Grüner, schöner, bunter: So könnte Hamburg ohne Autos aussehen
Viele Hamburger sind genervt von verstopften Straßen und stundenlanger Parkplatzsuche, trotzdem steigt die Zahl der angemeldeten Fahrzeuge jedes Jahr. Warum haben es Visionen von der autofreien Stadt so schwer? Wie zum Beispiel der Platz am Millerntorstadion ohne Autos aussehen könnte, zeigt ein Video, das derzeit viral geht.
Rote Backsteine, das Logo des FC St. Pauli, eine Fahne mit Totenkopf und zwei mit Regenbogenfahnen flattern im Wind: Sieht alles aus wie immer, auf einem kleinen Video, das im Internet gerade viral geht. Es zeigt den Harald-Stender-Platz, den Vorplatz der Südkurve im Millerntorstadion. Dann fliegen auf einmal Autos in den Himmel. Eben parkten sie noch vor dem Stadion. Nun entstehen dort ein Skateplatz, ein grüner Park mit Blumen, ein Basketballplatz. Eine Frau auf einem Skateboard, eine andere auf einem Lastenrad fahren durchs Bild.
Das Video ist vom Hamburger Videokünstler Jan Kamensky. Er zeigt in seinen Werken, wie die Zukunft ohne Autos aussehen könnte und illustriert damit eine Forderung, die immer häufiger erhoben wird: Autos sollen aus der Innenstadt verschwinden.
Auch der Hamburger Senat will den Individualverkehr deutlich reduzieren. Aber ist das wirklich eine gute Idee? Sie birgt auf jeden Fall Konfliktpotenzial. Viele Hamburger wollen die autofreie Innenstadt, am besten sofort! Und haben tolle Ideen dafür. Andere können sich nicht vorstellen, auf das Auto zu verzichten.
Ein anderer Südkurvenvorplatz ist möglich. ☠️#fcsp #fcstpauli #millerntor #FlyingCarMovement @1910eV https://t.co/wfqa8s7oPw
— Jan Kamensky (@jan_kamensky) January 10, 2022
Autofreie Zonen in Hamburg: Ottensen und Eimsbüttel
In Ottensen war bereits Schluss mit der Durchfahrt. Drei Jahre ist das her. Damals tanzten die Menschen auf der Straße, wo früher Autos fuhren. Zentrale Straßen wurden von September 2019 bis Februar 2020 zur Fußgängerzone. „Ottensen macht Platz“ hieß das Projekt. Es zeigte, wie schön autofreie Innenstädte sein können. Doch auch, welche Probleme dabei entstehen: Die Besitzer:innen von Läden klagten über ausbleibende Kunden, Anwohner darüber, so nicht mehr zur Arbeit und zurückzukommen. Das Projekt wurde beendet – vorzeitig. Und zeigt, wie groß der Widerstand gegen autofreie Städte bei vielen Menschen noch ist. Mittlerweile arbeitet der Bezirk an einer Neuauflage des autoarmen Quartiers.
Städte für Menschen nicht für Autos: In Hamburg-Ottensen sind ein paar Straßen für ein halbes Jahr #autofrei
— Marion Tiemann (@_mtiemann) September 2, 2019
• Entspanntes Flanieren
• saubere Luft & Ruhe
• ganz viel Platz
Wetten, dass die Leute den Platz nie mehr für Autos hergeben werden? #OttensenmachtPlatz pic.twitter.com/6G9DBCNePn
Momentan steigt die Zahl der zugelassenen Pkws in Hamburg noch an. Derzeit sind 800.000 Fahrzeuge in der Hansestadt angemeldet. Pro Jahr kommen etwa 10.000 dazu. Der Senat will das ändern. Kern der neuen Verkehrspolitik ist der „Hamburg-Takt“: Überall in der Stadt soll es für jeden möglich sein, innerhalb von 5 Minuten in einen Bus, eine S- oder U-Bahn oder einen Shuttle-Service einsteigen können. Dafür muss massiv ausgebaut werden. Es braucht neue S-Bahn-Strecken, mehr Busse und Bahnen, und neue Mobilitätsangebote wie fahrerlose Kleinbusse, die bereits erprobt werden.
