Panzer, Kohle, Abschiebungen: Was ist heute noch „grüne“ Politik, Frau Fegebank?
Krieg und Krisen bestimmen unsere Zeit. Was gestern schlecht war, ist heute gut – und andersrum. Die Parteien positionieren sich neu, suchen nach Identität. Ganz vorne dabei: die Grünen, die plötzlich Panzer liefern, Kohlekraftwerke hochfahren und alte Gewissheiten über Bord werfen, von Gentechnik über Aufrüstung bis Abschiebungen. Und auch der Atomausstieg wird in der Rückschau anders gesehen. Was ist heute eigentlich noch „grün“, wollte die MOPO daher von Hamburgs Zweiter Bürgermeisterin Katharina Fegebank wissen – und ob man als Grüne noch nach Bali fliegen und die Kinder mit dem Auto zum Sport kutschieren kann.
MOPO: Keine Partei wirbt so vehement für Waffenlieferungen an die Ukraine wie die Grünen. Sind Panzer heute nicht nur grün lackiert, sondern wirklich grün?
Fegebank: Das sind sie schon länger. Wir müssen das Land unterstützen, das brutal angegriffen wurde, wo jeden Tag Menschen sterben, wo unsere eigene und die europäische Freiheit angegriffen wird. Und das kann man nicht nur mit Worten, sondern muss es notfalls auch mit Waffen tun. Für mich war das keine so schwierige Abwägung.
Aber warum ist ausgerechnet unter Grünen die Zustimmung am größten?
Krieg und Krisen bestimmen unsere Zeit. Was gestern schlecht war, ist heute gut – und andersrum. Die Parteien positionieren sich neu, suchen nach Identität. Ganz vorne dabei: die Grünen, die plötzlich Panzer liefern, Kohlekraftwerke hochfahren und alte Gewissheiten über Bord werfen, von Gentechnik über Aufrüstung bis Abschiebungen. Und auch der Atomausstieg wird in der Rückschau anders gesehen. Was ist heute eigentlich noch „grün“, wollte die MOPO daher von Hamburgs Zweiter Bürgermeisterin Katharina Fegebank wissen – und ob man als Grüne noch nach Bali fliegen und die Kinder mit dem Auto zum Sport kutschieren kann.
MOPO: Keine Partei wirbt so vehement für Waffenlieferungen an die Ukraine wie die Grünen. Sind Panzer heute nicht nur grün lackiert, sondern wirklich grün?
Fegebank: Das sind sie schon länger. Wir müssen das Land unterstützen, das brutal angegriffen wurde, wo jeden Tag Menschen sterben, wo unsere eigene und die europäische Freiheit angegriffen wird. Und das kann man nicht nur mit Worten, sondern muss es notfalls auch mit Waffen tun. Für mich war das keine so schwierige Abwägung.
Aber warum ist ausgerechnet unter Grünen die Zustimmung am größten?
Die Grünen waren immer eine europäisch ausgerichtete Partei mit starkem Fokus auf Freiheits- und Menschenrechte. Wir haben auch seit Jahren vor der Abhängigkeit von Russland und vor Putins Agenda gewarnt. Robert Habeck hat im April 2021 im Schützengraben im Donbass erstmals gesagt, man müsse über Waffenlieferungen nachdenken. Politik macht man eben in der Realität, und die ist nie so, wie man sie sich wünscht. Und bei der Frage der Unterstützung der Ukraine ist es zum Schwur gekommen. Dann müssen die Prinzipien, die leitend für die eigene Politik sind, Bestand haben. Deshalb ist es den Grünen an dem Punkt vielleicht leichter gefallen als anderen sich der Verantwortung zu stellen, auch wenn das viele überrascht haben mag.
Dafür brauchte es aber erst die russische Invasion. Habeck hat 2021 von den Grünen ordentlich auf den Deckel bekommen, man hatte Angst vor den eigenen Wählern.
