Hamburger Experte: Eine Stadt für Autos funktioniert nicht mehr
Verkehr in Hamburg – das bedeutete über Jahrzehnte: Vorfahrt für Autos. Quartiere und Straßen wurden auf Pkws ausgerichtet. Das Nachsehen hatten Radfahrer und vor allem Fußgänger, die bei der Verkehrsplanung häufig sogar ganz vergessen wurden. Das will der Senat mit seinem neu gegründeten Bündnis für den Rad- und Fußverkehr endlich ändern.
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Verkehr in Hamburg – das bedeutete über Jahrzehnte: Vorfahrt für Autos. Quartiere und Straßen wurden auf Pkws ausgerichtet. Das Nachsehen hatten Radfahrer und vor allem Fußgänger, die bei der Verkehrsplanung häufig sogar ganz vergessen wurden. Das will der Senat mit seinem neu gegründeten Bündnis für den Rad- und Fußverkehr endlich ändern. Im MOPO-Interview erklärt der Architekt Lars Zimmermann von „Cities for Future“, wie die bisherige Straßen-Hierarchie einmal komplett umgekrempelt werden muss – und warum es Zeit wird, dass Hamburg endlich aus seiner „Selbstzufriedenheit“ rauskommt.
MOPO: Herr Zimmermann, wie kann der Straßenraum auch für Fußgänger endlich sicherer und komfortabler gestaltet werden?
Lars Zimmermann: Ich habe lange Zeit in den Niederlanden gelebt und bin ein großer Fan von durchgängiger Pflasterung. Das bedeutet, dass der Fußweg nicht an der Straße aufhört, sondern weiterläuft. Die Autos aus den Seitenstraßen müssen so über den Fußweg fahren und bremsen automatisch ab. Am Hamburger Ballindamm ist das zum Beispiel schon Realität und es funktioniert.
Das heißt es gilt nicht mehr „Achtung, Auto!“, sondern „Achtung, Fußgänger!“
Es bedeutet vor allem eine klare Abwendung von unserer derzeitigen Autozentriertheit hin zu den schwächsten Verkehrsteilnehmern. Das sind Fußgänger, danach kommen die Radfahrer, dann der ÖPNV und am Schluss erst das Auto. Das wäre gleichzeitig eine fundamentale Umkehrung unserer Straßenverkehrsordnung, die ihre Priorität doch hauptsächlich auf die Flüssigkeit des Verkehrs legt.
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Wie könnte eine Verschiebung der Prioritäten aussehen?
Indem man es einfach mal macht! Zunächst müssen natürlich die geltenden Gesetze stärker durchgesetzt werden. Zu oft sieht man noch falsch parkende Autofahrer auf Rad- und Fußwegen, die so alle Verkehrsteilnehmer gefährden. Aus baulicher Sicht müssen Fußgänger in Hamburg viel breitere Wege und Aufenthaltsflächen bekommen. Das steigert die Lebensqualität in der Großstadt enorm. Das wird aber erst passieren, wenn wir die erwähnte Hierarchie von Grund auf umdrehen.
Klingt ja erstmal gut. Aber was muss dafür genau passieren?
Die Stadt muss viel mehr temporäre Lösungen für Fußgänger und Radfahrer testen. Dann sieht man: Was funktioniert und was eben nicht? Hamburg plant immer großzügig, lange und endgültig. Alles soll dann perfekt sein. Das hält die Politik aber davon ab, auch einfach mal etwas auszuprobieren.
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Also fordern Sie etwas mehr Mut in der Politik…
Mir fehlt in Hamburg noch ein gewisser Elan, die Stadt wirklich zukunftsfähig umzubauen. Hamburg wirkt immer sehr selbstzufrieden und gesättigt. Wir müssen aber mal öfter über den Tellerrand schauen. Paris ist da ein sehr gutes Vorbild und zeigt, wie eine autozentrierte Stadt zu mehr Lebensqualität kommen kann. Letztlich muss dazu dem Fuß- und Radverkehr viel mehr Platz gegeben werden. Tatsächlich wird der Fußverkehr aber immer noch stiefmütterlich behandelt, obwohl wir doch jeden Weg zu Fuß beginnen und beenden.
Woher stammt diese Haltung zum Verkehr?
Das kommt noch aus den Ideen der 50er und 60er Jahre, die sich in Beton und Asphalt gegossen haben. Man merkt aber auch heute, wie vehement der Widerstand gegen Veränderung ist. Und das im Jahr 2022, in dem man eigentlich schon längst wissen müsste, dass die autozentrierte Stadt nicht mehr funktioniert. Ab dem Punkt, wo es eine Neuverteilung gibt, gibt es eben Gewinner und Verlierer. Diejenigen, die was zu verlieren haben, werden dann laut und formieren sich.
Können Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer denn überhaupt friedlich co-existieren?
Ja. Interessanterweise sind Fahrradstädte nämlich keine Staustädte und die Zufriedenheit der Autofahrer ist viel höher. Das liegt daran, dass eben nur noch diejenigen mit dem Auto unterwegs sind, die es wirklich müssen – und die Straßen deshalb freier sind.