Auch Initiativen machen überall in Hamburg Druck für eine autofreie Stadt. Im Frühjahr schlug das Projekt „Superbüttel“ deutschlandweit Wellen: Wenn es nach der Initiative geht, soll das Quartier rund um die Rellinger Straße in Eimsbüttel komplett autofrei werden. In einer „Light“-Version wird das nun auch von der Bezirksversammlung umgesetzt.
Nicht alles ist autofrei möglich
Sogar der ADAC Hamburg findet den Ausbau von Bussen und Bahnen richtig. „Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, dann müssen Städte ihren Nahverkehr ausbauen“, sagt der Sprecher des Vereins der MOPO.
Das Beispiel Eimsbüttel sieht ADAC-Sprecher Christian Hieff aber kritisch. „Wir haben in Eimsbüttel einen der am dichtesten besiedelten Stadtteile überhaupt. Autofrei ist das nicht möglich“, sagt er. In Teilen der Bezirke Autos die Durchfahrt zu verbieten, das kann er sich aber durchaus vorstellen. Nur: Besonders neu kommt ihm das nicht vor.„Solche Konzepte gibt es ja auch seit Jahrzehnten, das sind eben Fußgängerzonen“, sagt der Sprecher. Das grundsätzliche Problem sei aber eben, dass der Verzicht auf das Auto nicht immer möglich, gerade im Umland.
Das Auto abschaffen! Aber wie?
Was kann Menschen dazu bringen, ihr Auto abzuschaffen? Das untersuchten Forscher:innen der Uni Hamburg im Zuge eines sogenannten Reallabors. Drei Monate ließen für die Wissenschaft mehrere Hamburger:innen das Auto stehen. Projektleiterin Prof. Dr. Katharina Manderscheid berichtet von den Schwierigkeiten:
„Ein Knackpunkt sind tatsächlich Kinder. Wenn nicht nur der Nachwuchs, sondern auch noch andere Dinge transportiert werden müssen, braucht man im Grunde zwei Personen mit Lastenrad und Kinderanhänger.“ Häufig seien auch Wege ins Umland ein Problem, sagt Manderscheid. Zum Beispiel, weil die Schwiegereltern pflegebedürftig seien oder die Großeltern auf die Kinder aufpassen sollen. „Wenn diese Gegenden dann nicht gut angebunden seien, werde es schwierig“. Diese Aspekte gerieten in der Diskussion um technologische Lösungen im Verkehr leicht aus dem Blick, „aber genau an diesen Alltagssituationen scheitert oft der Vorsatz, ohne Auto zu leben“, so die Professorin.
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Klar ist: Die autofreie Stadt hängt im entscheidenden Maße davon ab, welche Alternativen die Stadt ihren Bürgen bieten, wie sie den Nahverkehr ausbaut. Aber ein bisschen wird es auch daran hängen, wie die Menschen die Alternativen am Ende aufnehmen. Ob sie bald wirklich lieber mit vielen anderen Menschen in ein selbstfahrendes Shuttle steigen, als in ihren eigenen SUV. Die Verkehrswende findet nicht nur auf den Straßen, sondern auch in den Köpfen statt.
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Und deshalb visualisiert Jan Kamensky weiter, wie sie sein könnte, die Stadt ohne Autos. Etwa eine Woche braucht er für eine solche Animation, erzählt er der MOPO. Seine Motivation? „Ich wollte mich nicht länger damit begnügen, auf den immer dringenderen gesellschaftlichen Wandel zu warten, sondern selbst einen Beitrag leisten.“ Er habe überlegt, wie er seine Talente dafür einsetzen könne. Dann hat der Videokünstler das Experiment gestartet, „autodominierte Straßen in menschenfreundlichen Orten zu verwandeln“. Zumindest in seinen Videoinstallationen, um die Fantasie der Betrachter:innen anzuregen.
Die Utopie gelingt ihm, dank des hohen Kontrastes zur Gegenwart, in der Autos die Städte verstopfen. Als konkrete Vorschläge sollen seine Installationen nicht verstanden werden, sie zeigen eher, was möglich wäre. Aber: Natürlich würde sich Kamensky auch über die ein oder andere Realisierung seiner Visionen freuen!