Richtig, die Debatte war auch für uns nicht leicht. Da ist jahrelang auch bei uns nicht ehrlich diskutiert worden. Hier geht es darum, für die Freiheit und die eigenen Werte einzustehen, wenn es wirklich ernst wird. Es erfordert viel Mut, sich dem zu stellen. Aus meiner Sicht zeigt das aber auch, was heute „grün“ ist: Den Mut haben, in solche Debatten zu gehen, mit klarem Kompass und klaren Werten.
„Ich wünsche mir, dass mehr Grüne zur Bundeswehr gehen“
Sollten mehr Grüne zur Armee? Könnten Sie sich vorstellen, dass ihre Kinder später zur Bundeswehr gehen? Für Grüne früher undenkbar …
Ich wünsche mir, dass die Bundeswehr ein Abbild dieser Gesellschaft ist. Da würde ich mir wünschen, dass auch mehr Grüne dahin gehen. So wie ich mir auch wünsche, dass mehr Grüne zur Polizei gehen.
Müssen wir jetzt aufrüsten?
Ich wünsche mir eine starke, gut ausgerüstete Bundeswehr, die ihrem Auftrag zur Verteidigung nicht nur des Landes, sondern auch Europas, nachkommen kann. Das war offenkundig viele Jahre nicht der Fall.
Das kostet richtig viel Geld, wir reden über Hunderte Milliarden Euro, die dann woanders fehlen. Wo kann man als Grüner jetzt Abstriche machen?
Wir müssen hier eine Priorität setzen. Aber das heißt nicht, dass man in anderen Bereichen nachlässt. Grün bedeutet für mich, zu handeln – entschlossen und entscheidungsfreudig. Das braucht Mut und Veränderungswillen. Und genau damit gehen wir ja auch tierisch vielen Menschen auf die Nerven, ob bei der Sicherheit oder der Energieversorgung. Da machen wir pragmatisch und unideologisch Dinge, die bis vor Kurzem undenkbar waren. Wiederanfahren von Kohlekraftwerken, LNG-Terminals in Rekordgeschwindigkeit. Gleichzeitig investieren wir voll in die Wärme- und Energiewende.
Atomausstieg und Klima: „Wie bei der Bundeswehr war damals nicht jede Einschätzung richtig“
Sie schalten CO2-freie Atomkraftwerke ab und fahren Kohlekraftwerke hoch. Wenn Klimaschutz das wichtigste sein soll, ist dann Atomstrom nicht auch „grün“?
Unser Grundkonsens ist, dass bei der Kernkraft nur das Risiko sicher ist. Der Ausstieg wurde mit breiter politischer und gesellschaftlicher Mehrheit beschlossen. Diesen Konsens wieder aufzukündigen, wäre nicht nur technisch und rechtlich fragwürdig, er würde uns beim konsequenten Ausbau der Erneuerbaren Energien massiv bremsen.
Schlaue Leute wie der Hamburger Nobelpreisträger Klaus Hasselmann sagen, wir hätten erst aus Kohle, dann aus Gas und zum Schluss aus Atomkraft aussteigen sollen. Warum sind die Grünen hier, anders als bei der Bundeswehr, noch so ideologisch?
Durch den Streckbetrieb haben wir gezeigt, dass wir unideologisch vorgehen. Zwei Stresstests haben zudem gezeigt, dass wir ohne Atomkraft auskommen. Und in der Rückschau ist das alles ein bisschen „Hätte-hätte-Fahrradkette”.
Der Atomausstieg von Rot-Grün hat ja dazu geführt, dass in Moorburg und anderen Orten neue Kohlekraftwerk gebaut wurden. Da stellt sich doch die Frage, ob man damals anderes hätte entscheiden müssen. Heute wissen wir, dass der Klimawandel das größere Problem ist als alte Brennstäbe.
Das ist der Punkt: Die Diskussion ging damals nicht um Klimaschutz, sondern um Sicherheit, genauso wie nach Fukushima. 20 Jahre später kann man vielleicht sagen, wir hätten mehr auf die Stimmen aus der Klimawissenschaft hören sollen. Wie bei der Bundeswehrdebatte war damals nicht jede Einschätzung richtig. Vor allem aber hätte man viel konsequenter auf den Ausbau der Erneuerbaren setzen müssen, gerade hier in Norddeutschland, das ist unser Standortvorteil.
