Hamburgs Grünen-Chefin über Iran: „Das sind keine Proteste, das ist eine Revolution!“
Prügel-Szenen, Schüsse, Tote: Die Bilder von den Protesten im Iran gegen das Mullah-Regime gehen um die Welt. Besonders bei den Exil-Iranern sorgen die Vorgänge für Emotionen. Auch in der Hansestadt. Die MOPO sprach mit Hamburgs Grünen-Chefin Maryam Blumenthal (37), die selbst aus dem Iran stammt und als Kind mit ihren Eltern nach Deutschland floh.
Prügel-Szenen, Schüsse, Tote: Die Bilder von den Protesten im Iran gegen das Mullah-Regime gehen um die Welt. Besonders bei den Exil-Iranern sorgen die Vorgänge für Emotionen. Auch in der Hansestadt. Die MOPO sprach mit Hamburgs Grünen-Chefin Maryam Blumenthal (37), die selbst aus dem Iran stammt und als Kind mit ihren Eltern nach Deutschland floh.
Frau Blumenthal, was unterscheidet die aktuelle Situation im Iran von früheren Protesten?
Für mich hat das, was da gerade passiert, mit allem vorherigen nichts mehr zu tun. Es geht nicht mehr um Reformen, nicht um Jobs, Preise, Studienbedingungen und auch nicht ums Kopftuch. Es geht jetzt um das große Ganze. Die Menschen wollen Freiheit. Sie wollen das Regime stürzen. Das sind keine Einzelpersonen. Diesmal gehen alle auf die Straße. Deshalb spreche ich auch nicht mehr von Protesten. Für mich ist das eine Revolution.
Die Menschen stellen sich den Sicherheitskräften unbewaffnet entgegen. Woher nehmen sie diesen Mut?
Die Iraner:innen stehen mit dem Rücken zur Wand. Seit 43 Jahren lässt sie die Regierung systematisch ausbluten. Die Arbeitslosigkeit beträgt 80 Prozent. Die Kontrolle ist allgegenwärtig. Die Menschen haben nichts mehr zu verlieren. Sie haben einen unbedingten und eisernen Willen. Dabei nehmen sie jedes Risiko in Kauf. Es gibt kein Zurück mehr.
Sie glauben nicht, dass in ein paar Wochen wieder Ruhe einkehrt so wie es früher oft geschah?
Nein, das glaube ich nicht. Die Hauptparole ist: „Nieder mit der islamischen Republik“. Das ist das Ziel der Bewegung. Egal, in welchem Landesteil und egal, von welcher Bevölkerungsgruppe. Obwohl es Tote gibt, lassen sich die Menschen nicht mehr abschrecken. Ein anderer Slogan ist: „Für jeden Toten stehen 30 neue Menschen auf.“ Da ist etwas in Gang gekommen, das nicht mehr aufhört.
Kann das unbewaffnete Volk das denn alleine schaffen?
Zurückgefragt: Kann man ein Volk regieren, wenn das Volk einen nicht will? Sie können ja nicht alle töten. Aus meiner Sicht ist das, was hier passiert, eine ganz neue Form des Aufstands. Es gibt keine Galionsfigur. Keine Anführer. Keine geschlossene Bewegung. Das kommt komplett aus der Basis heraus. Die Frauen haben es angeführt, die Männer sind ihnen gefolgt. Auch das ist neu. Die Frage ist: Wie lange sind die Milizen noch bereit, auf ihre eigenen Leute zu schießen. Das wird kippen. Und das tut es auch schon. Spätestens jetzt, wo die ersten Kinder getötet werden. Jetzt gibt es Überläufer. Ein anderes Zeichen dafür, dass das Regime wankt, sind die motorisierten Einheiten. Die Männer auf den Motorrädern sprechen kein Farsi. Sie wurden aus dem Ausland geholt. Aus Syrien, dem Irak. Das Regime kommt an seine Kapazitätsgrenzen.
Ist es nicht wichtig, dass die Exil-Iraner, viele von ihnen Oppositionelle, sich im Ausland organisieren, um im Fall eines Sturzes für Ordnung zu sorgen?
Die Frage ist, wie man in einem Vielvölkerstaat von außen für Ordnung sorgen kann. Das wird vermutlich Jahre dauern und muss von der Bevölkerung selbst getragen werden, wie dieser Kampf jetzt auch. Auch weil es ja noch keine Erfahrung mit demokratischen Strukturen gibt. Man kann nur hoffen, dass das gemeinsame Ziel der Menschen sie auch nach einem Umsturz weiter zusammenschweißt und das Land nicht auseinanderbricht.
Viele Exil-Iraner in Hamburg fordern von Außenministerin Annalena Baerbock, dass sie zeigt, dass sie es ernst meint mit ihrer feministischen Außenpolitik. Sie finden, es passiere zu wenig…
Mir ging es früher politisch auch immer alles zu langsam. Aber Annalena Baerbock hat sich klar positioniert, indem sie Sanktionen gefordert hat. Sie kann als Deutsche nicht alleine handeln. Deshalb treffen sich die Außenminister:innen ja am Montag in Luxemburg, um über ein Sanktionspaket zu beraten. Es geht um Einreiseverbote für Regimemitglieder und das Einfrieren ihrer Vermögen. Das ist wohlgemerkt nur ein erstes Paket. Aber es ist eine gemeinsame Linie der EU und hat dadurch mehr Schlagkraft. Und der Druck wird weiter wachsen. Da passiert ganz viel hinter den Kulissen.
Wie kann man den Druck von außen noch erhöhen?
Wirtschaftssanktionen wäre der falsche Weg, denn das würde die Bevölkerung treffen. Auch eine Ausweisung von Diplomat:innen wäre nicht richtig, denn man riskiert, dass im Gegenzug auch deutsche Diplomat:innen ausgewiesen würden. Die Botschaft und die Konsulate sind aber unsere Brücke, um den Menschen vor Ort zu helfen. Jetzt und auch in Zukunft. Wenn sich die Lage weiter zuspitzt, könnten die ausländischen Botschaften ihre Türen öffnen und den Menschen Schutz bieten. Wir müssen weiter daran arbeiten, das Regime zu isolieren und den Regimemitgliedern die Freiheiten zu nehmen, die sie selbst genießen, während sie die Kinder Irans ermorden.
Bei ihrer Rede in der Bürgerschaft kamen Ihnen vor einer Woche die Tränen. Können Sie beschreiben, welche Gefühle die Situation im Iran bei Ihnen auslöst?
Für mich ist Iran nicht nur das Land meiner Eltern. Ich bin dort geboren, habe viele Verwandte und bin oft hingereist. Ein großes Stück meines Herzens ist im Iran und wird es immer sein. Ich weiß genau, was dort gerade los ist. Meine Tränen sind nicht nur Ausdruck von Traurigkeit, sondern auch von Hoffnung.