
Die Veranstaltung der Hamburger AfD verwundert. Hatte sich AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann im MOPO-Interview Anfang Januar doch noch versucht, von den Teilnehmern in Potsdam zu distanzieren: „Das Treffen in Potsdam war nicht von der AfD organisiert, sondern eine rein private Veranstaltung. Jeder, der an diesem Treffen teilgenommen hat, hat in meinen Augen ohne Sinn und Verstand agiert.“
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Nockemann selbst stößt an diesem Abend erst kurz vor Ende der Veranstaltung auf dem Podium dazu – es heißt, er sei in einer Sitzung gewesen. „Dass ich später gekommen bin, hatte einen bestimmten Grund – Geheimverhandlungen“, sagt er verschmitzt.
Am Ende bleibt die Frage, warum die Fraktion einem Potsdam-Teilnehmer bereitwillig eine Bühne bietet, damit er sich zu einer ganz „privaten Veranstaltung“ ohne „Nachrichtenwert“ erklären kann. Von Distanzierung war am Donnerstagabend im Rathaus nichts mehr zu hören. Ganz im Gegenteil.