„Wir brauchen eine große Technologieoffenheit“
Eigentlich müssten die Grünen ihren Wählern in Niedersachsen auch zumuten, dass da jetzt gefrackt wird, weil das deutlich ökologischer und günstiger ist als Fracking-Gas aus den USA oder aus Katar in Form von LNG zu importieren. Selbst Habeck hat das kürzlich gesagt. Ist Fracking plötzlich grün?
Auch das ist eine lange Debatte, mit vielen unterschiedlichen Einschätzungen und Prüfungen. Für uns ist das LNG eine Übergangslösung. Ich bin grundsätzlich dafür, dass wir uns voll auf den Ausbau der Erneuerbaren konzentrieren.
Das schließt sich aber nicht aus. Und je mehr günstiges Gas wir haben, desto eher kommen wir aus der Kohle raus und müssen Dörfer wie Lützerath nicht wegbaggern.
Ja, aber wir haben jetzt den Kohleausstieg festgezurrt auf 2030 im Westen und wollen ihn auch im Osten vorziehen. Das ist schon sehr ehrgeizig. Jetzt lange Diskussionen über Übergangstechnologien zu führen, halte ich nicht für zielfördernd. Wo ich eine sehr viel größere Aufgeschlossenheit habe, was ja auch sehr umstritten ist bei uns, ist das Thema CCS, also das Abscheiden und Verpressen von CO2.
Vattenfall wollte damals in Moorburg eine Pilotanlage im Kraftwerk installieren – die Grünen haben das verboten.
Dafür haben wir jetzt eine Pilotanlage der Hochschule für Angewandte Wissenschaften hier in Hamburg, ich habe auch gerade eine weitere besucht im Hafen. Das ist eine Diskussion, der wir uns nicht nur öffnen sollen, sondern auch öffnen müssen.
Nächstes Teufelszeug für viele Grüne ist grüne Gentechnik. Viele Forscher sind überzeugt, dass wir ohne die die Welt nicht halbwegs nachhaltig werden ernähren können, ohne Massen an Pestiziden. Müssen die Grünen allgemein technikoffener werden?
Wir brauchen eine große Technologieoffenheit, wenn wir auf die großen Krisen dieser Welt gucken. Und die Ernährungskrise gehört dazu, genauso wie die Klimakrise, die mit Dürren einhergeht, mit Artenschwund. Auch als Wissenschaftssenatorin bin ich dagegen, bestimmte Sachen kategorisch auszuschließen, sondern für vernünftige Abwägungen. Aber grüne Gentechnik ist ein großes Spannungsfeld in der Partei.
Ist das auch ein Generationenkonflikt?
Nein, nicht zwingend. In der Bevölkerung ist eine riesige Mehrheit dagegen. Gleichzeitig entwickelt sich die Technologie enorm weiter und bietet große Chancen bei der Bekämpfung von Hunger, Dürrefolgen usw. Es ist leider sehr schwer, darüber sachlich und wissenschaftlich fundiert zu diskutieren. Auch das wäre ein Punkt, wo wir Grünen gefordert sind: Eine Debatte anzustoßen, bei der man weiß, dass man zunächst auf verlorenem Posten kämpft, aber von der Richtigkeit überzeugt ist.
„Nicht alle, die kommen, können bleiben“
Die Migrationspolitik spaltet das Land. Wir haben in den letzten Jahren eine massive Einwanderung junger Männer erlebt – mit Folgen für die Sicherheit im öffentlichen Raum. Was für eine Migrationspolitik ist heute grün? Nicht abschieben und im Zweifel jeden reinlassen – auch wenn die Menschen oft Werte aus Ländern mitbringen, die diametral zu emanzipatorischen, grünen Überzeugungen stehen?
Wir brauchen Humanität und Ordnung. Grüne haben sich immer für das Asylrecht, für Zuwanderung, für Integration, für eine interkulturelle Gesellschaft stark gemacht. Gleichzeitig brauchen wir einen klaren Ordnungsrahmen, der respektiert werden muss. Dazu gehört, dass beispielsweise dort, wo erhebliche Straftaten verübt werden, diese Menschen nicht hier bleiben können.
Die Grünen sind immer mit die ersten, die Abschiebestopps fordern in die Hauptherkunftsländer Afghanistan, Iran, Syrien. Und dann werden sie den Vergewaltiger, den notorischen Gewalttäter, nicht mehr los. Wie passt das zusammen?
Wir haben in Hamburg bis zuletzt auch abgeschoben in wirklich schwierige Länder, wenn es um schwere Straftaten ging. Wichtig ist, dass wir schneller prüfen, ob jemand berechtigt ist, hier zu sein, ob er verfolgt wird, ein Dissident ist. Für diese Menschen haben wir eine Verantwortung. Wenn aber klar ist, dass jemand keinen Anspruch auf Schutz hat, dann müssen wir das auch klar sagen und danach handeln.
Wir müssen stärker aussieben?
Ich halte garnichts davon, Menschen „zu sieben“. Das Recht auf Asyl ist ein zentrales Grundrecht und es ist Kern unserer Demokratie, geflüchteten Menschen zu helfen. Wir haben mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht eine Grundlage geschaffen, damit Menschen schneller integriert werden, schneller Arbeiten und sich einbringen können. Wir brauchen dringend Fachkräfte für den Arbeitsmarkt. Aber klar, wenn man sich die aktuellen Einwanderungszahlen anschaut, ist das eine große Aufgabe.
Aus den Städten und Kommunen gibt es Hilferufe, die kriegen die Menschen nicht mehr untergebracht.
Natürlich wollen wir Menschen schützen und aufnehmen, aber viele Kommunen stoßen an Grenzen und das muss man ernst nehmen. Dennochwer Hilfe braucht, Asyl in Deutschland bekommt, oder aktuell aus dem Kriegsgebiet in der Ukraine kommt, kriegt unsere Unterstützung. Wenn Menschen kein Bleiberecht haben, dannist es auch eine grüne Aufgabe zu sagen: Nicht alle, die kommen, können bleiben.
„Die Politik kann den Leuten nicht einfach sagen: Das Auto ist blöd“
Kann man als Grüne noch nach Bali in den Urlaub fliegen?
Grüne sind nicht besser oder schlechter als andere. Es wird aber immer bei den Grünen genau nachgeschaut, weil wir diejenigen sind, die am klarsten und konsequentesten Veränderungen einfordern. Dass jemand freiwillig sagt, ich verzichte aufs Fliegen, ist das eine. Es zu verbieten, halte ich für grundfalsch.
Inlandsflüge könnten wir schon verbieten, wie in Frankreich.
Inlandsflüge sollten überflüssig werden. Wir müssen dafür die Bahn besser machen: schneller, zuverlässiger und günstiger. Dass ist das gleiche wie bei der Mobilität in einer Stadt: Wie schaffe ich es, klimafreundliche Verkehrsmittel so attraktiv zu machen, dass sie die bessere Alternative sind.
Verbieten ist also nicht grün?
Die Politik kann den Leuten nicht einfach sagen: Das Auto ist blöd, sieh zu, wie du ohne klarkommst. Und nicht jeder kann mit dem Lastenrad durch die halbe Stadt zur Arbeit fahren, die Kinder abholen und noch einkaufen.
Aber den Ruf der Verbotspartei werden Sie nicht los.
Der Aufhänger dafür war vor zehn Jahren der „Veggieday“. Und jetzt? Bietet jede Kantine ganz selbstverständlich vegane Gerichte an, es gibt vegetarische Wochen, alles völlig normal. Ja, wir Grüne sind manchmal anstrengend, wir fordern viel, sind der Zeit häufig etwas voraus, wollen keinen Stillstand sondern Veränderung. Aber wir sind nicht die moralisch besseren Menschen. Wir fliegen auch in den Urlaub, fahren die Kinder bei Regen mit dem Auto zum Sport. Wir haben aber den Anspruch, dass die Welt für alle besser wird. Und das versuchen wir in der Politik, mit all den Widersprüchen und Kämpfen, hinzukriegen.